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»Der edle Herzog groß Von dem Burgunder Lande Litt manchen Feindesstoß Wohl auf dem ebnen Sande.
Er sprach: Mich schlägt der Feind,
Ich kann mich nicht mehr regen,
Er war mir sonst zur Seite
Es mehren sich die Haufen,
So klagt der von Burgund,
Geharnischt reit't der Degen
Burgund erkennt die Zeichen,
Da schlug mit treuem Mute
Als nun der Feind bezwungen,
Du hast viel Mann geworben
Der Eckart weinet fast,
Wie starbst du, Heinz, so frühe,
Weil wir dich, Fürst, erlösten,
Da ward dem Burgund trübe
Er weint die hellen Zähren
So treu bist du geblieben,
Und sollst in ganz Burgunde
Als dies das Land erfahren, |
Die Stimme eines alten Landmanns klang über die Felsen herüber, der dieses Lied sang, und der getreue Eckart saß in seinem Unmute auf dem Berghang und weinte laut. Sein jüngstes Söhnlein stand neben ihm und fragte: »Warum weinst du also laut, mein Vater Eckart? Wie bist du doch so groß und stark, höher und kräftiger, als alle übrige Männer, vor wem darfst du dich denn fürchten?«
Indem zog die Jagd des Herzogs heim nach Hause. Burgund saß auf einem stattlichen, schön geschmückten Rosse, und Gold und Geschmeide des fürstlichen Herzogs flimmerte und blinkte in der Abendsonne, so daß der junge Conrad den herrlichen Aufzug nicht genug sehn, nicht genug preisen konnte. Der getreue Eckart erhob sich und schaute finster hinüber, und der junge Conrad sang, nachdem er die Jagd aus dem Gesichte verloren hatte:
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»Wann du willt Schwert und Schild, Gutes Roß, Speer und Geschoß Führen:
Muß dein Mark |
Der Alte nahm den Sohn und herzte ihn, wobei er gerührt seine großen hellblauen Augen anschaute. »Hast du das Lied jenes guten Mannes gehört?« fragte er ihn dann.
»Wie nicht?« sprach der Sohn, »hat er es doch laut genug gesungen, und bist du ja doch der getreue Eckart, so daß ich gern zuhörte.«
»Derselbe Herzog ist jetzt mein Feind«, sprach der alte Vater; »er hält mir meinen zweiten Sohn gefangen, ja hat ihn schon hingerichtet, wenn ich dem trauen darf, was die Leute im Lande sagen.«
»Nimm dein großes Schwert und duld es nicht«, sagte der Sohn; »sie müssen ja alle vor dir zittern, und alle Leute im ganzen Lande werden dir beistehn, denn du bist ihr größter Held im Lande.«
»Nicht also, mein Sohn«, sprach jener, »dann wäre ich der, für den mich meine Feinde ausgeben, ich darf nicht an meinem Landesherren ungetreu werden, nein, ich darf nicht den Frieden brechen, den ich ihm angelobt und in seine Hände versprochen.«
»Aber was will er von uns?« fragte Conrad ungeduldig.
Der Eckart setzte sich wieder nieder und sagte: »Mein Sohn, die ganze Erzählung davon würde zu umständlich lauten, und du würdest es dennoch kaum verstehn. Der Mächtige hat immer seinen größten Feind in seinem eigenen Herzen, den er so Tag wie Nacht fürchtet: so meint der Burgund nunmehr, er habe mir zu viel getraut, und in mir eine Schlange an seinem Busen auferzogen. Sie nennen mich im Land den kühnsten Degen, sie sagen laut, daß er mir Reich und Leben zu danken, ich heiße der getreue Eckart, und so wenden sich Bedrängte und Notleidende zu mir, daß ich ihnen Hülfe schaffe; das kann er nicht leiden. So hat er Groll auf mich geworfen, und jeder, der bei ihm gelten möchte, vermehrt sein Mißtrauen zu mir: so hat sich endlich sein Herz von mir abgewendet.«
Hierauf erzählte ihm der Held Eckart mit schlichten Worten, daß ihn der Herzog von seinem Angesichte verbannt habe, und daß sie sich ganz fremd geworden seien, weil jener geargwohnt, er wolle ihm gar sein Herzogtum entreißen. In Betrübnis fuhr er fort, wie der Herzog ihm seinen Sohn gefangengenommen, und ihm selber, als einem Verräter, nach dem Leben stehe. Conrad sprach zu seinem Vater: »So laß mich nun hingehn, mein alter Vater, und mit dem Herzoge reden, damit er verständig und dir gewogen werde; hat er meinen Bruder erwürgt, so ist er ein böser Mann, und du sollst ihn strafen, doch kann es nicht sein, weil er nicht so schnöde deiner großen Dienste vergessen kann.«
»Weißt du nicht den alten Spruch«, sagte Eckart:
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»Wenn der Mächtge dein begehrt, Bist du ihm als Freund was wert, Wie die Not von ihm gewichen, Ist die Freundschaft auch erblichen. |
Ja, mein ganzes Leben ist unnütz verschwendet: warum machte er mich groß, um mich dann desto tiefer hinabzuwerfen? Die Freundschaft der Fürsten ist wie ein tötendes Gift, das man nur gegen Feinde nützen kann, und womit sich der Eigner aus Unbedacht endlich selbst erwürgt.«
»Ich will zum Herzoge hin«, rief Conrad aus, »ich will ihm alles, was du getan, was du für ihn gelitten, in die Seele zurückrufen, und er wird wieder sein, wie ehemals.«
»Du hast vergessen«, sagte Eckart, »daß man uns für Verräter ausgerufen hat, darum laß uns miteinander flüchten, in ein fremdes Land, wo wir wohl ein besseres Glück antreffen mögen.«
»In deinem Alter«, sagte Conrad, »willst du deiner lieben Heimat noch den Rücken wenden? Nein, laß uns lieber alles andere versuchen. Ich will zum Burgunder, ihn versöhnen und zufriedenstellen; denn was kann er mir tun wollen, wenn er dich auch haßt und fürchtet?«
»Ich lasse dich sehr ungern«, sagte Eckart, »meine Seele weissagt mir nichts Gutes, und doch möcht ich gern mit ihm versöhnt sein, denn er ist mein alter Freund, auch deinen Bruder erretten, der in gefänglicher Haft bei ihm schmachtet.«
Die Sonne warf ihre letzten milden Strahlen auf die grüne Erde, und Eckart setzte sich nachdenkend nieder, an einem Baumstamm gelehnt, er beschaute den Conrad lange Zeit und sagte dann: »Wenn du gehen willst, mein Sohn, so gehe jetzt, bevor die Nacht vollends hereinbricht; die Fenster in der herzoglichen Burg glänzen schon von Lichtern, ich vernehme aus der Ferne Trompetentöne vom Feste, vielleicht ist die Gemahlin seines Sohnes schon angelangt und sein Gemüt freundlicher gegen uns.«
Ungern ließ er den Sohn von sich, weil er seinem Glücke nicht mehr traute; der junge Conrad aber war um so mutiger, weil es ihm ein leichtes dünkte, das Gemüt des Herzoges umzuwenden, der noch vor weniger Zeit so freundlich mit ihm gespielt hatte. »Kommst du mir gewiß zurück, mein liebstes Kind?« klagte der Alte, »wenn du mir verlorengehst, ist keiner mehr von meinem Stamme übrig.« Der Knabe tröstete ihn, und schmeichelte mit Liebkosungen dem Greise; sie trennten sich endlich.
Conrad klopfte an die Pforte der Burg und ward eingelassen, der alte Eckart blieb draußen in der Nacht allein. »Auch diesen habe ich verloren«, klagte er in der Einsamkeit, »ich werde sein Angesicht nicht wiedersehn.« Indem er so jammerte, wankte an einem Stabe ein Greis daher, der die Felsen hinabsteigen wollte, und bei jedem Schritte zu fürchten schien, daß er in den Abgrund stürzen möchte. Wie Eckart die Gebrechlichkeit des Alten wahrnahm, reichte er ihm die Hand, daß er sicher heruntersteigen möchte. »Woher des Weges?« fragte ihn Eckart.
Der Alte setzte sich nieder und fing an zu weinen, daß ihm die hellen Tränen die Wangen hinunterliefen. Eckart wollte ihn mit gelinden und vernünftigen Worten trösten, aber der sehr bekümmerte Greis schien auf seine wohlgemeinten Reden nicht zu achten, sondern sich seinen Schmerzen noch ungemäßigter zu ergeben. »Welcher Gram kann Euch denn so gar sehr niederbeugen«, fragte er endlich, »daß Ihr gänzlich davon überwältigt seid?«
»Ach meine Kinder!« klagte der Alte. Da dachte Eckart an Conrad, Heinz und Dietrich, und war selbst alles Trostes verlustig; »ja, wenn Eure Kinder gestorben sind«, sprach er, »dann ist Euer Elend wahrlich sehr groß.«
»Schlimmer als gestorben«, versetzte hierauf der Alte mit seiner jammernden Stimme, »denn sie sind nicht tot, aber ewig für mich verloren. O wollte der Himmel, daß sie nur gestorben wären!«
Der Held erschrak über diese seltsamen Worte, und bat den Greis, ihm dieses Rätsel aufzulösen, worauf jener sagte: »Wir leben wahrlich in einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten Tage bald herbeiführen wird, denn die erschrecklichsten Zeichen fallen dräuend in die Welt herein. Alles Unheil macht sich von den alten Ketten los, und streift nun frank und frei herum; die Furcht Gottes versiegt und verrinnt, und findet kein Strombett, in das sie sich sammeln möchte, und die bösen Kräfte stehn kecklich in ihren Winkeln auf, und feiern ihren Triumph. 0 mein lieber Herr, wir sind alt geworden, aber für dergleichen Wundergeschichten noch nicht alt genug. Ihr werdet ohne Zweifel den Kometen gesehen haben, dieses wunderbare Himmelslicht, das so prophetisch herniederscheint; alle Welt weissagt Übles, und keiner denkt daran, mit sich selbst die Besserung anzufahn und so die Rute abzuwenden. Dies ist nicht genug, sondern aus der Erde tun sich Wunderwerke hervor und brechen geheimnisvoll von unten herauf, wie das Licht schrecklich von oben herniederscheint. Habt Ihr niemals von dem Berge gehört, den die Leute nur den Berg der Venus nennen?«
»Niemalen«, sagte Eckart, »so weit ich auch herumgekommen hin.«
»Darüber muß ich mich verwundern«, sagte der Alte, »denn die Sache ist jetzt ebenso bekannt, als sie wahrhaftig ist. In diesen Berg haben sich die Teufel hineingeflüchtet, und sich in den wüsten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwachsende heilige Christentum den heidnischen Götzendienst stürzte. Hier, sagt man nun, solle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre höllischen Heerscharen der weltlichen Lüste und verbotenen Wünsche um sich versammeln, so daß das Gebirge auch verflucht seit undenklichen Zeiten gelegen hat.«
»Doch nach welcher Gegend liegt der Berg?« fragte Eckart.
»Das ist das Geheimnis«, sprach der Alte, »daß dieses niemand zu sagen weiß, als der sich schon dem Satan zu eigen gegeben, es fällt auch keinem Unschuldigen ein, ihn aufsuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderseltner Art ist plötzlich von unten hervorgekommen, den die Höllischen als ihren Abgesandten ausgeschickt haben; dieser durchzieht die Welt, und spielt und musiziert auf einer Pfeifen, daß die Töne weit in den Gegenden widerklingen. Wer nun diese Klänge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklärlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildnis getrieben, er sieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht müde, seine Kräfte nehmen zu wie seine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, so rennt er rasend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Rückweg wieder. Diese Macht ist der Hölle jetzt zurückgegeben, und von entgegengesetzten Richtungen wandeln nun die unglückseligen verkehrten Pilgrime hin, wo keine Rettung zu erwarten steht. Ich hatte an meinen beiden Söhnen schon seit lange keine Freude mehr erlebt, sie waren wüst und ohne Sitten, sie verachteten so Eltern wie Religion; nun hat sie der Klang ergriffen und angefaßt, sie sind davon und in die Weite, die Welt ist ihnen zu enge, und sie suchen in der Hölle Raum.«
»Und was denkt Ihr bei diesen Dingen zu tun?« fragte Eckart.
»Mit dieser Krücke habe ich mich aufgemacht«, antwortete der Alte, »um die Welt zu durchstreifen, sie wiederzufinden, oder vor Müdigkeit und Gram zu sterben.«
Mit diesen Worten riß er sich mit großer Anstrengung aus seiner Ruhe auf, und eilte fort so schnell er nur konnte, als wenn er sein Liebstes auf der Welt versäumen möchte, und Eckart sah mit Bedauern seiner unnützen Bemühung nach, und achtete ihn in seinen Gedanken für wahnwitzig. -