Vierte Idylle

Pollio

Nachdem Oktavianus den L. Antonius in Perusia überwältigt hatte, verband sich gegen ihn der Konsul Pollio mit dem Republikaner Domitius Ahenobarbus, der das Ionische Meer beherrschte, und berief den Triumvir M. Antonius nach Brundusium. Auch S. Pompejus in Sizilien suchte den Bund, so daß Cäsar bei zweifachem Kriege auch Hemmung der Zufuhr für das ausgehungerte Italien befürchten mußte. Unter den angstvollen Erwartungen ward im Herbst ein Vergleich zu Brundusium vermittelt, welchen Pollio mit Mäcenas abschloß. Die getroffenen Bedingungen: Vergessenheit des Geschehenen, neue Teilung, wodurch Cäsar den Westen, Antonius den Osten erhielt, und gegen Pompejus, wenn nicht Aussöhnung glückte, gemeinschaftlicher Krieg, ließen ein Ende der Zerrüttung hoffen.

Da Pollios Gemahlin, wahrscheinlich in Ravenna, wo er seit dem vorigen Herbste den Ausgang des perusinischen Krieges erwartet hatte, eben jetzt der Entbindung nahte, so bezeugte der Dichter in seiner Freude über das öffentliche Wohl durch diese Idylle die lebhafteste Teilnahme an der Ehre und dem häuslichen Glücke seines Beschützers und dichterischen Freundes. Der bald darauf geborene Sohn des Pollio war Asinius Gallus, von seinem Geburtslande, dem diesseitigen Gallien, so genannt, der im folgenden Jahre von des zurückkehrenden Vaters berühmter Eroberung noch den Beinamen Solonius erhielt.

    Etwas Höheres laßt, sizilische Musen1), uns singen;
Denn nicht jeden erfreut Gesträuch und Sumpftamariske2).
Singen wir Wald des Gebirges, der Wald ist würdig des Konsuls.

    Schon das äußerste Alter erschien des kumäischen Liedes3);

5  Groß von neuem beginnt ursprüngliche Folge der Zeiten.
Schon kehrt wieder Asträa4), es kehrt die saturnische Herrschaft,
Schon ein neues Geschlecht entsteigt dem erhabenen Himmel.
Sei nur dem kommenden Knaben, mit dem sich das eiserne Alter
Schließet, und rings aufblüht ein goldnes Geschlecht auf dem Erdkreis,
10  Sei, keusche Lucina5), ihm hold: schon herrscht dein6) Apollo.

    Dir wird sogar dies Heil des Äons, dir Konsul, beginnen,
Pollio, daß allmählich die großen Monde hervorgehn.
Deiner Macht, wenn etwa noch Spuren sind unserer Greuel,
Werden sie schwindend befrein vom ewigen Schrecken die Länder.

15 

    Jener wird göttliches Leben empfahn und schauen mit Göttern
Untermischt die Heroen7), und selbst erscheinen mit jenen,
Und in Frieden beherrschen durch Vatertugend den Erdkreis.
Aber zuerst wird, Knabe, dir kunstlos kleine Geschenke,
Efeuranken mit Bakkar8) gemischt, und mit üppig gewundner

20  Bärenklau ringsher Kolokasien9) spenden das Erdreich.
Selbst wird jetzo die Geiß mit milchgeschwollenem Euter
Heimgehn und nicht fürchten das Rind den gewaltigen Löwen.
Auch wird selber die Wiege mit lieblichen Blumen die aufblühn,
Sterben wird Schlangengezücht und die täuschende Pflanze des Giftes
25  Sterben, und rings sich erheben Assyriens edles Amomum10).

    Aber sobald nun Heldengesang und Taten des Vaters
Du zu lesen vermagst, und was Tugend sei, zu erkennen;
Wird mit sanfter Ähr' die Flur sich allmählich vergolden,
Auch am wildernden Dorn wird rot abhangen die Traube,

30  Ja hartstämmigen Eichen enttrieft dann tauiger Honig.
Wenig indes sind Spuren veralteten Truges noch übrig,
Die zu versuchen das Meer im Gebälk, die schirmende Mauern
Städten zu bau'n und zu spalten das Land mit der Furche gebieten.
Dann ist ein anderer Tiphys11), es fährt eine andere Argo
35  Auserkor'ne Heroen; ja dann sind andere Kriege;
Auch wird wieder gen Troja gesandt ein großer Achilles.

    Wenn zum Manne dich nun das gekräftigte Alter gereift hat,
Weicht aus der Wog' auch selbst der Pilot, das befrachtete Seeschiff
Tauscht nicht mehr12); es erwächst ein jegliches jeglichem Lande.

40  Weder den Karst erduldet die Flur, noch die Hippe der Weinberg;
Schon auch löset die Stiere vom Joch der stämmige Pflüger.
Nicht mehr lernet die Wolle den Lug vielartiger Färbung:
Nein, selbst hüllt auf der Aue der Widder sich bald in des Purpurs
Liebliche Röte das Vlies und bald in feurigen Safran;
45  Und freiwillig umglüht Scharlach die weidenden Lämmer.

    Also entrollt, Jahrhunderte, fort: zu ihrem Gewebe
Sprachen die Parzen das Wort, standhaft, einträchtiglich waltend.
Nimm, o nimm (schon nahet der Tag) die erhabenen Ehren,
Teures Göttergeschlecht, des Jupiters herrlicher Nachwuchs!

50  Schau mit gewölbeter Last das hochher schauernde Weltall13),
Länder rings und Räume des Meers und Tiefen des Himmels,
Schau, wie alles sich freut des kommenden Weltjahrhunderts!

    Wäre so weit mir gesteckt des Daseins äußerstes Grenzziel,
Und ein Geist, der genüge, von deinen Taten zu reden:

55  Nicht vorgehn an Gesang soll mir der Thrazier Orpheus,
Linus nicht; und helfe dem Orpheus Kalliopea
Mütterlich, helf' auch dem Linus sein schöner Vater Apollo14).
Wenn selbst Pan mich besteht vor Arkadias Richter15) im Wettstreit,
Selbst soll Pan sich besiegt vor Arkadias Richter erklären.

60 

    Auf, holdseliges Kind, und erkenn' am Lächeln die Mutter;
Vieles ertrug die Mutter in zehn langwierigen Monden.
Auf, holdseliges Kind! Wen nicht anlachten die Eltern,
Würdigte weder des Tisches der Gott noch die Göttin des Lagers.


  1. Die Musen des Theokrit, dessen Vaterland als die Heimat der bukolischen Dichter galt. Zurück
     
  2. Gesträuch, Sumpftamariske und Wald sind Bezeichnungen des Hirtenliedes. Die Tamariske, entweder tamarix germanica oder tam. gallica, sind beide in Norditalien noch jetzt als tamerigio, tamerice und mirice bekannt. Zurück
     
  3. D. h. der sibyllinischen Weissagung. Die Sibylla sollte in einer Grotte bei Cumä in Unteritalien ihren Sitz haben. Zurück
     
  4. Die personifizierte Gerechtigkeit (Justitia, Dikh), die Tochter des Zeus und der Themis, die im goldenen Zeitalter auf der Erde lebte, im eisernen aber in den Himmel entfloh, wo sie unter den Sternen als Asträa verehrt wurde. Zurück
     
  5. Diana Lucina (gewöhnlich Juno Lucina) galt als Geburtshelferin und Beschützerin der neugeborenen Kinder. Zurück
     
  6. Dein Bruder Apollo. Phöbus und Apollo werden oft als Sonnengott identifiziert. Zurück
     
  7. Heroen sind Menschen von göttlicher Abkunft, sie selbst wieder der Götter würdige Taten vollführt haben. Zurück
     
  8. Nach Lenz eine Zauberkraft, identisch mit Haselwurz (asarum europaeum). Zurück
     
  9. Eine rötlich oder weiß blühende Wasserpflanze mit eßbaren Knollen, deren Heimat Ägypten ist und nach Plinius auch in Italien angebaut wurde. Zurück
     
  10. Das jetzt nur im Morgenlande wachsende Amomum (Assyrien war bei den Dichtern der weitumfassende Name des Morgenlandes überhaupt) wird man nun überall antreffen. Zurück
     
  11. Der Böotier Tiphys war Steuermann der Argo auf dem Argonautenzuge. Zurück
     
  12. Nämlich Waren. Zurück
     
  13. Wie die Dichter das Weltall bei einer außerordentlichen Erscheinung einer Gottheit erbeben lassen, so läßt Vergil hier die Welt vor dem erwarteten Erstling erschauern. Vgl. Evang. nach Matthäus 27, 51: »Der Vorhang im Tempel zerriß von oben bis unten in zwei Stücke, und die Erde erbebte« usw.; P. Gerhardt: »Du edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut das große Weltgewichte«; Klopstock, Messias I, 145: »Indem die Ewigen sprachen, ging durch die ganze Natur ein ehrfuchtsvolles Erdbeben.« Zurück
     
  14. Orpheus und Linus sind die berühmtesten Sänger der Heroenzeit, jener ein Sohn des thrazischen Königs Öagrus und der Muse Kalliope, dieser ein Sohn des Apollo und der Muse Terpsichore. Zurück
     
  15. D. h. wenn Arkadien (Heimat des Pan) zu Gericht sitzen würde. In Arkadien blühte Gesang und Musik, besonders unter den Hirten. Zurück


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