In Armentieres.
Des Juden Haus.
Rammler (mit einigen verkleideten Leuten, die er stellt. Zum letzten). Wenn jemand hineingeht, so huste ich will mich unter die Treppe verstecken, daß ich ihm gleich nachschleichen kann. (Verkriecht sich unter die Treppe.)
Aaron (sieht aus dem Fenster). Gad, was ein gewaltiger Camplat ist das unter meinem eignen Hause.
Mary (im Rocklor eingewickelt kommt die Gasse heran, bleibt unter des Juden Fenster stehen, und läßt ein subtiles Pfeifchen hören).
Aaron (leise herab). Sein Sie's, gnädiger Herr? (jener winkt.) Ich werde soglach aufmachen.
Mary (geht die Treppe hinauf. Einer hustet leise. Rammler schleicht ihm auf den Zehen nach, ohne daß der sich umsieht. Der Jude macht die Türe auf, beide gehen hinein).
(Der Schauplatz verwandelt sich in das Zimmer des Juden. Es ist stockdunkel. Mary und Aaron flüstern sich in die Ohren. Rammler schleicht immer von weitem herum, weicht aber gleich zurück, sobald jene eine Bewegung machen.)
Mary. Er ist hier drinne.
Aaron. O wai mer!
Mary. Still nur, er soll Euch kein Leides tun, laßt mit Euch machen, was er will, und wenn er Euch auch knebelte, in einer Minute bin ich wieder bei Euch mit der Wache, es soll ihm übel genug bekommen. Legt Euch nur zu Bette.
Aaron. Wenn er mich aber ams Leben bringt, he?
Mary. Seid nur ohne Sorgen, ich bin im Augenblick wieder da. Er kann sonst nicht überführt werden. Die Wache steht hier unten schon parat, ich will sie nur hereinrufen. Legt Euch (Geht hinaus. Der Jude legt sich zu Bette. Rammler schleicht näher hinan.)
Aaron (klappt mit den Zähnen). Adonai! Adonai!
Rammler (vor sich). Ich glaube gar, es ist eine Jüdin. (Laut, indem er Marys Stimme nachzuahmen sucht.) Ach, mein Schätzgen, wie kalt ist es draußen.
Aaron (immer leiser). Adonai!
Rammler. Du kennst mich doch, ich bin dein Mann nicht, ich bin Mary. (Zieht sich Stiefel und Rock aus.) Ich glaube, wir werden noch Schnee bekommen, so kalt ist es.
(Mary mit einem großen Gefolge Officieren mit Laternen stürzen herein, und schlagen ein abscheulich Gelächter auf. Der Jude richtet sich erschrocken auf.)
Haudy. Bist du toll geworden, Rammler, willst du mit dem Juden Unzucht treiben?
Rammler (steht wie versteinert da. Endlich zieht er seinen Degen). Ich will euch in Kreuzmillionen Stücken zerhauen alle miteinander. (Läuft verwirrt heraus. Die andern lachen nur noch rasender.)
Aaron. Ich bin wäs Gad halb tot gewesen. (Steht auf. Die andern laufen alle Rammler nach, der Jude folgt ihnen.)
Stolzius' Wohnung.
Er sitzt mit verbundenem Kopf an einem Tisch, auf dem eine Lampe brennt, einen Brief in der Hand, seine Mutter neben ihm.
Mutter (die auf einmal sich ereifert). Willst du denn nicht schlafen gehen, du gottloser Mensch! So red doch, so sag, was dir fehlt, das Luder ist deiner nicht wert gewesen. Was grämst du dich, was wimmerst du um eine solche Soldatenhure.
Stolzius (mit dem äußersten Unwillen vom Tisch sich aufrichtend). Mutter
Mutter. Was ist sie denn anders du und du auch, daß du dich an solche Menscher hängst.
Stolzius (faßt ihr beide Hände). Liebe Mutter, schimpft nicht auf sie, sie ist unschuldig, der Officier hat ihr den Kopf verrückt. Seht einmal, wie sie mir sonst geschrieben hat. Ich muß den Verstand verlieren darüber. Solch ein gutes Herz!
Mutter (steht auf und stampft mit dem Fuß). Solch ein Luder Gleich zu Bett mit dir, ich befehl es dir. Was soll daraus werden, was soll da herauskommen. Ich will dir weisen, junger Herr, daß ich deine Mutter bin.
Stolzius (an seine Brust schlagend). Mariel nein, sie ist es nicht mehr, sie ist nicht dieselbige mehr (Springt auf.) Laßt mich
Mutter (weint). Wohin, du Gottsvergessener?
Stolzius. Ich will dem Teufel, der sie verkehrt hat (Fällt kraftlos auf die Bank, beide Hände in die Höhe.) O du sollst mir's bezahlen, du sollst mir's bezahlen. (Kalt.) Ein Tag ist wie der andere, was nicht heut kommt, kommt morgen, und was langsam kommt, kommt gut. Wie heißt's in dem Liede, Mutter, wenn ein Vögelein von einem Berge alle Jahr ein Körnlein wegtrüge, endlich würde es ihm doch gelingen.
Mutter. Ich glaube, du phantasierst schon, (greift ihm an den Puls) leg dich zu Bett, Karl, ich bitte dich um Gottes willen. Ich will dich warm zudecken, was wird da herauskommen, du großer Gott, das ist ein hitziges Fieber um solch eine Metze
Stolzius. Endlich endlich alle Tage ein Sandkorn, ein Jahr hat zehn zwanzig dreißig hundert. (Die Mutter will ihn fortleiten.) Laßt mich, Mutter, ich bin gesund.
Mutter. Komm nur, komm, (ihn mit Gewalt fortschleppend) Narre! Ich werd dich nicht loslassen, das glaub mir nur. (Ab.)
In Lille.
Jungfer Zipfersaat. Eine Magd aus Weseners Hause.
Jungfer Zipfersaat. Sie ist zu Hause, aber sie läßt sich nicht sprechen? Denk doch, ist sie so vornehm geworden?
Magd. Sie sagt, sie hat zu tun, sie liest in einem Buch.
Jungfer Zipfersaat. Sag Sie ihr nur, ich hätt' ihr etwas zu sagen, woran ihr alles in der Welt gelegen ist.
(Marie kommt, ein Buch in der Hand. Mit nachlässigem Ton.)
Marie. Guten Morgen, Jungfer Zipfersaat. Warum hat Sie sich nicht gesetzt?
Jungfer Zipfersaat. Ich kam, Ihr nur zu sagen, daß der Baron Desportes diesen Morgen weggelaufen ist.
Marie. Was red'st du da? (Ganz außer sich.)
Jungfer Zipfersaat. Sie kann es mir glauben, er ist meinem Vetter über die siebenhundert Taler schuldig geblieben, und als sie auf sein Zimmer kamen, fanden sie alles ausgeräumt, und einen Zettel auf dem Tisch, wo er ihnen schrieb, sie sollten sich keine vergebliche Mühe geben, ihm nachzusetzen, er hab' seinen Abschied genommen, und wolle in österreichische Dienste gehen.
Marie (schluchzend läuft heraus und ruft). Papa! Papa!
Wesener (hinter der Szene). Na, was ist?
Marie. Komm Er doch geschwind herauf, lieber Papa!
Jungfer Zipfersaat. Da sieht Sie, wie die Herren Officiers sind. Das hätt' ich Ihr wollen zum voraus sagen.
Wesener (kommt herein). Na, was ist Ihr Diener, Jungfer Zipfersaat.
Marie. Papa, was sollen wir anfangen? Der Desportes ist weggelaufen.
Wesener. Ei sieh doch, wer erzählt dir denn so artige Histörchen.
Marie. Er ist dem jungen Herrn Seidenhändler Zipfersaat siebenhundert Taler schuldig geblieben, und hat einen Zettel auf dem Tisch gelassen, daß er in seinem Leben nicht nach Flandern wiederkommen will.
Wesener (sehr böse). Was das ein gottloses verdammtes Gered' (Sich auf die Brust schlagend.) Ich sag gut für die siebenhundert Taler, versteht Sie mich, Jungfer Zipfersaat? Und für noch einmal so viel, wenn Sie's haben will. Ich hab mit dem Hause über die dreißig Jahr verkehrt, aber das sind die gottsvergessenen Neider
Jungfer Zipfersaat Das wird meinem Vetter eine große Freude machen, Herr Wesener, wenn Sie es auf sich nehmen wollen, den guten Namen vom Herrn Baron zu retten.
Wesener. Ich geh mit Ihr, den Augenblick. (Sucht seinen Hut.) Ich will den Leuten das Maul stopfen, die sich unterstehen wollen, mir das Haus in übeln Ruf zu bringen, versteht Sie mich.
Marie. Aber, Papa (Ungeduldig.) Oh, ich wünschte, daß ich ihn nie gesehen hätte. (Wesener und Jungfer Zipfersaat geben ab. Marie wirft sich in den Sorgstuhl, und nachdem sie eine Weile in tiefen Gedanken gesessen, ruft sie ängstlich.) Lotte! Lotte!
(Charlotte kommt.)
Charlotte. Na, was willst du denn, daß du mich so rufst?
Marie (geht ihr entgegen). Lottgen mein liebes Lottgen (Ihr unter dem Kinn streichelnd.)
Charlotte. Na, Gott behüt', wo kommt das Wunder?
Marie. Du bist auch mein allerbestes Scharlottel, du.
Charlotte. Gewiß will sie wieder Geld von mir leihen.
Marie. Ich will dir auch alles zu Gefallen tun.
Charlotte. Ei was, ich habe nicht Zeit. (Will gehen.)
Marie (hält sie). So hör doch nur für einen Augenblick kannst du mir nicht helfen einen Brief schreiben?
Charlotte. Ich habe nicht Zeit.
Marie. Nur ein paar Zeilen ich laß dir auch die Perlen vor sechs Livres.
Charlotte. An wem denn?
Marie (beschämt). An den Stolzius.
Charlotte (fängt an zu lachen). Schlägt Ihr das Gewissen?
Marie (halb weinend). So laß doch
Charlotte (setzt sich an den Tisch). Na, was willst ihm denn schreiben Sie weiß, wie ungern ich schreib.
Marie. Ich hab so ein Zittern in den Händen schreib so oben oder in einer Reihe, wie du willst Mein liebwertester Freund.
Charlotte. Mein liebwertester Freund.
Marie. Dero haben in Ihrem letzten Schreiben mir billige Gelegenheit gegeben, da meine Ehre angegriffen.
Charlotte. Angegriffen.
Marie. Indessen müssen nicht alle Ausdrücke auf der Waagschale legen, sondern auf das Herz ansehen, das Ihnen wart wie soll ich nun schreiben.
Charlotte. Was weiß ich?
Marie. So sag doch, wie heißt das Wort nun?
Charlotte. Weiß ich denn, was du ihm schreiben willst.
Marie. Daß mein Herz und (Fängt an zu weinen, und wirft sich in den Lehnstuhl. Charlotte sieht sie an und lacht.)
Charlotte. Na, was soll ich ihm denn schreiben?
Marie (schluchzend). Schreib was du willst.
Charlotte (schreibt und liest). Daß mein Herz nicht so wankelmütig ist, als Sie es sich vorstellen ist's so recht?
Marie (springt auf, und sieht ihr über die Schulter). Ja, so ist's recht, so ist's recht. (Sie umhalsend.) Mein altes Scharlottel, du
Charlotte. Na, so laß Sie mich doch ausschreiben. (Marie spaziert ein paarmal auf und ab, dann springt sie plötzlich zu ihr, reißt ihr das Papier unter dem Arm weg, und zerreißt's in tausend Stücken.)
Charlotte (in Wut). Na, seht doch ist das nicht ein Luder eben da ich den besten Gedanken hatte aber so eine Canaille ist sie.
Marie. Canaille vous même.
Charlotte (droht ihr mit dem Dintenfaß). Du
Marie. Sie sucht einen noch mehr zu kränken, wenn man schon im Unglück ist.
Charlotte. Luder! warum zerreißt du denn, da ich eben im besten Schreiben bin.
Marie (ganz hitzig). Schimpf nicht!
Charlotte (auch halb weinend). Warum zerreißt du denn?
Marie. Soll ich ihm denn vorlügen? (Fängt äußerst heftig an zu weinen, und wirft sich mit dem Gesicht auf einen Stuhl.)
(Wesener tritt herein. Marie sieht auf und fliegt ihm an den Hals.)
Marie (zitternd). Papa, lieber Papa, wie steht's um Gottes willen, red Er doch.
Wesener. So sei doch nicht so närrisch, er ist ja nicht aus der Welt, Sie tut ja wie abgeschmackt
Marie. Wenn er aber fort ist
Wesener. Wenn er fort ist, so muß er wiederkommen, ich glaube, Sie hat den Verstand verloren, und will mich auch wunderlich machen. Ich kenne das Haus seit länger als gestern, sie werden doch das nicht wollen auf sich sitzen lassen. Kurz und gut, schick herauf zu unserm Notarius droben, ob er zu Hause ist, ich will den Wechsel, den ich für ihn unterschrieben habe, vidimieren lassen, zugleich die Kopei von dem Promesse de Mariage und alles den Eltern schicken.
Marie. Ach, Papa, lieber Papa! ich will gleich selber laufen, und ihn holen. (Läuft über Hals und Kopf ab.)
Wesener. Das Mädel kann, Gott verzeih' mir, einem Louis quatorze selber das Herz machen in die Hosen fallen. Aber schlecht ist das auch von Monsieur le Baron, ich will es bei seinem Herrn Vater schon für ihn kochen, wart du nur. Wo bleibt sie denn? (Geht Marien nach.)
In Armentieres.
Ein Spaziergang auf dem eingegangenen Stadtgraben. Eisenhardt und Pirzel spazieren.
Eisenhardt. Herr von Mary will das Semester in Lille zubringen, was mag das zu bedeuten haben? Er hat doch dort keine Verwandte, soviel ich weiß.
Pirzel. Er ist auch keiner von denen, die es weghaben. Flüchtig, flüchtig Aber der Obristlieutenant, das ist ein Mann.
Eisenhardt (beiseite). Weh mir, wie bring ich den Menschen aus seiner Metaphysik zurück (Laut.) Um den Menschen zu kennen, müßte man meines Erachtens bei dem Frauenzimmer anfangen.
Pirzel (schüttelt mit dem Kopf).
Eisenhardt (beiseite). Was die andern zuviel sind, ist der zu wenig. O Soldatenstand, furchtbare Ehlosigkeit, was für Karikaturen machst du aus den Menschen!
Pirzel. Sie meinen, beim Frauenzimmer das wär' grad, als ob man bei den Schafen anfinge. Nein, was der Mensch ist (Den Finger an die Nase.)
Eisenhardt (beiseite). Der philosophiert mich zu Tode. (Laut.) Ich habe die Anmerkung gemacht, daß man in diesem Monat keinen Schritt vors Tor tun kann, wo man nicht einen Soldaten mit einem Mädchen karessieren sieht.
Pirzel. Das macht, weil die Leute nicht denken.
Eisenhardt. Aber hindert Sie das Denken nicht zuweilen im Exerzieren?
Pirzel. Ganz und gar nicht, das geht so mechanisch. Haben doch die andern auch nicht die Gedanken beisammen, sondern schweben ihnen alleweile die schönen Mädgens vor den Augen.
Eisenhardt. Das muß seltsame Bataillen geben. Ein ganzes Regiment mit verrückten Köpfen muß Wundertaten tun.
Pirzel. Das geht alles mechanisch.
Eisenhardt. Ja, aber Sie laufen auch mechanisch. Die preußischen Kugeln müssen Sie bisweilen sehr unsanft aus Ihren süßen Träumen geweckt haben. (Gehen weiter.)
In Lille.
Marys Wohnung.
Mary. Stolzius als Soldat.
Mary (zeichnet, sieht auf). Wer da, (sieht ihn lang an und steht auf) Stolzius?
Stolzius. Ja, Herr.
Mary. Wo zum Element kommt Ihr denn her? und in diesem Rock? (Kehrt ihn um.) Wie verändert, wie abgefallen, wie blaß? Ihr könntet mir's hundertmal sagen, ihr wärt Stolzius, ich glaubt' es Euch nicht.
Stolzius. Das macht der Schnurrbart, gnädiger Herr. Ich hörte, daß Ew. Gnaden einen Bedienten brauchten, und weil ich dem Herrn Obristen sicher bin, so hat er mir die Erlaubnis gegeben, hierherzukommen, um allenfalls Ihnen einige Rekruten anwerben zu helfen, und Sie zu bedienen.
Mary. Bravo! Ihr seid ein braver Kerl! und das gefällt mir, daß Ihr dem König dient. Was kommt auch heraus bei dem Philisterleben. Und Ihr habt was zuzusetzen, Ihr könnt honett leben, und es noch einmal weit bringen, ich will für Euch sorgen, das könnt Ihr versichert sein. Kommt nur, ich will gleich ein Zimmer für Euch besprechen, Ihr sollt diesen ganzen Winter bei mir bleiben, ich will es schon gut machen beim Obristen.
Stolzius. Solang ich meine Schildwachten bezahle, kann mir niemand was anhaben. (Gehen ab.)