Neuntes Kapitel

Der Freiherr von Münchhausen beginnt einen Heroismus im Erzählen zu entfalten

Einige Zeit wartete der Schloßherr auf die Rückkunft seines Freundes, da diese aber nicht erfolgte, so begab er sich in sein Zimmer, legte die Nachtkleidung ab und seine gewöhnlichen Tageskleider an, welche in einem kurzen polnischen Schnürrocke von grünem Sommerzeuge, in strohfarbenen kurzen Hosen und schwarzen Kamaschen bestanden. Er setzte dazu seine gelb und schwarz gefleckte Seehundsmütze auf, und ging, ein spanisches Rohr mit porzellanenem Knopf in der Hand, da ihn die Unruhe daheim nicht leiden wollte, in das Freie, um allerhand Fabrikanlagen vorläufig an Ort und Stelle zu überdenken.

Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz anders, als früherhin, wo er über ihre steinernen Bestandteile noch nicht aufgeklärt gewesen war. Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und Schnüffeln ausprüfte, kam ihm so kalkicht und gipsern vor; er wußte nicht, wo er früher seine Nase gehabt hatte, solches nicht zu merken. Ein Bauer, der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron bei dem einen Wappenlöwen stehen sah, die Nase spürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn höflich und sagte: »Es stinkt verflucht.« - »Merkt Ihr auch etwas?« fragte der alte Baron freudig. - »Wer sollte das nicht merken?« rief der Bauer; »sie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank zieht im Winde weit umher.«

Der Syndikus der Luftverdichtungsaktienkompanie verachtete herzlich die dürftige Auslegung dieses armseligen Bauern und ging quer durch die Dornen über Gras und Anger nach einem freien Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik besonders tauglich zu sein schien, weil dort weit und breit umher die frischeste Luft wehte. Er maß den Platz in der Länge und in der Quere durch Schreiten ab, notierte die Raummaße in seiner Brieftasche, erwog, wo das Laboratorium stehen sollte, wo das Magazin für die Luftsteine und wo das Comptoir. Hierauf brachte er eine flüchtige Handzeichnung mit Bleistift zu Papiere, die ihm sehr wohl auszusehen däuchte, und worin das Magazin die Form einer Null hatte. Er war recht zufrieden mit diesen Vorarbeiten und ärgerte sich nur darüber, daß ihn Münchhausen bei denselben im Stiche ließ. Indem er zufällig nach der Abdachung des Platzes, welche von einigen wilden Kastanien und Zwergeichen bestanden war, hinuntersah, bemerkte er, daß ein Mensch von seiner Raststätte unter einem der Bäume aufsprang und dann fortlief. Dieser Flüchtling kam ihm, obgleich er ihn nur von hinten sah, wie Münchhausen vor. Er rief ihm nach; der Läufer hörte aber nicht, sondern rannte querfeldein.

Wirklich war es Münchhausen, dem auch dort das erzürnte Geschick noch keinen Frieden gönnen wollte. Ich verspreche aber den Lesern, ihn nun ruhig irgendwo anders ausschlafen und ihn vor Abend nicht wieder erscheinen zu lassen.

Der alte Baron hatte noch viel an jenem Tage zu tun und lief im Freien hin und her. Am meisten machte ihm die Ermittelung eines Weges zu schaffen, auf dem die Luftsteine zur nächsten großen Handelsstraße geschafft werden könnten, denn das Land war ringsumher überaus uneben und höckricht. Nachdem er die Pfade, die der großen Straße zuliefen, gründlich an mehreren Stellen untersucht hatte, entschied er sich kurzweg für Anlegung einer Eisenbahn mit etwa zwölf Tunnels und fünfzehn gewölbten Brücken. »Denn«, sagte er, »wer gewinnen will, muß sich vor den ersten Auslagen nicht scheuen.« Er überschlug, daß der Personentransport die Kosten mit einbringen helfen werde, »denn natürlich kommen«, sagte er, »jahraus jahrein viele tausend Reisende, um diese so sehr merkwürdige Fabrik zu besuchen, die Sehenswürdigkeiten meines Schlosses gar nicht einmal in Anschlag gebracht.«

Nichts war ihm verdrießlicher, als daß die Fabrik nicht bereits stand. Erst gegen Abend kam er in die Burg seiner Väter zurück, ermüdet, schweißtriefend, aber im Herzen fröhlich. Den ganzen Tag über hatte er an Speise und Trank nicht gedacht, und nun mußte er mit einem ziemlich oberflächlich behandelten Rührei nebst einem versottenen halben Grashechte fürlieb nehmen. - »Wer mich zwischen diesen kahlen Wänden, an dem schlechten kiefernen Tische, dem ausgekochten Fischlein und der brenzlichten Eierspeise gegenüber sitzen sähe, müßte mich für einen verlorenen Mann und Hungerleider halten«, schmunzelte er. »Wo ist da, menschlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend einiges Glückes ersichtlich? Und doch steht das Glück nahe, ganz nahe, denn sechsmalhunderttausend Luftsteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen gehabt. Wahrlich; es ist ein eigenes Ding um das Geschick des Menschen. Der Mensch kann durch Unmut zur Verzweiflung gebracht, in seinem Zimmer die Pistole laden, sich zu erschießen, während unten an der Türe schon der Postbote klopft, ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen Erbschaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu bringen. In gegenwärtiger Zeit ist nun der erfindende Geist des Menschen, der in einem Augenblicke Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann, der reiche Vetter aus Surinam; unterdessen freilich schmeckt dieser Grashecht sehr zähe und fast wie Leder.«

Etwas später kehrte Münchhausen heim, ausgeschlafen, neugestärkt, mit hellen, grellen Augen. Er fühlte in sich Kraft und Mut, dem Alten die Spitze zu bieten, und war entschlossen, ihn heute abend nicht zu Worte kommen zu lassen, sondern ihn, sozusagen, daniederzuerzählen. Es freute ihn, als er hörte, das Fräulein sei unpaß und werde deshalb nicht von der Gesellschaft sein; so durfte er sich auch vor ihren Fragen und Bemerkungen sicher halten. Weil aber ein Vorleser den Faden ununterbrochener in seiner Hand zu behalten vermag, als ein Erzähler, stopfte er auf seinem Zimmer sich einige geschriebene Hefte voll der ungereimtesten Erzählungen in die Brusttasche seines Rocks, und trat so gerüstet zu seinem Wirte ein, der eben von Karl Buttervogel den halben Grashecht abräumen ließ, von dem er nur ein Weniges hatte genießen können.

»Aha«, rief der Alte Münchhausen entgegen, »kommt der Ausreißer endlich? Ich habe mit Ihm noch ein Hühnchen zu pflücken. Läßt da Seinen Vertrauten und Kompagnon in der Sonnenhitze allein die Arbeit tun! Wenn Ruhe zu dergleichen Unternehmungen gehört, so können sie doch auch ohne Betriebsamkeit nimmer geraten. Vergönne mir, dich daran zu erinnern. Und nun setze dich her, sieh hier den Grundriß, den ich entworfen, und laß uns darüber in eine umständliche Beratung treten, damit der Bau begonnen werden kann.«

Längst hatte Münchhausen ein Heft aus seinem Busen gerissen, es entfaltet, und auf seinen Augenblick gewartet. Jetzt, als der alte Baron eine Pause machte, um Atem zu schöpfen, setzte er rund und rasch ein und las mit unhemmbarer Schnelligkeit, wie folgt.


Vorige Seite Titelseite Nächste Seite