ERNST

Das ist sehr traurig, aber leider doch sehr vermutlich.

FALK

Nur vermutlich ?

ERNST

Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen hast, das alle Staaten einerlei Verfassung hätten, dass sie auch wohl eine einerlei Religion haben könnten. Ja, ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne einerlei Religion auch nur möglich ist.

FALK

Ich ebensowenig. - Auch nahm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlässig ebenso unmöglich als das andere. Ein Staat : mehrere Staaten. Mehrere Staaten : mehrere Staatverfassungen. Mehrere Staatverfassungen : mehrere Religionen.

ERNST

Ja, ja, so scheint es.

FALK

So ist es. - Nun sieh da das zweite Unheil, welches die bürgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen ; nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen.

ERNST

Und wie schrecklich diese Klüfte sind ! wie unübersteiglich oft diese Scheidemauern !

FALK

Lass mich noch das dritte hinzufügen. Nicht genug, dass die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Völker und Religionen teilet und trennet. - Diese Trennung in wenige grosse Teile, deren jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch immer noch besser als gar kein Ganzes. Nein, die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche fort.

ERNST

Wieso ?

FALK

Oder meinest du, dass ein Staat sich ohne Verscheidenheit von Ständen denken lässt ? Er sei gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weiniger nahe : unmöglich können alle Glieder desselben unter sich das nämliche Verhältnis haben. - Wenn sie auch alle an der Gestzgebung Anteil haben, so können sie doch nict gleichen Anteil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben. - Wenn anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich verteilet worden, so kann diese gleiche Verteilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Einer wird sein Eigentum besser zu nutzen wissen als der andere. Einer wird sein schlechter genutztes Eigentum gleichwohl unter mehrere Nachkommen zu verteilen haben als der andere. Es wird also reichere und ärmere Glieder geben.

ERNST

Das versteht sich.

FALK

Nun überlege, wieviel Uebel es in der Welt wohl gibt, das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat.

ERNST

Wenn ich dir doch widersprechen könnte ! - Aber was hatte ich für Ursache, dir überhaupt zu widersprechen ? - Nun ja, die Menschen sind nur durch Trennung zu vereinigen ! nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalten ! Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein.

FALK

Das sage ich eben !

ERNST

Also, was willst du damit ? Mir das bürgerliche Leben dadurch verleiden ? Mich wünschen machen, dass den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie möge gekommen sein ?

FALK