Siebentes Kapitel

Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer uneigennützigen und entsagenden Liebe antwortete

Fancy nahm im ersten Morgenstrahl von dem Blumenbrette vor ihrem Fenster, wo der Diakonus einige seiner schönsten Exemplare aufbewahrte, ein prächtiges Myrtenbäumchen herein, musterte die längsten und frischesten Zweige, an denen sich zugleich Knöspchen und runde frische Blüten befanden, wehte mit einem leichten bunten Federwedel etwas Staub, der sich auf die Blätter gesetzt hatte, ab, summte dazu, aber so leise, daß ihre Gebieterin nebenan es nicht hören konnte, die alte »veilchenblaue Seide« aus dem »Freischützen«, lächelte, seufzte dann, legte die Hand auf die Brust und ließ das Myrtenbäumchen im Zimmer stehen, um es gleich zu haben, wie sie für sich sagte. Hierauf ging sie zu Lisbeth, und richtete ihre Bestellung aus. Lisbeth war ernst und wehmütig, denn sie hatte bei dem alten Pfleger eine trübe Probe zu bestehen gehabt. Fancy wollte ihr etwas sagen, aber diesem ernsten Antlitze gegenüber erstarb ihr schlaues Wort auf der Lippe.

Die junge Dame, der im wahren Interesse ihres nächsten Verwandten ein so schwieriges Geschäft oblag, erhob sich und sagte nach dem Frühstück: »Fancy, was ziehe ich denn wohl heute an?« - »Gnädige Frau«, erwiderte Fancy, »Sie müssen ganze Toilette machen.« - »Nun, nur nicht zu übertrieben«, sagte die Baronesse. »Nein, nicht zu übertrieben«, versetzte Fancy.

Sie kramte hierauf in den Koffern und Kartons und nahm den gewähltesten Putz heraus. Zum Anzuge bestimmte sie das noch nicht getragene prächtige Kaschmirkleid von violetter Farbe mit einer Schnippentaille, und fügte dem Kleide einen weißen Mousseline-de-Soie-Schal hinzu. Unter den Strümpfen suchte sie die feinsten à jour gewebten aus und unter den Schuhen ein Paar von schwarzem Atlas. Kurze weiße Handschuhe mit Spitzen garniert nahm sie aus einem Karton. Als es nun an die Musterung des Schmuckes ging, so schien ihr eine schwere Chatelaine mit goldenen und silbernen Gliedern, gotischem Schloß und Medaillon schicklich zu sein. Drei Armbänder dünkten ihr nicht zuviel, eins mit Steinen, deren Anfangsbuchstaben den Namen: Clelia zusammensetzten, ein prächtiges Geschenk des abwesenden Herrn und zwei einfachere, das eine ein schlichter Goldreifen, das andere mit Türkisen besetzt. Für die Haarflechten legte sie eine goldene Kette zurecht; ein blitzendes Diadem wollte sie nachfolgen lassen, bedachte sich aber noch zur rechten Zeit, daß man im Guten zuviel tun könne und stellte es wieder beiseite. Es versteht sich, daß ein gesticktes Taschentuch vom feinsten Batist nicht vergessen wurde.

Während dieser ernsten und gründlichen Vorbereitung rüstete sich Clelia ebenfalls und zwar in höherer Weise zu der Unterredung mit Lisbeth. Sie las einen Roman und erwog dabei, was sie dem Mädchen sagen wollte. In der Tat war Oswalds Abenteuer so sehr gegen alle Voraussetzungen seiner Verhältnisse, daß ihr die stärksten Gründe, hergenommen aus dem Wesen uneigennütziger Liebe, echten Schicklichkeitsgefühls und frommer Ergebung in reicher Fülle zuströmen mußten; Gründe, die nach ihrer Meinung eine schlagende Wirkung auf ein edles weibliches Gemüt nicht verfehlen konnten. Sie erging sich mit Wohlgefallen in den Reden, welche diese Gründe näher entwickeln sollten, und las dazwischen immer einige Seiten des Romans. Da er zu denen gehörte, welche bei uns zweite Auflagen erleben, so leitete er ihre Gedanken von dem Gegenstande, der ihre Seele beschäftigte, nicht ab. Sie war so sehr in ihr Vorhaben vertieft, daß sie auf Fancys Tun und Treiben nicht achtete und des Fluges der Stunden ebenfalls nicht inneward, die unter solchen Übungen innerer Beredsamkeit rasch zu verfließen pflegen.

Fancy mußte sie erinnern, daß die Zeit gekommen sei, sich kleiden zu lassen. Noch immer in ihre Gedanken und Gründe verloren widmete sie dem Anzuge keine Aufmerksamkeit. Sie ließ die einfachen Strümpfe von den zierlichen weißen Füßen streifen und diese mit den spinnwebenfeinen durchbrochenen bekleiden, es fiel ihr nicht auf, als Fancy, nachdem sie die Flechten gemacht, dieselben mit der goldenen Kette umwand, sie schlüpfte in das prächtige Kaschmirkleid, empfing die schwere Chatelaine um die schöne Taille, und ließ sich den Schal von Mousseline-de-Soie um Hals und Schultern legen, ohne bei einem dieser Stücke eine Erinnerung zu machen. Nur als ihr Fancy die weißen garnierten Handschuhe mit blaßroten Bandschleifen brachte, stutzte sie und sagte: »Fancy, das sind ja Ballhandschuhe.«

»Gnädige Frau«, versetzte Fancy ernst, »sie gehören zur vollen Parüre.«

Clelia musterte sich, trat vor den Spiegel und rief: »Mein Gott, der Anzug ist ja viel zu recherchiert! Du hast mich geputzt, als führen wir zu Liechtensteins in die Soirée. Den Augenblick ein anderes Kleid her, die Chatelaine fort, die Goldkette aus den Flechten!«

»O Himmel, was habe ich wieder gemacht!« jammerte Fancy. »Ich dummes Mädchen!« - Es klopfte. - »Ach! Ach! Da ist die Lisbeth schon!«

»Hinaus, sag ihr -«

»... daß die gnädige Frau zu recherchierte Toilette gemacht hätten, sich einfacher anziehen müßten...« Fancy wollte fort.

»Bleib!« rief Clelia außer sich. »Du wärest albern genug, auch so etwas zu sagen. Ich glaube, du hast in dem Neste deinen Verstand verloren. - Es klopft schon wieder... Sie hat uns reden hören, es fällt mir kein Vorwand ein. - Ach, du Imbezille, in welche Verlegenheit setzest du mich! Handschuhe!«

»Hier«, sagte Fancy.

»Weg damit! Soll ich wie eine Opernprinzessin dasitzen, welche sehen lassen will, wie freigebig ihre Liebhaber sind? Willst du mir nicht auch noch gar einen Fächer in die Hand geben? - Schwarze, bescheidene!«

»Schwarze, bescheidene!« rief Fancy und brachte die Verlangten.

»Armband!«

Fancy knüpfte mit unerhörter Schnelligkeit die drei Armbänder um, während Clelia nach der Türe sah.

»Fertig?«

»Ja.«

»Herein! - Himmel, du hast mir ja drei Armb-« aber sie vollendete das Wort nicht und der Überfluß des Armschmuckes war nicht mehr zu beseitigen. Denn schon trat Lisbeth herein. Es war ein großer Gegensatz, diese schlanke, vornehme junge Gestalt im einfachen Gewande der etwas zu kleinen und vollen Baronesse im höchsten Putz gegenüber. Sie trat bescheiden aber sicher auf, Clelia wollte sich anfangs Airs geben, dieses Bestreben zerbrach indessen sogleich an ihrem grundguten Wesen. Sie reichte verlegen-freundlich Lisbeth die Hand, setzte sich ins Sofa, ließ einen Sessel stellen und flüsterte Fancy zu, sie solle sich in ihrem Zimmer nebenan aufhalten. Als ob es zufällig geschähe, breitete sie ihr Taschentuch aus und entzog dadurch wenigstens die Pracht der Chatelaine und der Armbänder (denn sie wußte auch die linke Hand mit dem Tuche zu bedecken) den Blicken Lisbeths. Wie viel würde sie darum gegeben haben, wenn sie statt des Kaschmirkleides das von Mousseline-de-Laine angehabt hätte! Der volle Putz raubte ihr die Hälfte ihrer Festigkeit. Sie suchte eine Zeitlang vergebens nach einem schicklichen Anknüpfungspunkte des Gesprächs und so saßen beide, als Fancy sie allein gelassen hatte, eine Zeitlang schweigend einander gegenüber. Lisbeth sah vor sich hin und hatte keine Ahnung von dem, was folgen sollte, denn Clelia war ihr immer gütig begegnet.

Endlich sammelte sich diese so weit, um die Unterredung beginnen zu können. Sie sagte ihrem Besuche, daß bis jetzt der Gedanke an Oswalds Krankheit alle anderen Vorstellungen in den Hintergrund gedrängt habe, daß aber nun mit seiner Herstellung die Verhältnisse des Lebens in ihr Recht wieder einzutreten begännen, und daß sie daher wünsche über die Gestaltung der Zukunft mit ihr ein ebenso ernstes als vertrauliches Wort zu reden. - Da sie diesen Eingang zwar mit aller ihr zu Gebote stehenden Würde aber doch höchst liebreich vorgebracht hatte, so konnte Lisbeth denselben nur für eine Vorrede zu freundlichen Erklärungen ansehen. Schüchtern versetzte sie, daß die Baronesse ihr mit solchen Worten eine große Freude mache, und faßte nach Clelias Hand, um sie zu küssen. Indem sie aber ihre Lippen der Hand näherte, fiel ihr ein, wer sie durch Oswalds Liebe sei, sie richtete sich daher sanft auf und ließ die Hand Clelias fallen, welche ein Erstaunen über diesen Hergang nicht verbergen konnte.

»Nun also, mein Kind, wie soll denn das nun werden?« sagte Clelia, etwas verlegen mit dem Schal spielend.

Lisbeth errötete, senkte ihr Haupt wieder und versetzte: »Von der Zeit unserer Verbindung ist zwischen uns noch nicht die Rede gewesen, zwischen dem Grafen und mir.«

»Verbindung!« rief Clelia lebhaft. »Ei! Ei! mein liebes Kind, Sie sprechen ja von der Verbindung mit meinem Vetter, als sei diese eine ausgemachte und sich von selbst verstehende Sache.«

Lisbeth hob langsam ihr Antlitz empor, sah Clelien mit großen Augen an und fragte: »Wovon wollten Sie denn mit mir reden, gnädige Frau?«

Die Wirkung einer einfachen aber zur rechten Zeit angebrachten Frage ist oft groß. Clelia hatte sich auf eine begeisterte Versicherung, auf flammende Reden gefaßt gemacht und würde diesen Gluten mit gleichem Feuer begegnet sein. Nun aber sollte sie schlichtweg sagen, was sie wolle? und diese Zumutung setzt in vielen Lagen des Lebens in eine nicht geringe Verlegenheit. An ihr war jetzt die Reihe, die Augen niederzuschlagen; sie sprach, daß man es hätte ein Stottern nennen können: »Sie scheinen gar nicht erwogen zu haben, Lisbeth - denken Sie nur nicht, mein liebes Mädchen, daß ich Sie kränken will - Nein gewiß nicht - und wären Sie nur - so wäre ich ja voll Freude - indessen gibt es doch Dinge in der Welt - unwiderleglich vorhandene Dinge - Dinge, Lisbeth - mein Gott, Sie müssen mich ja wohl verstehen...«

»Ja, gnädige Frau, ich verstehe Sie nun«, sagte Lisbeth mit einem Tone als unterdrücke sie ein stilles Weinen.

»Auf denn also, Lisbeth, Mut!« rief Clelia, Atem schöpfend. - »Nur zeigen darf man einem so reinen Gemüte das Richtige, und es ergreift es. Die wahre Liebe liebt das Glück des Geliebten. Und das Glück? Ist es ein trunkener Augenblick, ist es die Aufwallung der Flitterwochen? Ach nein. Das wahre Glück besteht doch zuletzt nur in der Harmonie mit allen Verhältnissen des Lebens; in dem Gefühle von dieser Harmonie. Sie dem Gegenstande der Neigung unverstimmt zu lassen, das ist Liebe, das ist tugendhafte Liebe. Sie fühlen ja nun selbst, teure Lisbeth, was ich gern unausgesprochen lasse. - Es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. Mein Gott, wären Sie doch nur - aber - Sie empfinden es, wenn Sie meinen Vetter aufrichtig lieben, so dürfen Sie ihn nicht heiraten. Und nun kommen Sie, mein armes Kind, kommen Sie an meine Brust, und weinen Sie sich aus, denn wahrhaftig, ich weiß mit Ihnen zu empfinden.«


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