Der berauschte Silenus, von zwei jungen Satyrn gebunden, singt für die Lösung ein Lied vom Ursprunge der Welt nach Epikurs Vorstellung, und deren Geschichte bis zur Heroenzeit nach alten Volkssagen.
Varus, dem das Gedicht zugeeignet wird, scheint Lucius Alfenus Varus geheißen und Kriegskunde mit epikureischer Weltweisheit vereint zu haben. In der neunten Idylle erwartete von ihm Vergil die Rettung seines durch die Soldaten ihm entrissenen Eigentums; und die Grammatiker sagen, daß er ein Aufseher der Äckerverteilung im transpadanischen Gallien und nach Pollios Abzuge Befehlshaber der Gegend gewesen sei. Das dort versprochene Lob wird hier geleistet; und es erhellt, daß nach dem Brundusischen Frieden der Dichter unter Oktavians Herrschaft im ruhigen Besitz des väterlichen Gütchens war.
Auch dem Dichter Gallus, der in Silens Gesang verherrlicht wird, war Vergil nicht nur als Freund und Kunstgenossen, sondern auch als eifrigem Mitretter verbunden, indem jener, ein tapferer Krieger und Günstling Oktavians, den Auftrag hatte, diejenigen Städte zu schützen, deren Äcker nm verteilt wurden.
Scherzhaft wagte zuerst den Ton syrakusischer Lieder, Und ohn' Erröten bewohnte die Waldungen unsre Thalia1). Als ich Schlachten besang und Könige2), zupfte das Ohr mir Cynthius3), sanft anmahnend: Ein Hirt, o Tityrus, weidet | |
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Billiger Schafe sich fett und singt ein gedämpfteres Liedlein. Jetzo, denn dir ist mancher noch übrig, welcher dein Loblied, Varus, gerne beginnt und traurige Kriege verherrlicht, Sinn' ich mit Feldgesange das schwächliche Rohr zu begeistern. Nicht Ungeheißenes sing' ich. Jedoch, wenn einer auch dieses, |
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Wenn er mit Lust es vernimmt, dir, Varus, erschallt Tamariske, Die mein ganzes Gebüsch. Auch ist nicht werter dem Phöbus Irgendein Blatt, als welches sich Varus Namen voranschrieb.
Auf, Pieriden, ans Werk. Es sah'n den entschlafnen
Silenus4) |
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Starr von gestrigem Weine, wie stets, die geschwollenen Adern: Ferne lag, nur eben dem Haupt entfallen, der Laubkranz, Und schwer hing ihm der Humpen mit abgegriffenem Henkel. Beide nahn, (denn es hatte der Greis mit des Liedes Erwartung Oft sie getäuscht) und schlingen ihm selbst aus dem Kranze die Fessel. |
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Ihnen gesellt sich zugleich und stärkt die Furchtsamen Ägle, Ägle, vor allen Najaden die schönere; jetzt, als er aufblickt, Malet sie Stirn und Schläfen ihm rot mit blutigen Maulbeern. Lachend der List, ruft jener: Wozu die umschlingende Fessel? Bindet mich los, ihr Kinder; genug, daß zu können ihr scheinet. |
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Einen Gesang, den ihr wünschet, vernehmt; euch soll ein Gesang sein, Diese bekommt was andres zum Lohn. Drauf hebt er sogleich an. Jetzt nach dem Maß des Gesangs sah man Bergfaune und Bergwild Hüpfen vor Lust; jetzt regte die starrenden Wipfel der Eichforst, Nicht so freut sich des Phöbus entzückt der parnassische Felsen, |
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Auch nicht Rhodope5) staunt
noch Ismarus also dem Orpheus.
Denn er sang, wie einmal, durch unendliche Leere gerüttelt, |
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Wie den Boden zu härten und Nereus' Flut zu umufern Anfing und allmählich Gestalt der Dinge zu nehmen. Jetzt, wie die Welt aufstaune zur jugendlich scheinenden Sonne, Und hochher sich ergieß' aus erhobenen Wolken der Regen, Während keimende Wälder zuerst aufsteigen, und während |
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Sparsam Lebende irren durch unbekannte Gebirge. Drauf der Pyrra geworfnes Gestein6) und saturnische Herrschaft Singt er, des Kaukasus Vögel zugleich und den Raub des Prometheus7), Fügt dann hinzu, wo dem Hylas am Born die vermissenden Segler Laut nachschrien, daß Hylas8) der Strand, rings Hylas umherscholl. |
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Und, o Pasiphae9), du so
beglückt, wenn nimmer ein Rind war, Jetzo tröstet er dich mit Genuß des schneeigen Stieres. Ach, unseliges Weib, wie hat dich betöret der Wahnsinn! Prötus' Töchter10) erfüllten die Flur mit falschem Gebrülle: Doch so empörender Lust hat die durch tierische Buhlschaft |
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Eine gefrönt, obzwar für den Hals sie gefürchtet das Pflugjoch, Und sich oft nach Gehörn an glatter Stirne getastet. Ach, unseliges Weib, du selbst nun schweifst in den Bergen: Jener, die schneeige Seit' auf der sanften Blum' Hyacinthus, Wiederkäut im Dunkel der Stecheich' hellere Kräuter, |
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Oder verfolgt, was ihm lieb in der Herd' ist. Sperret, o Nymphen, Ihr diktäische11) Nymphen, die Windungen sperret des Forstes, Ob ja vielleicht auf dem Wege sich darbiet' unseren Blicken Vom umschweifenden Stiere die Spur. O es möchten vielleicht ihn, Hab' auch grünendes Kraut, auch die reizende Herd' ihn verleitet, |
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Einige Küh' heimführen in unsre
gortynische12)
Stallung. Drauf die hesperischen Äpfel, des Mägdleins13) Wunder, besingt er Drauf die Phaëthontiden14) in Moos und bittere Rinde Kleidet er, daß sie dem Grund' als ragende Erlen entsteigen: Drauf erzählt er, wie Gallus15), den Strom des Permessus umirrend, |
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Auf die
aonischen16)Höh'n von
der Göttinnen einer geführt ward, Wie vor dem Manne gesamt Apollos Chor17) sich erhoben, Wie dann Linus18) ihm nahend, der Hirt vom göttlichen Liede, Schön geschmückt mit Blumen das Haar und bitterem Eppich19), Redete: Dieses Geröhr, schau, geben dir, nimm es, die Musen, |
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Welches der Greis aus Askra geführt, auf welchem er tönend Pflegte die starrenden Ornen herab vom Gebirge zu locken. Hiermit preise du selbst des gryneischen20) Waldes Entstehung; Daß kein Hain wo prange zu größerem Stolz dem Apollo. Meld' ich noch, wie der Szylla21), des Nisus Tochter, besungen, |
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Welche, mit Hundegebell die glänzenden Hüften umgürtet, Sagt man, dulichische22) Barken geschleift, und im tiefen Gestrudel Ach, die verzagenden Schiffer mit Meerscheusalen zerrissen? Oder, wie Tereus'23) Glieder er dargestellt in Verwandlung; Welchen Schmaus und welches Geschenk Philomela ihm darbot: |
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Wie sie eilig entfloh in die Wüste, und wie sie befiedert Erst noch das eigene Dach umflatterte jammerbelastet.
Alles, was einst in Phöbus' entzücktem Gesang der
Eurotas24) |
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Bis in die Hürd' eintreiben die Schaf' und die Zählung erneuern Hesperus hieß, und dem Himmel noch unwillkommen hervorging. |