Flavius und zween Senatoren treten auf.
Flavius.
Es ist umsonst, wenn ihr den Timon sprechen wollt; denn er ist
so gänzlich auf sich allein eingeschränkt, daß
er nichts was einem Menschen gleich sieht, ausser sich selbst,
um sich leiden kan.
1. Senator.
Führt uns zu seiner Höle; es ist unser Auftrag, und
wir haben uns den Atheniensern dazu verpflichtet, mit Timon zu
reden.
2. Senator.
Die Menschen sind nicht zu allen Zeiten gleich; Umstände
und Kummer haben ihm diesen Humor gegeben; die Zeit, die ihm nun
die Glükseligkeiten seiner ehmaligen Tage wieder anbietet,
kan ihn wieder zu dem vorigen Mann machen; führt uns zu ihm,
es mag gehen wie es will.
Flavius.
Hier ist seine Höle! Fried' und Zufriedenheit wohne hier,
Lord Timon! Timon, schaue heraus, und rede mit Freunden; die Athenienser
grüssen dich durch zwey Mitglieder ihres höchst ehrwürdigen
Senats; rede mit ihnen, edler Timon.
Timon kommt aus seiner Höle heraus.
Timon.
Du Sonne, anstatt zu erquiken, brenne! - - Redet, und dann geht
an den Galgen! wenn ihr für jedes wahre Wort eine Blatter
kriegtet, und für jedes falsche bis auf die Wurzel eurer
Zunge gebrannt würdet, so würd' euer Vortrag nicht lange
dauern.
1. Senator.
Würdiger Timon - -
Timon.
Ja, solcher Leute würdig wie ihr seyd, und ihr des Timons.
2. Senator.
Die Senatoren von Athen grüssen dich, Timon.
Timon.
Ich dank' ihnen, und wollt' ihnen die Pest dafür zurük
schiken, wenn ich sie kriegen könnte.
1. Senator.
O vergiß dessen, an was wir selbst ohne Schaam und Kummer
nicht denken können; die Senatoren ruffen dich mit einhelliger
Freundschaft nach Athen zurük, und sind darauf bedacht, dich
mit den ansehnlichsten Ehrenstellen zu überhäuffen,
die für dich erledigt ligen.
2. Senator.
Sie bekennen, daß ihre Unachtsamkeit auf deine Verdienste
zu allgemein, zu groß gewesen; die ganze Republik, (die
sonst selten Palinodien zu singen pflegt,) hat durch das Gefühl,
wie sehr ihr Timon mangelt, eine lebhafte Empfindung von dem Unrecht
bekommen, das sie sich selbst angethan, indem sie dem Timon ihren
Beystand entzogen; und sendet uns nun, dir darüber ihre reuvolle
Bekümmerniß zu bezeugen, und dir zugleich einen Ersaz
anzubieten, den ihr Vergehen nicht um eine Drachme überwiegen
soll; ja so überhäufte Summen von Liebe, Ansehn und
Reichthum, daß sie jede Spur der vergangnen Kränkungen
in deinem Andenken auslöschen, und die Figuren ihrer Liebe
so tief in dich eindrüken sollen, daß sie auf ewig
unauslöschlich dauern werden.
Timon.
Ihr bezaubert mich, überrascht mich durch eure Beredsamkeit
beynahe zu Thränen; leiht mir eines Narren Herz, und die
Augen eines Weibs, so will ich über diese tröstlichen
Sachen weinen, würdige Senatoren.
1. Senator.
Laß dir also gefallen mit uns zurük zu kehren, und
die Ober-Befehlhabers-Stelle über unser Athen, dein und unser
Athen, anzunehmen: Du sollt mit allgemeinen Dankbezeugungen eingeholt,
und mit dem völligen Ansehn der höchsten Gewalt bekleidet
werden; so werden wir bald die wilden Anfälle des Alcibiades
zurük getrieben haben, der izt, wie ein ergrimmter Bär,
den Frieden seines Vaterlands aufwühlt,
2. Senator.
und sein dräuendes Schwerdt gegen die Mauern von Athen gezükt
hält.
1. Senator.
Daher, Timon - -
Timon.
Gut, mein Herr, ich will; daher will ich, mein Herr; so, nemlich
- - Wenn Alcibiades meine Landsleute umbringt, so laßt den
Alcibiades vom Timon dieses wissen, daß Timon sich nichts
darum bekümmert. Wenn er das schöne Athen zu einem Steinhauffen
macht, wenn er eure wakern alten Männer bey den Bärten
zieht, und eure keuschen Jungfrauen der Beflekung des schaamlosen,
viehischen, wüthenden Kriegs Preiß giebt, so laßt
ihn wissen - - und sagt ihm, Timon hab' es gesagt - - Aus Mitleiden
mit euern Alten und mit eurer Jugend kan ich nicht anders als
ihm sagen lassen, daß ich - - nichts darnach frage. Und
laßt es ihn im schlimmsten Sinn nehmen als er will, denn
ihre Messer fragen auch nichts darnach, daß ihr Gurgeln
zum Antworten habt. Was mich selbst betrift, so ist in seinem
ganzen zaumlosen Lager kein so kleines Taschen-Messer, das ich
nicht höher schäze und liebe, als die ehrwürdigste
Gurgel in Athen. Und hiemit überlaß ich euch der Obhut
der Götter, wie Diebe ihren Hütern.
Flavius.
Bleibet nicht länger, es ist alles umsonst.
Timon.
Wie, ich war eben im Begriff, meine Grabschrift zu schreiben;
morgen wird man sie sehen können. Meine lange Krankheit an
Gesundheit und Leben fängt an sich zu bessern, und Nichts
bringt mir Alles. - - Geht, lebt immerhin; Alcibiades sey eure
Geissel, ihr die seinige; und so daurt einander aus, so lang es
möglich ist!
1. Senator.
Alles, was wir reden könnten ist umsonst.
Timon.
Und doch lieb' ich mein Vaterland noch; und bin keiner, der an
dem allgemeinen Schiffbruch seine Freude hat, wie die Sage von
mir geht.
1. Senator.
Das ist wol gesprochen.
Timon.
Empfehlt mich meinen werthesten Mitbürgern.
1. Senator.
Das sind Worte, die euern Lippen wol anstehen!
2. Senator.
Und in unsre Ohren, wie triumphierende Sieger durch ihre zujauchzenden
Thore, eingehen.
Timon.
Empfehlt mich ihnen, und sagt ihnen, um ihnen in ihren bekümmerten
Umständen, ihrer Furcht vor feindlichen Streichen, ihren
Drangsalen, ihrem grossen Verlust, ihren Liebes-Aengsten, und
andern dergleichen zufälligen Wehen, die das zerbrechliche
Gefäß der menschlichen Natur in der ungewissen Reise
des Lebens auszustehen hat, einige Linderung zu verschaffen, woll'
ich ihnen noch eine Probe von meiner gütigen Gemüthsart
geben, und ihnen ein Mittel sagen, wodurch sie dem Grimm des Alcibiades
zuvorkommen können.
2. Senator (leise.)
Das geht ganz gut; er wird mit uns zurük kommen.
Timon.
Ich habe einen Baum, der hier in meinem Einfang wächßt,
und den ich zu meinem eignen Gebrauch nächstens fällen
muß. Sagt meinen Freunden, den Atheniensern, allen ohne
Ausnahm, von dem Höchsten bis zum Niedrigsten; daß
ein jeder der Lust habe, allem seinem Leid ein Ende zu machen,
unverzüglich hieher kommen, und eh noch mein Baum die Axt
gefühlt hat, sich daran aufhängen soll - - Ich bitte
euch, richtet es wohl aus.
Flavius.
Beunruhigt ihn nicht länger, ihr werdet ihn nie anders finden.
Timon.
Kommt nicht wieder zu mir, sondern sagt den Atheniensern: Timon
habe seine immerwährende Wohnung an dem äussersten Strande
der gesalznen Fluth genommen, wo die ungestümen Wellen sie
alle Tage einmal mit ihrem schwellenden Schaum bedeken werden.
Dahin kommt, und laßt meinen Grabstein euer Orakel seyn.
Schliesset euch nun, meine Lippen, und macht euern Verwünschungen
ein Ende; Pest und Verderben vollende, was ihr vergessen habt;
Gräber allein seyen der Menschen Arbeit, und Tod ihr Gewinn!
Sonne, verbirg deine Stralen! Timon hat seinen Lauf vollbracht.
(Timon geht ab.)
1. Senator.
Sein Unwille und Gram ist auf eine unzertrennliche Art mit seinem
Wesen zusammengewachsen.
2. Senator.
Unsre Hoffnung auf ihn ist todt; laßt uns zurük kehren,
und sehen, was für andre Mittel uns in dieser äussersten
Gefahr noch übrig sind.
1. Senator.
Wir haben keinen Augenblik zu versäumen.