Die nachstehende Pantomime entstand in derselben Weise wie mein Tanzpoem "Faust". In einer Unterhaltung mit Lumley, dem Direktor des Londoner Theaters der Königin, wünschte derselbe, daß ich ihm einige Ballettsujets vorschlüge, die zu einer großen Entfaltung von Pracht in Dekorationen und Kostümen Gelegenheit bieten könnten, und als ich mancherlei der Art improvisierte, worunter auch die Dianalegende, schien letztere den Zwecken des geistreichen Impresarios zu entsprechen, und er bat mich sogleich ein Szenarium davon zu entwerfen. Dieses geschah in der folgenden flüchtigen Skizze, der ich keine weitere Ausführung widmete, da doch späterhin für die Bühne kein Gebrauch davon gemacht werden konnte. Ich veröffentliche sie hier, nicht um meinen Ruhm zu fördern, sondern um Krähen, die mir überall nachschnüffeln, zu verhindern, sich allzu stolz mit fremden Pfauenfedern zu schmücken. Die Fabel meiner Pantomime ist nämlich im wesentlichen bereits im dritten Teile meines "Salon" enthalten, aus welchem auch mancher Maestro Barthel schon manchen Schoppen Most geholt hat. Diese Dianenlegende veröffentliche ich übrigens hier an der geeignetsten Stelle, da sie sich unmittelbar dem Sagenkreise der "Götter im Exil" anschließt, und ich mich also hier jeder besondern Bevorwortung überheben kann.
Paris den 1. März 1854.
Ein uralter verfallener Tempel der Diana. Diese Ruine ist noch ziemlich gut erhalten, nur hie und da ist eine Säule gebrochen und eine Lücke im Dach; durch letztere sieht man ein Stück Abendhimmel mit dem Halbmonde. Rechts die Aussicht in einen Wald. Links der Altar mit einer Statue der Göttin Diana. Die Nymphen derselben kauern hie und da auf dem Boden, in nachlässigen Gruppen. Sie scheinen verdrießlich und gelangweilt. Manchmal springt eine derselben in die Höhe, tanzt einige Pas und scheint in heiteren Erinnerungen verloren. Andere gesellen sich zu ihr und vollbringen antike Tänze. Zuletzt tanzen sie um die Statue der Göttin, halb scherzhaft, halb feierlich, als wollten sie die Probe halten zu einem Tempelfeste. Sie zünden die Lampen an und winden Kränze.
Plötzlich, von der Seite des Waldes, stürzt herein die Göttin Diana, im bekannten Jagdkostüme, wie sie auch hier als Statue konterfeit ist. Sie scheint erschrocken, wie ein flüchtiges Reh. Sie erzählt ihren bestürzten Nymphen, daß jemand sie verfolgt. Sie ist in der höchsten Aufregung der Angst, aber nicht bloß der Angst. Durch ihren spröden Unmut schimmern zärtlichere Gefühle. Sie schaut immer nach dem Wald, scheint endlich ihren Verfolger zu erblicken und versteckt sich hinter ihre eigne Statue.
Ein junger deutscher Ritter tritt auf. Er sucht die Göttin. Ihre Nymphen umtanzen ihn, um ihn fernzuhalten von der Bildsäule ihrer Gebieterin. Sie kosen, sie drohen. Sie ringen mit ihm, er verteidigt sich neckend. Endlich reißt er sich von ihnen los, erblickt die Statue, hebt flehend seine Arme zu ihr empor, stürzt zu ihren Füßen, umfaßt verzweiflungsvoll ihr Piedestal und erbietet sich ihr ewig dienstbar zu sein mit Leib und Leben. Er sieht auf dem Altar ein Messer und eine Opferschale, ein schauerlicher Gedanke durchdringt ihn, er erinnert sich, daß die Göttin einst Menschenopfer liebte, und in der Trunkenheit seiner Leidenschaft ergreift er Messer und Schale - Er ist im Begriff, dieselbe als Libation mit seinem Herzblut zu füllen, schon kehrt er den Stahl nach seiner Brust: da springt die wirkliche leibliche Göttin aus ihrem Versteck hervor, ergreift seinen Arm, entwindet seiner Hand das Messer - und beide schauen sich an, während einer langen Pause, mit wechselseitiger Verwunderung, schauerlich entzückt, sehnsüchtig, zitternd, todesmutig, voll Liebe. In ihrem Zweitanz fliehen und suchen sie sich, aber diesmal nur, um sich immer wieder zu finden, sich immer wieder einander in die Arme zu sinken. Endlich setzen sie sich kosend nieder, wie glückliche Kinder, auf dem Piedestal der Statue, während die Nymphen sie als Chorus umtanzen und durch ihre Pantomimen den Kommentar bilden von dem, was sich die Liebenden erzählen -
(Diana erzählt ihrem Ritter, daß die alten Götter nicht tot sind, sondern sich nur versteckt halten in Berghöhlen und Tempelruinen, wo sie sich nächtlich besuchen und ihre Freudenfeste feiern.)
Man hört plötzlich die lieblich sanfteste Musik und es treten herein Apollo und die Musen. Jener spielt den Liebenden ein Lied vor, und seine Gefährtinnen tanzen einen schönen, gemessenen Reigen um Diana und den Ritter. Die Musik wird Brausender, es erklingen von draußen üppige Weisen, Zimbel- und Paukenklänge, und das ist Bacchus, welcher seinen fröhlichen Einzug hält mit seinen Satyren und Bacchanten. Er reitet auf einem gezähmten Löwen, zu seiner Rechten reitet der dickbäuchige Silen auf einem Esel. Tolle ausgelassene Tänze der Satyren und Bacchanten. Letztere mit Weinlaub, oder auch mit Schlangen in den flatternden Haaren, oder auch mit goldenen Kronen geschmückt, schwingen ihre Thyrsen und zeigen jene übermütigen, unglaublichen, ja unmöglichen Posituren, welche wir auf alten Vasen und sonstigen Basreliefs sehen. Bacchus steigt zu den Liebenden herab und ladet sie ein, teilzunehmen an seinem Freudendienste. Jene erheben sich und tanzen einen Zweitanz der trunkensten Lebenslust, dem sich Apollo und Bacchus, nebst beider Gefolge, sowie auch die Nymphen Dianas anschließen.
Großer Saal in einer gotischen Ritterburg. Bediente in buntscheckigen Wappenröcken sind beschäftigt mit Vorbereitungen zu einem Balle. Links eine Estrade, wo Musiker zu sehen, die ihre Instrumente probieren. Rechts ein hoher Lehnsessel, worauf der Ritter sitzt, brütend und melancholisch. Neben ihm stehen seine Gattin im enganliegenden, spitzkrägigen Châtelaine-Kostüm, und sein Schalksnarr mit Narrenkappe und Pritsche; sie bemühen sich beide vergeblich den Ritter aufzuheitern durch ihre Tänze. Die Châtelaine drückt durch ehrsam gemessene Pas ihre eheliche Zärtlichkeit aus und gerät fast in Sentimentalität; der Narr scheint dieselbe übertreibend zu parodieren und macht die barocksten Sprünge. Die Musikanten präludieren ebenfalls allerlei Zerrmelodien. Draußen Trompetenstöße und bald erscheinen die Ballgäste, Ritter und Fräulein, ziemlich steife, bunte Figuren, im überladensten Mittelalterputz; die Männer kriegerisch roh und blöde, die Frauen affektiert, sittsam und zimperlich. Bei ihrem Eintritt erhebt sich der Burgherr, der Ritter, und es gibt die zeremoniösesten Verbeugungen und Knickse. Der Ritter und seine Gemahlin eröffnen den Ball. Gravitätisch germanischer Walzer. Es erscheinen der Kanzler und seine Schreiber in schwarzer Amtstracht, die Brust beladen mit goldnen Ketten, und brennende Wachskerzen in der Hand; sie tanzen den bekannten Fackeltanz, während der Narr aufs Orchester hinaufspringt und dasselbe dirigiert; er schlägt verhöhnend den Takt. Wieder hört man draußen Trompetenstöße.
Ein Diener kündigt an, daß unbekannte Masken Einlaß begehren. Der Ritter winkt Erlaubnis; es öffnet sich im Hintergrunde die Pforte und herein treten drei Züge vermummter Gestalten, worunter einige in ihren Händen musikalische Instrumente tragen. Der Führer des ersten Zuges spielt auf einer Leier. Diese Töne scheinen in dem Ritter süße Erinnerungen zu erregen, und alle Zuhörer horchen verwundert - Während der erste Zugführer auf der Leier spielt, umtanzt ihn feierlich sein Gefolge. Aus dem zweiten Zuge treten einige hervor mit Zimbal und Handpauke - Bei diesen Tönen scheinen den Ritter die Gefühle der höchsten Wonne zu durchschauern; er entreißt einer der Masken die Handpauke und spielt selbst und tanzt dabei, gleichsam ergänzend, die rasend lustigsten Tänze. - Mit ebenso wildem, ausschweifendem Jubel umspringen ihn die Gestalten des zweiten Zugs, welche Thyrsusstäbe in den Händen tragen. Noch größere Verwunderung ergreift die Ritter und Damen, und gar die Hausfrau weiß sich vor züchtigem Erstaunen nicht zu fassen. Nur der Narr, welcher vorn Orchester herabspringt, gibt seinen behaglichsten Beifall zu erkennen und macht wollüstige Kapriolen. Plötzlich aber tritt die Maske, welche den dritten Zug anführt, vor den Ritter und befiehlt ihm, mit gebieterischer Gebärde, ihr zu folgen. Entsetzt und empört schreitet die Hausfrau auf jene Maske los, und scheint sie zu fragen: wer sie sei? Jene aber tritt ihr stolz entgegen, wirft die Larve und den vermummenden Mantel von sich, und zeigt sich als Diana im bekannten Jagdkostüme. Auch die andern Masken entlarven sich und werfen die verhüllenden Mäntel von sich: es sind Apollo und die Musen, welche den ersten Zug bilden, den zweiten bilden Bacchus und seine Genossen, der dritte besteht aus Diana und ihren Nymphen. Bei dem Anblick der enthüllten Göttin stürzt der Ritter flehend zu ihren Füßen und er scheint sie zu beschwören, ihn nicht wieder zu verlassen. Auch der Narr stürzt ihr entzückt zu Füßen und beschwört sie, ihn mitzunehmen. Diana gebietet allgemeine Stille, tanzt ihren göttlich edelsten Tanz, und gibt dem Ritter durch Gebärden zu erkennen, daß sie nach dem Venusberge fahre, wo er sie später wiederfinden könne. Die Burgfrau läßt endlich in den tollsten Sprüngen ihrem Zorn und ihrer Entrüstung freien Lauf, und wir sehen ein Pas-de-deux, wo griechisch heidnische Götterlust mit der germanisch spiritualistischen Haustugend einen Zweikampf tanzt.
Diana, des Streites satt, wirft der ganzen Versammlung verachtende Blicke zu, und nebst ihren Begleitern entfernt sie sich endlich durch die Mittelpforte. Der Ritter will ihnen verzweiflungsvoll folgen, wird aber von seiner Gattin, ihren Zofen und seiner übrigen Dienerschaft zurückgehalten - Draußen bacchantische Jubelmusik, im Saale aber dreht sich wieder der unterbrochene steife Fackeltanz.