(Der Wald und Timons Höle.)
Flavius tritt auf.
Flavius.
O ihr Götter, ist jener verworfne, zerstörte Mann mein
Herr? So abgezehrt, so eingefallen! O! ein Denkmal, ein Wunder
von übelangewandten Gutthaten! Was für eine Veränderung
hat eine verzweiflungsvolle Dürftigkeit in seiner Gemüthsart
gemacht! Was für ein schändlicheres Ding ist auf der
Erde als Freunde, die das edelste Gemüth zu einem solchen
Verfall bringen können! Wie wohl schikt sich das Gebott,
daß wir unsre Feinde lieben sollen*, für unsre Zeiten!
Wenn es mir auch frey stünde, wollt' ich sie doch eher lieben
als Schmeichler. - - Er hat mich wahrgenommen; ich will ihm meinen
redlichen Kummer zeigen, und bis zum lezten Athemzug sein treuer
Diener bleiben. (Timon kommt aus seiner Höle hervor.)
Mein theurester Herr.
Timon.
Weg! Wer bist du?
Flavius.
Habt ihr mich vergessen, mein Herr?
Timon.
Wie magst du fragen? Ich habe alle Menschen vergessen; wenn du
also gestehen mußt, das du ein Mensch bist, so hab ich dich
vergessen.
Flavius.
Ein ehrlicher Diener - -
Timon.
So kenn ich dich nicht: ich habe niemals ehrliche Leute um mich
gehabt; alle die ich hatte waren Spizbuben, um Galgenschwengeln
beym Essen aufzuwarten.
Flavius.
Die Götter sind Zeugen, daß niemals ein armer Verwalter
einen aufrichtigern Schmerz für seinen zu Grunde gerichteten
Herrn gefühlt hat, als meine Augen für euch.
(Er weint.)
Timon.
Wie? weinst du? Komm näher, so will ich dich denn lieben,
weil du ein Weib bist; du kanst aus Mitleiden weinen; das kan
das kieselsteinerne Herz des männlichen Geschlechts nicht;
wenn ihre Augen übergehen, so geschieht es vor Lachen oder
böser Lust.
Flavius.
Ich bitte euch, mein gütiger Herr, mich nicht abzuweisen,
und mir zu verstatten, daß ich euern Kummer theile, und
so lange dieser arme Reichthum daurt, (er zeigt ihm einen
Beutel mit Geld,) euer Verwalter bleibe.
Timon.
Hatt' ich einen Verwalter, der so getreu, so redlich, und nun
so hülfreich ist? Diß könnte mein verwildertes
Gemüth beynahe zahm machen. Laß mich dein Gesicht sehen;
wahrlich, dieser Mann ist von einem Weibe gebohren. Verzeihet
mir mein allgemeines, keine Ausnahme machendes, zu rasches Urtheil,
ihr unsterblichen, weisen Götter! Ich gestehe nun einen ehrlichen
Mann zu; verstehet mich wol, nur Einen; keinen mehr, ich bitte
euch; und der einzige ist ein Verwalter! Wie gerne wollt' ich
das ganze Menschen-Geschlecht gehasset haben, und du kaufst dich
los; doch alle andre, dich ausgenommen, mögen meine Flüche
treffen! Mich däucht, du seyest mehr ehrlich als klug; denn,
wenn du mich betrogen und verrathen hättest, so hättest
du desto bälder eine andre Bedienstung erhalten können;
viele kommen auf diese Art zu ihren zweyten Herren, auf ihres
ersten Herrn Naken. Aber sage mir aufrichtig, (denn ich muß
immer zweifeln, ob ich gleich niemals weniger Ursach dazu hatte;)
ist nicht diese deine Zärtlichkeit listig und eigennüzig,
eine wuchernde Zärtlichkeit, wie reiche Leute Geschenke machen,
um zwanzig mal so viel dafür zurük zu bekommen?
Flavius.
Nein, mein würdiger Herr, (in dessen Brust Zweifel und Argwohn,
ach leider! zu spät Plaz nehmen;) ihr hättet falsche
Freundschafts-Versicherungen vermuthen sollen, da ihr Bankette
gabt. Das was ich euch zeige, der Himmel weiß es, ist lauter
Liebe, Pflicht und Ergebenheit gegen ein Herz, das seines gleichen
nicht hat, Sorge für euern Unterhalt und euer Leben; und
glaubt mir, es ist kein Vortheil weder gegenwärtig, noch
den ich hoffen könnte, den ich nicht um diesen einzigen Wunsch
vertauschen wollte, euch wieder in Glük und Wohlstand zu
sehen.
Timon.
Gut, ich glaube dir, es ist so; du einzelner ehrlicher Mann, hier,
nimm. (Er giebt ihm einen Sak mit Gold.) Die
Götter haben dir aus meinem Elend einen Schaz zugeschikt.
Geh, lebe reich und glüklich; aber mit dieser Bedingung,
daß du von den Menschen abgesondert wohnen sollst. Haß'
alle, verwünsch' alle, thue keinem Gutes; laß einem
Bettler eh sein verhungertes Fleisch von den Knochen fallen, eh
du ihm ein Almosen gäbest. Gieb den Hunden, was du den Menschen
versagst. Daß Gefängnisse sie verschlingen, daß
sie in Schulden verderben, daß die Menschen einem verdorrten
Walde gleich sehen, und verpestete Krankheiten ihr falsches Blut
aufleken! Und hiemit lebe wohl, und gedeyhe!
Flavius.
O laßt mich bey euch bleiben, mein gütiger Herr, und
euch unterstüzen - -
Timon.
Wenn du meinem Fluch ausweichen willst, so säume dich nicht,
flieh; flieh, weil du noch gesegnet und frey bist. Sieh du keinen
Menschen mehr, und laß dich nimmer vor mir sehen.
(Sie gehen auf verschiedne Seiten ab.)
* Hier vergißt unser Autor, daß seine Personen keine
Christen sind, noch seyn können; kein Wunder, da er durch
das ganze Stük vergessen hat, daß sie Athenienser sind.