Drittes Kapitel

Speisesaal und Krankenzimmer

Das Wiedersehen war sehr freundlich und herzlich gewesen. - Als die beiden Männer das Krankenzimmer verlassen hatten, gingen sie nach dem allgemeinen Versammlungssälchen und dort sagte der Oberamtmann: »Ich habe eigentlich nie ein schöneres Gefühl für einen Freund, als wenn ich ihm wider seinen Willen einen Dienst für das Leben leisten kann. Denn bei Gefälligkeiten, die man den Wünschen des anderen erweiset, ist man nie sicher, daß sich nicht Eitelkeit, weichliches und selbstliebiges Wesen mit einmischt. Wenn man aber gegen die Schoßneigungen des Freundes an ihm seine Schuldigkeit tut, dann hat man die reine Empfindung treuerfüllter Pflicht; wohl die schönste im Leben.«

»Soll das denn auf unseren Freund eine Anwendung finden?« fragte der Diakonus etwas befangen.

»Allerdings«, erwiderte der Oberamtmann, »und Ihren Beistand erbitte ich mir auch, Herr Diakonus, zu dem, was ich vorhabe. Nachdem der Graf nun wiederhergestellt ist, oder wenigstens in ganz kurzer Zeit sein wird, kann ich an mein Geschäft mit ihm oder vielmehr für ihn denken. Meine erste Obsorge muß nämlich jetzt sein, diese unangemessene und fast verrückte Liebschaft zu zerstören.«

Der Diakonus brauste hier, seine geistliche Fassung etwas vergessend, auf und rief in den bestimmtesten Ausdrücken, daß er zur Zerstörung einer solchen Liebe, welche keine Liebschaft sei, nicht die Hand biete, vielmehr sie, solange sie das Gastrecht seiner Schwelle genieße, zu schützen wissen werde. Man wurde hierauf, obgleich man sich in gewissen Grenzen zu halten wußte, gegenseitig sehr warm und erschöpfte alles, was an heftigen und starken Versicherungen und Gegenversicherungen gesagt werden konnte. Endlich fiel dem Diakonus die Frage ein, welche bei dergleichen Gelegenheiten die erste sein müßte, meistenteils aber die letzte zu sein pflegt. Er erkundigte sich nämlich nach den Gründen einer so starken Abneigung gegen diese Verbindung.

»Ihre Frage kann mir auffallend erscheinen, Herr Diakonus, indessen will ich sie beantworten«, erwiderte der Oberamtmann. »Mein Freund ist, wie Sie wissen, aus der ersten Familie des Königreiches, seine Herrschaft gleicht an Umfang manchem Fürstentume; geborener Reichsstand ist er und das Blut unserer Könige hat sich mit seinem Geschlechte mehrere Male vermischt. Wenn er nun den aufgelesenen Findling heiratet, so fallen seine Kinder, wie Bastarde, von der Bank und sind sukzessionsunfähig, darüber verliert er die Freude an seiner Herrschaft, weil er nämlich weiß, daß er sie für die fremde Linie aufhebt. Mit den Anverwandten verhetzt er sich, in seinen Verhältnissen zerrüttet er sich, bei Hofe kehren sie ihm den Rücken, der Gemahlin muß er sich schämen, in der Kammer wird er aus übler Laune ein hohler widersprecherischer Schreier, kurz, er wird auf alle Weise ein elender und verkümmerter Mann. Weil er aber dazu gar keine Anlage hat, sondern vielmehr ungeachtet mancher Torheit bestimmt ist, sich zu einem ganz herrlichen und prächtigen Charakter herauszuarbeiten, zu einer Freude und Zier des Landes, deshalb Herr Diakonus, und deshalb, weil ich seiner sterbenden Mutter mein Wort auf ihn gegeben habe, ist es meine Pflicht, dieses Verhältnis, welches für mich eine Liebschaft bleibt, zu zerstören.«

Die Streitenden gingen mit großen Schritten auf und nieder.

Der Diakonus pries die Unschuld und den Schwung der Neigung, welche so entgegengesetzte Gefühle aufregte. Allein der hartnäckige Geschäftsmann ließ sich dadurch nicht rühren, sondern sagte: »Ich will ihn auch gar nicht daran hindern, das Mädchen geliebt zu haben. Er feire sie in seiner Erinnerung, er mache Gedichte der Wehmut an sie, Sonette und Terzinen soviel er will, er trage ihre Locke oder ihren Schattenriß, was er nun von ihr besitzt, auf dem Herzen, immerhin! Liebe ist Liebe, aber Ehe ist Ehe. Die Ehe ist ein Geschäft, ein höchst wichtiges Geschäft. Nicht umsonst handelt ein Abschnitt in allen Landrechten von der Ehe und vom Eingebrachten und von der Gütergemeinschaft. Die Ehe soll dem Menschen einen Boden unter die Füße geben, nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Ein Geschäft muß ein Objekt haben, Liebe ist aber kein Objekt. Liebe gehört zur Ehe, wie der fröhliche Trunk zum Abschluß eines guten Kaufes; aber über das Glas Wein schließt man den Handel nicht. Er braucht noch gar nicht zu heiraten, denn er ist noch sehr jung, will er es aber tun, so gibt es unter unseren Gräfinnen und Fürstinnen und unter denen nebenan in Baden und Bayern auch schöne, blühende, gute Mädchen, darunter soll er sich auslesen, die Bettlerin aber soll er lassen.

Ich weiß wohl, daß jedes mißgefügte Liebespaar von seiner Torheit einen neuen Himmel und eine neue Erde datiert und die erste probehaltige Ausnahme. Wenn man aber nach wenigen Jahren die sogenannten Ausnahmen wiedersieht mit hangenden Flügeln, den Schmetterlingsstaub jämmerlich von den Schwingen gerieben, vernützt, abgeblaßt, so wendet sich einem das Herz im Leibe bei dem Anblicke von so trübseligen Bestätigungen der allgemeinen Regel um.«

Der Diakonus, dessen Verstand unwillig manches zugeben mußte, was der andere vorbrachte, bediente sich jetzt der Wendung, welche bei einem Streite so ziemlich klar die Niederlage anzeigt. Er sagte nämlich, daß diese Drohungen wohl nicht ganz der Ernst des Oberamtmanns sein möchten, daß er gewiß Bedenken tragen werde, sie in ihrem vollen Umfange auszuführen.

Darauf versetzte der Amtmann sehr kalt und fest: »Sie würden im Irrtume sein, wenn Sie diese Meinung wirklich hegten. Ich bemerke wohl, daß die Scherze, welche die junge Baronesse in ihrer liebenswürdigen Laune zuweilen über mich macht, Sie zum Lachen über mich anreizen, und es mag auch wahr sein, daß ich eine ziemlich sonderbare und graue Aktenfigur bin. - Ich habe neulich den sogenannten Patriotenkaspar verhört, darüber den Grafen vergessen, kam zu spät auf den Oberhof und fand meinen Freund, der vielleicht gesund mit mir gefahren wäre, erst wieder, als er blutend am Wege lag. Das war ein Schwabenstreich. - Indessen kann man solche begehen und doch bei manchem Punkte unbesieglich sein. - Glauben Sie mir, daß, wo ich mich in meinem Amte und Rechte fühle, alles von mir abgleitet, wie von einem Felsen und daß ich dann fest zu stehen weiß, wie ein Fels. Meinen liebsten Freund aber vor einem unsäglichen Elende zu bewahren, wie ich es nun einmal ansehe, das ist recht eigentlich meine Amtspflicht und mein Recht. Ich werde demnach, was ich angekündiget habe, durchzuführen wissen.«

»Aber was wollen Sie denn mit ihm beginnen? Er ist doch mündig!« rief der Diakonus ereifert.

»Leider!« versetzte der Oberamtmann. »Es gibt Leute, die wenigstens bis zum dreißigsten Jahre unter Kuratel stehen sollten. Indessen ist auch ein Mündiger anzufassen. Was ich beginnen will? Ihm jeden nur möglichen Grund vortragen, die Verbindung ihm unleidlich machen; Urlaub mir verlängern lassen, mit ihm auf sein Schloß reisen, Oheime, Vettern und Basen in Bewegung setzen, die Sache vor den König bringen, seine Standesgenossen aufregen, es darauf ankommen lassen, daß er mir die Türe weiset, dann doch nicht gehen, immerfort einsprechen, den Einspruch noch zwischen die Verlobung werfen, ja selbst am Altare, wenn es notwendig ist, einen Skandal bereiten. O ein Mann und Freund kann viel, wenn er nur beharrlich will. So wahr ich der Oberamtmann Ernst vom Schwarzwalde bin, mit meiner Zustimmung wird sie nicht Gräfin Waldburg-Bergheim.«

»Und mit meiner auch nicht«, sprach hier eine dritte Stimme. Die schöne Clelia war, von ihrem Spaziergange zurückgekehrt, in den Saal getreten, und hatte unbemerkt von den Männern, gehört, wovon die Rede war. »Nein, Herr Diakonus«, sagte sie, »Sie sehen die Sache doch etwas zu sehr von Ihrem Standpunkte an. Ich bin gewiß gut und freundlich gegen jeden und wünsche allen ein solches Lebensglück, wie ich es erlangt habe, aber auch meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß Mißbündnisse nie zum Heile führen, und da es sich hier um das Los meines teuersten Anverwandten handelt, so stelle ich mich ganz auf die Seite des Oberamtmannes.«

Die schöne junge Frau sagte dies so feierlich, als hätte sie in ihrem zwanzigjährigen Leben schon wenigstens hundert üble Erfahrungen von Mißbündnissen vor Augen gehabt. Der Oberamtmann küßte ihr dankbar und gerührt die Hand und der Diakonus schwieg.

Es war inzwischen im Nebenzimmer gedeckt worden und man setzte sich zu Tische. Auch der junge Gemahl hatte sich nach seiner Sperlingsjagd, die nicht sehr ergiebig gewesen war, zur Gesellschaft gefunden und nur Lisbeth fehlte. Der Diakonus suchte, so gut es ihm gelingen wollte, der vorhergegangenen Szenen ungeachtet den beredten Wirt zu machen. Es glückte ihm aber nicht ganz, denn seine Seele war abwesend und in Bekümmernis bei dem Paare, über dessen Häuptern sich nach manchem Leiden noch zuletzt so schwere Wolken anhäuften.


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