Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich hörte: Als Abu Seid nun hinaus war über die neunmal neun – und dünner wurden die Mähnen dem alten Leun, – dachte er, in einem Anfall von Schwächlichkeit, – an des menschlichen Lebens Zerbrechlichkeit – und befand, es sei das best' am End' – auch zu machen ein Testament. – So ließ er denn seinen Sohn vor sich kommen, – nachdem er seine Sinne zusammengenommen, – und sprach: Mein Söhnlein! ich werde nun bald ziehn mit den Schwalben – und mein Auge mit der schwarzen Schminke des Todes salben. – Du aber warst durch Gottes Gnade meines Alters Stab – und wirst nach mir bleiben die Blum' auf meinem Grab. – Du warst mein Schildhalter und Handreicher – und bleibst mein Stammhalter und Nachfolger auf dem Throne der Landstreicher, – der fechtenden Sassansbrüder Vorfechter – und ihrer Ehrenburg Thorwächter, – der Leitstier ihrer vielzerstreuten Herde – und der Leitstern ihrer Wanderungen über die Erde. – Du bist nun zwar nicht der Thor, – den die Mahnung muß zupfen beim Ohr; – doch Gott hat gesagt: Mahn in alle Wege, denn du bist ein Mahner;1)– und bahne die Stege, denn du bist der Bahner. – Und die Ermahnung ist der Gemütesfalten Plätt- und Glättstein – und der Geistesscharten Wetzstein. – So will ich denn um deines Besten willen – dir überliefern meinen letzten Willen – mit Lehren, dergleichen nicht Seth2) hinterließ, – und mit Segen, wie ihn nicht Jakob verhieß. – Und wie du in treuem Gedächtnis – wirst behüten mein Vermächtnis – und dich vor Übertretung hüten, – so behüten dich Gottes Güten, – daß grün sei dein Strauch – und voll dein Schlauch – angenehm geachtet dein Hauch – und hochsteigend deines Feuers Rauch. – Doch wie du verschmähest meine Suren3) – und nicht gehest auf meinen Spuren, – so sei leer deine Flasche – und löcherig deine Tasche – und wenig deiner Herdesasche.4) – Mein Söhnlein! ich habe versucht meine Schwinge – und geprobt meine Klinge – und mir geprüft die menschlichen Dinge, – habe schätzen lernen den Mann nach seinem Stadel,5) – nicht nach seinem Adel, – nach seinen Kasten und Kisten – nicht nach seinen Ahnenlisten, – und befunden, daß es ankommt auf den Verstand, – nicht auf den Stand, – auf die Drittel6) und die Mittel, – nicht auf den Kittel und den Titel. – Eingeteilt hat, wer sich verstand auf Leute, – die Welt in vier Stände: der Raufleute, – der Kaufleute, Schnaufleute und Laufleute. – Die Raufleute sind die zum Leuteraufen – berufenen Kriegs- und Friedensbeamtenhaufen. – Doch ich fand, daß, wenn sie ihren Strauß gerauft, – sie selber werden ausgerauft. – Sie schweben auf den grünen Matten – als der Gnadensonne7) Schatten, – die sich lassen von ihrem Blick regieren – und, wenn sie untergeht, sich in die Nacht verlieren. – Ich lernte: Was gefällt, das fällt, – und was angestellt wird, wird auch wieder abgestellt; – und es schreckt mich von der Süßigkeit der Angewöhnung – ab die Verdrießlichkeit der Abgewöhnung.8) – Die Kaufleute aber haben keine Ruhe der Gemüter, – sowie keine der Güter; – alle Stürme und Riffe – lauern auf ihre Schiffe, – und auf ihre Karawanenkameltriebe – alle Zöllner und Gaudiebe. – Wie schlimm ist, daß sie selber kein Teil haben – an den Schätzen, die sie für andre feil haben; – und wie übel, daß sie verkaufen müssen, – was andre erkaufen zu Genüssen. – Die Schnaufleute aber sind die Feldbauer, – denen wird Gottes Welt sauer, – und ihr Ruhm ist nicht weit erschollen, – weil sie haften an ihren Schollen, – wo sie kämpfen mit Schnecken – und Heuschrecken, – düngen mit ihrem Schweiß ihren Acker – und ernten ihren Fleiß für ihre Placker. – Die Armen gleichen den Lasttieren – und die Reichen den Masttieren, – die man aufspart zum Gastieren. – Endlich die Laufleute sind die Beispringer, – die Handlanger und Herbeibringer, – die da Künste treiben und Handwerke, – ernste Geschäfte und Tandwerke. – Von diesen allen fand ich kein ersprießliches, – unverdrießliches, nutznießliches, – kein gnügliches und vergnügliches, – überall fügliches, niemals trügliches, – als das Handwerk, das Sassan gegründet – und zunftmäßig geründet, – seine Ordnung der Welt verkündet – und seine zerstreuten Glieder zu einem Leib verbündet, – als eine Genossenschaft freier, standgleicher, – unter sich verbandreicher Handreicher, – Landstreicher und Landschleicher. – Ich habe sie kennen gelernt nach ihren Standesarten – und mich ausgezeichnet unter ihren Standarten – und habe gefunden, daß dieses das Handwerk ist, das überall geht, – die Mühle, die nie stille steht, – der Brunnen, welcher nie versiegt, – der Handel, der nie darnieder liegt, – der in allen Nächten fliegende Leuchtwurm, – der von jedem Orte sichtbare Leuchtturm, – die Fackel der Leitung, die leuchtet den Blinden, – das Panier, zu dem sich die Lahmen finden. – Ihre Verbindung ist die weiteste – und ihr Stamm der ausgebreitetste, – überall gastend – und nirgends rastend, – bald nah, bald fern, – sie wandeln in den Lüften wie der Stern – und haben auf Erden keinen Herrn. – Sie fürchten nicht den Sultan, – doch nehmen sie seine Huld an; – sie fürchten nicht der Beamten Donner und Blitz, – denn sie haben keinen Sitz – und keinen Besitz als ihren Witz. – Sie sind es, die nirgends zu Hause sind. – weil sie überall beim Schmause sind, – sie, die ohne ein Körnlein zu streuen, – sich des täglichen Brotes erfreuen, – wie die Vögel, die in der Frühe hungrig aufstehn – und abends satt in die Wipfel hinaufgehn.9) – Da sprach der Sohn: Mein Vater! – du hast gesprochen als ein treuer Berater, – doch hast du dich nur gefasset kurz; – mache länger der Rede Schurz, – mich unterrichtend, wie ich das Geschäfte soll fassen beim Schopf, – mich belehrend, wie man am Fische isset den Kopf.10) – Er sprach: Das Hauptstück der Kunst ist Regsamkeit – und Bewegsamkeit, – und ihre Hilfsmittel sind Durchtriebenheit – und Abgeriebenheit, – behende Schmächtigkeit ohne Feistigkeit, – kurze Bedächtigkeit und große Dreistigkeit, – dann ein quecksilbernes Gehirne – und eine eherne Stirne. – Denn wer sich scheut – ist nicht gescheit; – und wer nicht ist ruhlos und rastlos, – dessen Schiff ist mastlos, – dessen Baum astlos und bastlos. – Dein Rock soll heißen Gramlos – und dein Stock Schamlos – und dein Name Namlos. – Sei rascher als Wolkenzug – und überraschender als Heuschreckenflug, – muntrer als das Reh im Mondschein11) – und lebhafter als die Eidechs' im Sonnschein. – Scheue nicht Mühe und Stäte – frühe oder späte! – Denn schürst du dein Feuer, so wird es brennen, – rührst du dein Steuer, so wird dein Schifflein rennen, – und führst du in deine Scheuer, so wirst du haben auf deiner Tennen. – Du sollst deinen Eimer hängen in jeden Bronnen – und an jedem Zaun deine Wäsche sonnen; – jeden Strauch sollst du rütteln – und jeden Baum im Vorbeigehn schütteln, – dir Pfeifen schneiden aus jedem Rohre – und vorbeigehn keinem offnen Thore. – Denn am Stab unsres Ältesten Sassan stand geschrieben: »Wer langt, erlangt; – wer säumt, versäumt,« – Und fliehe die Trägheit wie eine häßliche Schramme! – denn sie ist die Wurzel zu der Armut Stamme, – der Hilfsbedürftigkeit Mutterwamme, – der Ratlosigkeit Stillamme, – der Dämpfer der Geistesflamme; – jeder Funken erstickt in ihrem feuchten Schwamme, – und jeder, der wandelt auf ihrem Damme, – versinkt im Schlamme. – Drum plaudre nicht – und schlaudre nicht, – und zaudre nicht – und schaudre nicht. – Zage nicht, sondern wage!– frage nicht, sondern jage! – Denn der Zweifel erörtert nicht, – und die Bedenklichkeit fördert nicht. – Wer lange sinnt, beginnt nicht behende, – und wer nicht beginnt, gewinnt nicht das Ende. – Und das Sprichwort sagt: Wer wagt, macht Kehraus, – wer zagt, geht leer aus. – So sei nicht träge wie ein Faultier, – sondern unermüdlich wie das Maultier, – kühn wie der Aar, – beredt wie der Star, – listig wie der Fuchs, – scharfsichtig wie der Luchs, – behend wie das Wiesel, – unverwüstlich wie der Kiesel, – gewandt wie die Schlange, – packend wie die Zange, – glatt wie der Aal – und fest wie der Stahl. – Sei nicht spröde – und nicht blöde! – denn Blödigkeit bleibt mager, – und Sprödigkeit hat ein kaltes Lager. – Sondern sei keck wie die Ziege, – unabweislich wie die Fliege, – unentfliehbar wie die Bremse, – unverfolgbar wie die Gemse – und unermüdbar wie die Ämse,12) – habgierig wie der Geier, – hochfliegend wie der Reiher, – wanderlustig wie die Störche, – stets frohen Muts wie die Lerche, – wie der Hahn früh und spät auf der Wacht, – wie der Adler im Sonnenlicht und wie der Kauz in der Nacht. – Sei stets auf den Beinen wie ein Kreisel, – stets im Schwung wie eine Geißel, – stets mitten im Schwarm wie ein Weißel. – Sei in der Luft wie ein Pfeil – und in der Kluft wie ein Keil, – allwärts rund wie die Kugel, – stets auf dem Flug wie ein Vogel, – und an jedem Flecke – in deinem Haus wie die Schnecke. – Wechsle Farben wie der Hals der Taube – und schillere wie die Traube, – und schlage deiner Rede bunten Reif – wie einen Pfauenschweif.– Lerne Worte schmücken – und Ohren entzücken – und Herzen berücken. – Scheue keine Lüge – und fürchte keine Rüge. – Richte dein Glockenspiel nach dem Wind – und dein Puppenspiel nach dem Kind. – Es giebt einen Brocken für jeden Köter13) – und für jeden Fisch einen Köder. – Lerne, wie man den Igel anfaßt, ohne sich zu stechen, – und das Siegel löst, ohne es zu zerbrechen, – wie man die Nessel angreift, ohne sich zu brennen, – und die Fessel abstreift, ohne sie zu trennen. – Halte den Aal nicht beim Schwanze – und nicht bei der Spitze die Lanze. – Eh du melkest, streichele; – und eh du bittest, schmeichele. – Komm nicht nach dem Schmaus – und nicht, wann der Markt ist aus. – Sattle das Pferd, eh du reitest, – und schnalle den Schuh, eh du schreitest. – Schwimme nicht stroman;– fürchte dich vor keinem Strohmann. – Vortritt ist besser als Nachtritt, – Frühritt besser als Nachtritt. – Schaue nach dem Ziele – und scheue nicht die Schwiele. – Gehe nicht schräg – nach dem, was dir liegt auf dem geraden Weg; – aber wo es nicht geht auf dem graden, – da geh getrost auf den Seitenpfaden. – Denn nicht umgeht die gute Krümme, – aber krumm geht's dem Ungestüme. – Du sollst dich keinen vergeblichen Gang lassen reuen – und keinen zweiten scheuen; – denn nicht auf einen Hieb fällt ein Stamm, – und der Wolf holt auf einmal nur ein Lamm. – Darum nimm fürlieb wie ein Taubenkröpfchen, – das vom Platzregen nur schluckt ein Tröpfchen, – und sei begnügsam wie das Zeischen, – das sein Nest baut aus kleinen Reischen. – Nimm für Grünes das Fahle – und für Breites das Schmale; – nimm für Frisches das Schale – und für Neues das Kahle, – und danke dem Geber auch für eine Nußschale. – Auch laß dich Abschlagung nicht grämen – und Abweisung nicht lähmen; – gieb die Hoffnung nicht auf, daß in Felsquadern – sich verbergen Quelladern, – und verzweifle, so lang ein Weg dir frei stand, – nicht an Gottes Beistand! – »denn an Gottes Beistand verzweifeln allein die Ungläubigen.«14) – Doch wo du zu wählen hast zwischen morgen und heut', – zwischen dem, was man verspricht, und dem, was man beut', – so wisse: besser ist jeder Handel bar; – denn Menschensinn und Geschick ist wandelbar. – Zwischen heut und morgen sind Grüfte – und zwischen Versprechen und Erfüllen Klüfte. – Du aber gehe nicht tiefer ins Wasser, als fester Sand ist, – und lange nicht höher, als deine Hand ist; – mische Wasser unter den Saft der Reben – und Sparen unter das Ausgeben: – und da, wo dir die Nahrung ausgeht, gehe geschwindest; – denn dein Vaterland ist da, wo du Weide findest. – Sei überall gewandt und verschlagen, – so kann es dir nichts verschlagen. – wohin dich die Winde verschlagen; – niemand wird dich verschlagen.
Hier nimm ein Testament, desgleichen |
Dann sprach er: Mein Söhnlein – hier ist mein Rat, – bei dir steht die That; – bist du gehorsam, wohl geschehe dir! – doch bist du ungehorsam, wehe dir! – Ich stelle dich mit dieser Kundschaft – unter Gottes Vormundschaft – und hoffe, du wirst nicht täuschen über meinem Grabe – die gute Meinung, die ich von dir habe. – Da sprach der Sohn: Mein Väterchen! nie sei abgebrochen dein Zelt, – noch von dir geräumt die Welt. – Aber deine Worte – sind mir Horte, – deine Sprüche – Wohlgerüche, – deine Reden – goldne Fäden. – Und sollte nach dir atmen diese Brust – (nie müsse ich kosten deinen Verlust!), – so werde ich handeln nach deiner Handlungen Richtschnur – und wandeln auf deines Wandels Richtspur, – daß man sagen soll: O wie zeigt sich der Sauerteig im Brot! – wie kehrt das Morgenrot wieder im Abendrot! – Da freute sich Abu Seid, lächelte und sprach: – Seinem Vater zu gleichen ist keine Schmach.16) – Hareth Ben Hemmam erzählt: Ich erfuhr, daß alle Kinder von Sassan, – als sie hörten dies Testament, es nahmen zum Maß an, – dessen Lehren sie über die Lehren Lokmans17) schätzten – und neben die Mutter des Korans18) setzten, – sodaß sie noch jetzt es einprägen ihren Kindern, – es ihnen für nützlicher haltend als goldene Flindern.