Die Höle der Räuber im Walde.
Valentin tritt auf.
Valentin.
Wie groß die Macht der Gewohnheit ist! Diese schattenvolle
Einöde, diese unbewohnte Wildniß ist mir angenehmer
als die schönste, volkreicheste Stadt. Hier kan ich allein
sizen, und von niemand gesehn zu der Nachtigall traurenden Tönen
meine Klagen stimmen, und der Erinnerung meines Unglüks nachhängen.
O du, deren Bild in meiner Brust wohnt, und dadurch allein das
verfallende Wohnhaus meines Geistes vor gänzlichem Einsturz
bewahrt! O Silvia, stelle mich durch deine Gegenwart wieder her;
holde Nymphe, tröste deinen verlohrnen Hirten! - - wie laut
und wie unruhig ist's heut in diesem Walde! Es sind meine Cameraden,
die ihre Begierden zu ihrem Gesez machen; vermuthlich haben sie
etliche unglükliche Reisende in der Heze. Sie lieben mich
sehr, und doch hab' ich genug zu thun, sie von unmenschlichen
Gewaltthätigkeiten zurük zu halten. Entferne dich, Valentin;
wer kommt hier?
Protheus, Silvia und Julia treten auf.
Protheus.
Madam, ich habe euch (so wenig ihr auch auf irgend etwas, das
ich für euch thue, Achtung macht,) den Dienst gethan, euch
mit Gefahr meines eignen Lebens aus den Händen eines Kerls
zu erretten, der eurer Ehre Gewalt anthun wollte. Vergönnet
mir zu meiner Belohnung nur einen einzigen günstigen Blik;
ich kan nicht um weniger bitten, und weniger, ich bin's gewiß,
könnt ihr ohne Undankbarkeit nicht geben.
Valentin (bei Seite.)
Ist es ein Traum, was ich hier seh und höre? Liebe, gieb
mir Geduld eine Weile zuzuhören.
Silvia.
O! ich arme Unglükliche!
Protheus.
Das waret ihr nur eh ich kam.
Silvia.
Ich kan es nicht mehr seyn als wenn ich dich sehe: Hätte
mich ein hungriger Löwe ergriffen, lieber wollt' ich des
Raubthiers Frühstük geworden seyn, als dem treulosen
Protheus meine Errettung schuldig zu seyn. O Himmel, du bist mein
Zeuge, wie sehr ich Valentin liebe, und daß meine Seele
mir nicht theurer ist als sein Leben. Und so sehr als ich ihn
liebe, (ein höherer Grad ist nicht möglich,) so sehr
verabscheue ich den falschen meineydigen Protheus: Geh also, und
seze mir nicht länger zu.
Protheus.
Was für einer Gefahr, so nah sie auch dem Tode seyn möchte,
wollt' ich mich nicht aussezen, um einen milden Blik zu erhalten?
Aber welch eine Marter, diejenige lieben zu müssen die uns
nicht wieder lieben kan!
Silvia.
Die Ursach ist Protheus selbst, der nicht liebt wo er geliebt
wird. Denke an Julia, der du deine erste Treue mit tausend Schwüren
angelobet hast, die nun alle durch diese vergebliche Liebe zu
mir zu Meineyden worden sind. Du hast keine Treue mehr, du müßtest
dann zwo haben, und das wäre noch schlimmer als gar keine.
Bist du nicht deinem redlichen Freund untreu worden?
Protheus.
Wer läßt sich in Liebes-Sachen durch die Pflichten
der Freundschaft zurükhalten?
Silvia.
Jedermann ausser Protheus.
Protheus.
Nun, wenn denn der sanfte Geist überredender Worte euer Herz
auf keinerley Art zu erweichen vermögend ist, so will ich
euch auf Soldaten-Art lieben, und gegen die Natur dieser Leidenschaft
mit Gewalt nehmen, was ihr meinen Bitten versagt.
Silvia.
O Himmel!
Protheus.
Du sträubest dich umsonst - -
Valentin.
Lotterbube! zurük, erkenne mich und stirb vor Schaam!
Protheus.
Valentin! - -
Valentin.
Treuloser Freund, wie sehr hast du mein Zutrauen betrogen! Ich
würd' es niemand als meinen eignen Augen geglaubt haben.
Nun getrau ich mir nicht mehr zu sagen, daß ich einen Freund
in der Welt habe; du würdest mich Lügen straffen. Wem
darf man mehr trauen, wenn die rechte Hand dem Herzen untreu ist?
O Protheus, es ist mir leid, daß ich um deinetwillen die
ganze Welt für fremd ansehen muß. O! unseliger Augenblik,
der mir den schlimmsten unter allen meinen Feinden in meinem Freund
entdekte!
Protheus.
Meine Schuld und meine Schande machen mich sprachlos - - Vergieb
mir, Valentin! - - wenn herzliche Reue eine hinlängliche
Genugthüung für eine so grosse Beleidigung ist, so siehe
hier die meinige in meinen Augen, und vergieb - -
Valentin.
Ich bin vergnügt, und schenke deiner wiederkehrenden Tugend
mein Herz wieder. Wer sich durch Reue nicht befriedigen läßt,
taugt weder in den Himmel noch auf die Erde; beyde lassen sich
dadurch besänftigen, und der Grimm des Ewigen selbst wird
durch Busse gestillt. Und damit du eine Probe von der Aufrichtigkeit
meiner Vergebung sehest, so tret ich dir alles, was an Silvia
mein war, ab.*
Julia.
O! ich Unglükselige!
(Sie wird ohnmächtig.)
Protheus.
Was fehlt dem Jungen?
Valentin.
Wie, Junge? wie stehts? was hast du? Sieh auf! Rede!
Julia.
O mein gütiger Herr, mein Herr gab mir einen Ring, den ich
der Donna Silvia überliefern sollte, und ich hab es aus der
Acht gelassen.
Protheus.
Wo ist der Ring, Junge?
Julia.
Hier ist er.
Protheus.
Wie? laß mich sehen - - Das ist der Ring den ich Julien
gab.
Julia.
O, ich bitte euch um Verzeihung, Gnädiger Herr, ich habe
mich geirrt; das ist der Ring, den ihr Silvien schiktet.
Protheus.
Wie kamst du zu diesem Ring? Ich gab ihn der Julia bey meiner
Abreise.
Julia.
Und Julia selbst gab ihn mir, und Julia selbst brachte ihn hieher.
Protheus.
Wie, Julia?
Julia.
Siehe sie hier, sie, die einst der Gegenstand deiner feyrlichsten
Schwüre war, und sie im Innersten ihres Herzens aufbewahrte:
Wie oft hast du durch Meineyd die Straf-Ruthe gereizt! O Protheus,
erröthe mich in dieser Verkleidung zu sehen! Schäme
dich, daß du mich zu einem so unanständigen Mittel
gebracht hast, - - und doch ist weniger Schande darinn, wenn Weiber
ihre Kleidung, als wenn Männer ihr Gemüth wechseln.
Protheus.
Als Männer ihr Gemüth? Es ist wahr; o Himmel! wäre
der Mann nur standhaft, so wär' er vollkommen; dieser einzige
Fehler zeugt tausend andre, stürzt ihn aus einer Sünde
in die andre - - Was für einen Reiz hat Silvia, den mir das
Auge der Treue in Julia nicht reizender zeigt?
Valentin.
Kommt, kommt, gebt mir eure Hände, und gönnet mir das
Vergnügen, sie zusammen zu fügen; es wäre Schade,
wenn Herzen, die einst so sehr vereiniget waren, länger geschieden
seyn sollten.
Protheus.
Sey mein Zeuge, o Himmel, daß ich mir kein grössers
Glük wünsche!
Julia.
Glükliche Veränderung!
* Man hat es schon lange sehen können, daß die Entwiklung
gar nicht dasjenige ist, worinn sich der Genie unsers Autors zu
seinem Vortheil zeigt, aber eine armseligere läßt sich
nicht erdenken als diese hier. Pope selbst weißt nichts
bessers zur Entschuldigung des Poeten zu sagen, als daß
er das alles so in dem Historien-Buch oder der Novellen gefunden,
woraus er das Stük entlehnt habe.