Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Witwe im Dorfe. Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im ganzen gings ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den österreichischen Dienst und die See. "Der Johannes könnte viel erzählen", sagte er zu seiner Frau, "wenn er nicht so grundeinfältig wäre." "Mehr tiefsinnig als einfältig", versetzte sie; "ich fürchte immer er schnappt noch über." "Ei bewahre!" antwortete der Baron, "er war sein Leben lang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt."
Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte. "Du bist lange ausgeblieben, Johannes" sagte sie; "ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt." "Ich bin durch den Föhrengrund gegangen." "Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz?" Er sah trübe zu ihr auf: "Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt,
f12 und jetzt seien so viele Kreuz und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig", fügte er langsam hinzu. "Sahst du wohl", sagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, "wie wunderlich und quer er aus den Augen sah ? Ich sage dir, Ernst, das nimmt noch ein schlimmes Ende."
Indessen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen, und mancher Hektische fühlte die Schere an seinem Lebensfaden. Auch Johannes schien unter dem Einflusse des nahen Äquinoktiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagen, er habe auffallend verstört ausgesehen und unaufhörlich leise mit sich selber geredet, was er auch sonst mitunter tat, aber selten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hause. Man dachte, die Herrschaft habe ihn verschickt; am zweiten auch nicht; am dritten Tage ward seine Hausfrau ängstlich. Sie ging ins Schloß und fragte nach. "Gott bewahre", sagte der Gutsherr, "ich weiß nichts von ihm; aber geschwind den Jäger gerufen und Försters Wilhelm! Wenn der armselige Krüppel", setzte er bewegt hinzu, "auch nur in einen trockenen Graben gefallen ist, so kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von seinen schiefen Beinen gebrochen hat! Nehmt die Hunde mit", rief er den abziehenden Jägern nach, "und sucht vor allem in den Gräben; seht in die Steinbrüche!" rief er lauter. Die Täger kehrten nach einigen Stunden heim; sie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: "Wenn ich mir denke, daß einer so liegen muß wie ein Stein und kann sich nicht helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hälts ein Mensch wohl ohne Nahrung aus." Er machte sich selbst auf den Weg; in allen Häusern wurde nachgefragt, überall in die Hörner geblasen, gerufen die Hunde zum Suchen angehetzt umsonst! Ein Kind hatte ihn gesehen, wie er am Rande des Brederholzes saß und an einem Löffel schnitzelte. "Er schnitt ihn aber ganz entzwei", sagte das kleine Mädchen. Das war vor zwei Tagen gewesen. Nachmittags fand sich wieder eine Spur: abermals ein Kind, das ihn an der anderen Seite des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüsch gesessen, das Gesicht auf den Knien, als ob er schliefe. Das war noch am vorigen Tage. Es schien, er hatte sich immer um das Brederholz herumgetrieben.
"Wenn nur das verdammte Buschwerk nicht so dicht wà4re! da kann keine Seele hindurch", sagte der Gutsherr. Man trieb die Hunde in den jungen Schlag; man blies und hallote und kehrte endlich mißvergnügt heim, als man sich überzeugt, daß die Tiere den ganzen Wald abgesucht hatten. "Laßt nicht nach! laßt nicht nach!" bat Frau von S.; "besser ein paar Schritte umsonst, als daß etwas versäumt wird." Der Baron war fast ebenso beängstigt wie sie. Seine Unruhe trieb ihn sogar nach Johannes' Wohnung, obwohl er sicher war, ihn dort nicht zu finden. Er ließ sich die Kammer des Verschollenen aufschließen. Da stand sein Bett noch ungemacht, wie er es verlassen hatte, dort hing sein guter Rock, den ihm die gnädige Frau aus dem alten Jagdkleide des Herrn hatte machen lassen; auf dem Tische ein Napf, sechs neue hölzerne Löffel und eine Schachtel. Der Gutsherr öffnete sie; fünf Groschen lagen darin, sauber in Papier gewickelt, und vier silberne Westenknöpfe; der Gutsherr betrachtete sie aufmerksam. "Ein Andenken von Mergel", murmelte er und trat hinaus, denn ihm ward ganz beengt in dem dumpfen, engen Kämmerchen. Die Nachsuchungen wurden fortgesetzt, bis man sich überzeugt hatte, Johannes sei nicht mehr in der Gegend, wenigstens nicht lebendig. So war er denn zum zweitenmal verschwunden; ob man ihn wiederfinden würde vielleicht einmal nach Jahren seine Knochen in einem trockenen Graben? Ihn lebend wiederzusehen, dazu war wenig Hoffnung und jedenfalls nach achtundzwanzig Jahren gewiß nicht.
Vierzehn Tage später kehrte der junge Brandis morgens von
einer Besichtigung seines Reviers durch das Brederholz heim. Es
war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich heißer
Tag, die Luft zitterte, kein Vogel sang, nur die Raben krächzten
langweilig aus den Ästen und hielten ihre offenen Schnäbel
der Luft entgegen. Brandis war sehr ermüdet. Bald nahm er
seine von der Sonne durchglühte Kappe ab, bald setzte er
sie wieder auf. Es war alles gleich unerträglich, das Arbeiten
durch den kniehohen Schlag sehr beschwerlich. Ringsumher kein
Baum außer der Judenbuche. Dahin strebte er denn auch aus
allen Kräften und ließ sich todmatt auf das beschattete
Moos darunter nieder. Die Kühle zog so angenehm durch seine
Glieder, daß er die Augen schloß. "Schändliche
Pilze!" murmelte er halb im Schlaf. Es gibt nämlich
in jener Gegend eine Art sehr saftiger Pilze, die nur ein paar
Tage stehen, dann einfallen und einen unerträglichen Geruch
verbreiten. Brandis glaubte solche unangenehmen Nachbarn zu spüren,
er wandte sich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht
aufstehen; sein Hund sprang unterdessen umher, kratzte am Stamm
der Buche und bellte hinauf. "Was hast du da Bello? Eine
Katze?" murmelte Brandis. Er öffnete die Wimper halb,
und die Judenschrift fiel ihm ins Auge, sehr ausgewachsen, aber
doch noch ganz kenntlich. Er schloß die Augen wieder; der
Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich seinem Herrn die kalte
Schnauze ans Gesicht. "Laß mich in Ruh! Was hast du
denn?" Hierbei sah Brandis, wie er so auf dem Rücken
lag, in die Höhe