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Wenn nun, wie ich besorge, dies der Fall von allen Versemännern ist: so wärs doch einmal, dächt' ich, hohe Zeit, verständig zu werden, und das Kinderspiel den Knaben, für die sichs besser schickt, zu überlassen: und, statt um Worte, die zur röm'schen Leier | Nimirum
sapere est abiectis utile nugis et tempestivum pueris concedere ludum, ac non verba sequi fidibus modulanda Latinis, | |
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sich modulieren lassen, um den Rhythmus und die Mensur der wahren Lebenskunst sich zu bewerben. Diesemnach, mein Freund, besprech' ich öfters mich in aller Stille so mit mir selbst, und sage11): wenn du dich mit einem Durste, den kein Wasser löschen wollte, behaftet fändest, würdest du's dem Arzt vertrauen, und die leid'ge Sucht, je mehr du dir erworben, desto mehr zu wünschen, dies Übel wagst du niemand zu bekennen12)? Wenn dir die Wurzeln oder Kräuter, die man dir zur Heilung einer Wunde angeraten, nicht besser machten, würdest du die Wurzeln und Kräuter, die nicht hälfen, wegzuwerfen Bedenken tragen? Nun, da dir die Stimme des Volks gesagt hat, »wem der liebe Gott Vermögen gibt, dem gibt er auch Verstand als Zugab' obendrein«, und du demungeachtet das Gegenteil an dir erfährst, und seit du reicher wardst, nichts desto weiser bist: ists wohl getan, noch immer an den alten Ratgeber dich zu halten? Ja, wenn Gold | sed verae numeros modosque
ediscere vitae. <145> Quocirca mecum loquor haec, tacitusque recordor: si tibi nulla sitim finiret copia lymphae, narrares medicis; quod, quanto plura parasti, tanto plura cupis, nulline faterier audes? <150> Si vulnus tibi monstrata radice vel herba non fieret levius, fugeres, radice vel herba proficiente nihil, curarier: audieras, cui rem dii donarint, illi decedere pravam stultitiam, et cum sis nil sapientior, ex quo plenior es, tamen uteris monitoribus isdem? | |
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dich klüger machen, von Begier und Furcht befreien könnte, möchtest du erröten, nicht der erste Geizhals in der Welt zu sein! Ist das, was einer bar bezahlt, sein eigen, so gibts auch Dinge (wie die Rechtsgelehrten uns sagen), welche man durch Nießbrauch schon besitzt. Der Acker, der dich nährt ist dein: ob du, ob Orbiush) der eigentliche Herr des Gutes sei, gilt dem Verwalter gleich, der dir um bares Geld die Früchte liefert. Du zahlst sein Geld ihm hin, und kriegst dafür Getreide, Hühner, Eier, Trauben, Most; und so bezahlst du nach und nach den Wert des ganzen Gutes, das vielleicht im Ankauf zwölftausend Taler und noch mehr gekostet. Was tuts nun, ob du von dem ehmals oder jüngst Bezahlten lebst? Der Eigentümer eines | <155> At si divitiae
prudentem reddere possunt, si cupidum timidumque minus te, nempe ruberes, viveret in terris te siquis avarior uno. Si proprium est, quod quis libra mercatus et aere est, quaedam, si credis consultis, mancipat usus. <160> Qui te pascit ager, tuus est; et villicus Orbi, cum segetes occat, tibi mox frumenta daturus, te dominum sentit: das nummos, accipis uvam, pullos, ova, cadum temeti; nempe modo isto paulatim mercaris agrum, fortasse trecentis <165> aut etiam supra nummorum milibus emptum; quid refert, vivas numerato nuper an olim? | |
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vor hundert Jahren eingekauften Gutes speist, ob ers gleich nicht meint, gekauften Kohl, wärmt seine Pfanne mit gekauftem Holze. Inzwischen nennt er sein, was innerhalb der Pappeln ist, womit er seine Markung vor nachbarlichen Plackerei'n gesichert: als ob man was sein eigen nennen könne, was alle Augenblicke bald um Geld und gute Worte, bald durch Machtgewalt, bald durch den Tod an neue Herren kommt. Wenn also kein Besitztum ewig währet und, Wellen gleich, ein Erbe stets des andern Erben verschlingt, was helfen große Güter dir und volle Scheunen? Was Lucan'sche Wälder noch zu Calabrischen hinzugekauft? Wenn, allem Gold von Indien unbestechlich, der Orkus groß und klein zusammenmäht! Tyrrhen'sche Bilder, Marmor, Elfenbein, | Emptor Aricini quondam Veientis
et arvi emptum cenat olus, quamvis aliter putat, emptis sub noctem gelidam lignis calefactat ahenum: <170> sed vocat usque suum, qua populus adsita certis limitibus vicina refugit iurgia: tamquam sit proprium quidquam, puncto quod mobilis horae nunc prece, nunc pretio, nunc vi, nunc sorte suprema permutet dominos et cedat in altera iura. <175> Sic quia perpetuus nulli datur usus, et heres heredem alterius velut unda supervenit undam, quid vici prosunt aut horrea? quidve Calabris saltibus adiecti Lucani, si metit Orcus grandia cum parvis, non exorabilis auro? <180> Gemmas, marmor, ebur, Tyrrhena sigilla, tabellas, | |
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Gemälde, Gemmen, Silber, Purpurzeuge, wie viele leben ohne alles das? Wie mancher mag's nicht, wenn ers haben könnte? Woher das kommt, warum von zweien Brüdern der eine seinen lieben Müßiggang, sein unter einerlei alltäglichen Vergnügungen sanft hingetändelt Leben, nicht um Herodes Palmentäler tauschte; der andre reich, doch niemals satt noch froh, vom Morgen in die Nacht sich härmt und plagt, um wohlfeil angekaufte dürre Lehden mit Feu'r und Eisen zu bezwingen und in reiche Korngefilde umzuschaffen: das mag der Genius von beiden wissen, der Gott der menschlichen Natur, der mit uns geboren wird und stirbt, veränderlich von Angesicht und Laune, weiß und schwarz13). Mir gnüge, was ich habe, zu genießen, und von dem mäß'gen Haufen, was ich brauche, zu nehmen, unbekümmert, was dereinst mein Erbe sagen werde, wenn er nicht noch mehr, als ihm vermacht ist, findet. Gleichwohl liegt mir dran, | argentum,
vestes Getulo murice tinctas, sunt qui non habeant, est qui non curat habere. Cur alter fratrum cessare et ludere et ungi praeferat Herodis palmetis pinguibus, alter <185> dives et importunus, ad umbram lucis ab ortu silvestrem flammis et ferro mitiget agrum, scit Genius, natale comes qui temperat astrum, naturae deus humanae, mortalis in unum- quodque caput, vultu mutabilis, albus et ater. <190> Utar, et ex modico quantum res poscet acervo tollam, nec metuam quid de me iudicet heres, | |
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den wackern Mann, der seines Lebens froh wird, nicht mit dem Schlemmer zu verwechseln, noch den guten Hauswirt mit dem kargen Filz. Der Unterschied ist groß, ob du dein Gut verschleuderst, oder es zu brauchen weder dich dauern lässest, noch es zu vermehren dich abhärmst, sondern (wie du's an den Ferieni) als Knabe machtest) keinen Augenblick verlierst, die kurze Zeit der Lust im Flug zu haschen. Ist nur der Schmutz der Armut fern von mir, in einem großen oder kleinen Schiffe zu fahren gilt mir gleich, genug ich fahre; und flieg' ich nicht mit aufgeblähten Segeln und vollem Winde, nun so muß ich auch nicht stets mit widerwärt'gen Winden kämpfen: an Kräften, Witz, Gestalt, Verdienst, Vermögen | quod non plura
datis invenerit; et tamen idem scire volam, quantum simplex hilarisque nepoti discrepet, et quantum discordet parcus avaro. <195> Distat enim spargas tua prodigus, an neque sumptum invitus facias neque plura parare labores, ac potius, puer ut festis quinquatribus olim, exiguo gratoque fruaris tempore raptim. Pauperies immunda domus procul absit, ego utrum <200> nave ferar magna an parva, ferar unus et idem. Non agimur tumidis velis aquilone secundo, non tamen adversis aetatem ducimus austris; viribus, ingenio, specie, virtute, loco, re, | |
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und Stand der letzte von den ersten
zwar14), doch so, daß hinter mir noch viele sind. Du bist nicht geizig? Gut für dich! So bist du eines großen Übels quitt. Allein, wie mit den andern? Bist du auch so frei von eitler Ehrsucht, Zorn und Todesfurcht? Verlachst du Träume, Ahndungen, Gespenster, Magie, und kurz die Wunderdinge alle, woher Thessaliens böser Ruf gekommen? Trägst du mit Nachsicht deiner Freunde Fehler? Begehst du froh und dankbar jeden neuen Geburtstag, und wirst immer milder, besser, je näher du dem Alter kommst? Was hilfts dem, der in Dornen fiel, wenn einer auch ihm ausgezogen wird? Kurz, recht zu leben ist eine Kunst, die wohl gelernt und strenge geübt sein will. Verstehst du nichts davon, so schleiche weg, und mach' den Meistern Platz! Kurzweil getrieben hast du nun einmal genug, genug gegessen und getrunken! Es ist nun Zeit vom Gastmahl aufzustehn, damit, wenn Bacchus dir zu mächtig würde, | extremi primorum,
extremes usque priores. <205> Non es avarus? abi! quid cetera? iam simul isto cum vitio fugere? caret tibi pectus inani ambitione? caret mortis formidine et ira? somnia, terrores magicos, miracula, sagas, nocturnos lemures, portentaque Thessala rides? <210> Natales grate numeras? ignoscis amicis? Lenior et melior fis accedente senecta? Quid te exempta iuvat spinis de pluribus una? Vivere si recte nescis, decede peritis; Lusisti satis, edisti satis atque bibisti! <215> Tempus abire tibi est; ne potum largius aequo | |
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du nicht der Jugend, welcher wenigstens der Mutwill besser ziemt, zum Spott und Fußball werdest15). | rideat et pulset lasciva decentius aetas. |
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Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior |
Dieses lehrreiche Selbstgespräch füllt den ganzen Rest der
Epistel aus.
Der Glaube der Alten an die Genien (denn nicht nur jeder Mensch, sondern jedes andre natürliche Wesen hatte seinen Genius ) war ohne Zweifel eine Folge ihrer Vorstellungsart von dem allgemeinen, sich durch die ganze Körperwelt ergießenden göttlichen Geist. Das, was jedem Dinge Bestandkraft, innere Regung, Vegetation, Leben, Gefühl und Seele gab, war ein Teil dieses gemeinschaftlichen Naturgeistes: daher nennt Horaz den Genius den Gott der menschlichen Natur. Er ist nicht der Mensch selbst, aber er ist das, was einen jeden zum individuellen Menschen macht. Seine Persönlichkeit ist an das Leben dieses Menschen geheftet; und so wie dieser stirbt, verliert sich sein Genius wieder in dem allgemeinen Ozean der Geister, aus welchem er, bei dessen Geburt, ausgegossen war, um der Portion von Materie, woraus dieser Mensch werden sollte, seine individuelle Form zu geben, und dieses neue Gebilde zu beleben und zu beseelen. Daher nennt ihn Horaz: mortalem in unumquodque caput.
Da die Griechen alle unsichtbare Dinge und alle abgezogene Begriffe mit schönen
menschenähnlichen Gestalten zu bekleiden gewohnt waren: so erhielt auch der Genius der
menschlichen Natur die seinige. Er wurde, als ein Knabe, oder in dem Alter zwischen Knabe und
Jüngling, mit einem gestirnten Gewande leicht bekleidet, und mit Blumen oder einem Zweige von
Maßholder umkränzt, oder auch nackend und geflügelt gebildet, wie
der Genius in der Villa Borghese, von dessen Schönheit
Winkelmann in eine Höhe entzückt wird, wohin wir ihm kaum folgen
könnenX).
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Nimirum sapere est abiectis utile nugis, et tempestivum pueris concedere ludum |
zusammen, und findet sich also am Schlusse seiner Betrachtung wieder auf dem nämlichen Punkte,
wo er sie anfing: »Gespielt, gescherzt u.s.w. hast du nun einmal genug; es ist Zeit, alle
diese Kurzweile (wohin er auch, um sich die Beschwerlichen vom Halse zu
schaffen, seine Verse rechnet) aufzugeben und Jüngern zu überlassen.« Das
Gleichnis, wodurch er dies ausbildet, bedarf keiner Auslegung; die Anwendung macht sich selbst; und
das Brüske in der Art zu schließen, scheint mir der Laune,
worin der ganze Brief geschrieben ist, sehr gemäß zu sein, und ist unserm Dichter, der
von Methode kein Freund war, überhaupt so gewöhnlich, daß
es uns auch hier nicht befremden darf.