Es war Nacht geworden und wurde Tag, und Conrad kam nicht zurück; da irrte Eckart durch das Gebirge und wandte seine sehnenden Augen nach dem Schlosse, aber er ersah ihn nicht. Ein Getümmel zog aus der Burg daher, da trachtete er nicht mehr, sich zu verbergen, sondern er bestieg sein Roß, das frei weidete, und ritt in die Schar hinein, die fröhlich und guter Dinge über das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, erkannten sie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu sagen, sondern sie wurden aus Ehrerbietung stumm, umgaben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zurück, und fragte ihn: »Wo ist mein Sohn Conrad?« »O fragt mich nicht«, sagte der Knecht, »denn es würde Euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen.« »Und Dietrich?« rief der Vater. »Nennt ihre Namen nicht mehr«, sprach der alte Knecht, »denn sie sind dahin, der Zorn des Herrn war gegen sie entbrannt, er gedachte Euch in ihnen zu strafen.«

Ein heißer Zorn stieg in Eckarts Gemüt auf, und er war vor Schmerz und Wut sein selber nicht mehr mächtig. Er spornte sein Roß mit aller Gewalt und ritt in das Burgtor hinein. Alle traten ihm mit scheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und so ritt er vor den Palast. Er schwang sich vom Rosse und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. »Bin ich hier in der Wohnung des Mannes«, sagte er zu sich selber, »der sonst mein Freund war?« Er wollte seine Gedanken sammeln, aber immer wildere Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, und so trat er in das Gemach des Fürsten.

Der Herzog von Burgund war sich seiner nicht gewärtig, und erschrak heftig, als er den Eckart vor sich sah. »Bist du der Herzog von Burgund?« redete dieser ihn an. Worauf der Herzog mit ja antwortete. »Und du hast meinen Sohn Dietrichen hinrichten lassen?« Der Herzog sagte ja. »Und auch mein jüngstes Söhnlein Conrad«, rief Eckart im Schmerz, »ist dir nicht zu gut gewesen, und du hast ihn auch umbringen lassen?« Worauf der Herzog wieder mit ja antwortete.

Hier ward Eckart übermannt und sprach in Tränen: »O antworte mir nicht so, Burgund, denn diese Reden kann ich nicht aushalten, sprich nur, daß es dich gereut, daß du es jetzt ungeschehen wünschest, und ich will mich zu trösten suchen; aber so bist du meinem Herzen überall zuwider.«

Der Herzog sagte: »Entferne dich von meinem Angesichte, ungetreuer Verräter, denn du bist mir der ärgste Feind, den ich nur auf Erden haben kann.«

Eckart sagte: »Du hast mich wohl ehedem deinen Freund genannt, aber diese Gedanken sind dir nunmehr fremd; nie hab ich dir zuwidergehandelt, stets hab ich dich als meinen Fürsten geehrt und geliebt, und behüte mich Gott, daß ich nun, wie ich wohl könnte, die Hand an mein Schwert legen sollte, um mir Rache zu schaffen. Nein, ich will mich selbst von deinem Angesichte verbannen, und in der Einsamkeit sterben.«

Mit diesen Worten ging er fort, und der Burgund war in seinem Gemüte bewegt, doch erschienen auf seinen Ruf die Leibwächter mit den Lanzen, die ihn von allen Seiten umgaben, und den Eckart mit ihren Spießen aus dem Gemache treiben wollten.

Es schwang sich auf sein Pferd
Eckart der edle Held,
Und sprach: »In aller Welt
Ist mir nun nichts mehr wert.

Die Söhn hab ich verloren,
So find ich nirgend Trost,
Der Fürst ist nur erbost,
Hat meinen Tod geschworen.«

Da reitet er zu Wald
Und klagt aus vollem Herzen
Die übergroßen Schmerzen,
Daß weit die Stimme schallt:

»Die Menschen sind mir tot,
Ich muß mir Freunde suchen
In Eichen, wilden Buchen,
Ihn'n klagen meine Not.

Kein Kind, das mich ergötzt,
Erwürgt von schlimmen Leuen
Blieb keiner von den dreien,
Der Liebste starb zuletzt.«

Wie Eckart also klagte,
Verlor er Sinn und Mut,
Er reit't in Zorneswut,
Als schon der Morgen tagte.

Das Roß, das treu geblieben,
Stürzt hin im wilden Lauf,
Er achtet nicht darauf
Und will nun nichts mehr lieben.

Er tut die Rüstung abe,
Wirft sich zu Boden hin,
Auf Sterben steht sein Sinn,
Sein Wunsch nur nach dem Grabe.

Niemand in der Gegend wußte, wohin sich der Eckart gewendet, denn er hatte sich in die wüsten Waldungen hineinverirrt, und vor keinem Menschen ließ er sich sehen. Der Herzog fürchtete seinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von sich gelassen, ohne ihn zu fangen. Darum machte er sich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jägern und anderm Gefolge, um die Wälder zu durchstreifen und den Eckart aufzusuchen, denn er meinte, daß dessen Tod nur ihn völlig sicher stellte. Alle waren unermüdet, und ließen sich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war schon untergegangen, ohne daß sie von Eckart eine Spur angetroffen hätten.

Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen sausend über dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungestümen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebüschen und auf den Fluren zerstreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, sein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß stürzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach seinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hören mochte.

Wie ein wildes Tier war Eckart umhergeirrt, ohne von sich, von seinem Unglücke etwas zu wissen, er hatte sich selber verloren und in dumpfer Betäubung seinen Hunger mit Kräutern und Wurzeln gesättigt; unkenntlich wäre der Held jetzt jedem seiner Freunde gewesen, so hatten ihn die Tage seiner Verzweiflung entstellt. Wie der Sturm aufbrach, erwachte er aus seiner Betäubung, er fand sich in seinen Schmerzen wieder und erkannte sein Unglück. Da erhub er ein lautes Jammergeschrei um seine Kinder, er raufte seine weißen Haare und klagte im Brausen des Sturmes: »Wohin, wohin seid ihr gekommen, ihr Teile meines Herzens? Und wie ist mir denn so alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht mindestens rächen darf? Warum hielt ich denn meinen Arm zurück, und gab nicht dem den Tod, der meinem Herzen den tödlichsten Stich zuteilte? Ha, du verdienst es, Wahnsinniger, daß der Tyrann dich verhöhnt, weil dein unmächtiger Arm, dein blödes Herz nicht dem Mörder widerstrebt! Jetzt, jetzt sollte er so vor mir stehn! Vergeblich wünsch ich jetzt die Rache, da der Augenblick vorüber ist.«

So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte in seinem Jammer umher. Da hörte er aus der Ferne wie eine Stimme, die um Hülfe rief. Er richtete seine Schritte nach dem Schalle, und traf endlich in der Dunkelheit auf einen Mann, der an einen Baumstamm gelehnt, ihn wehmütig bat, ihm wieder auf die rechte Straße zu helfen. Eckart erschrak vor der Stimme, denn sie schien ihm bekannt, und bald ermannte er sich und erkannte, daß der Verirrte der Herzog von Burgunden sei. Da erhub er seine Hand und wollte sein Schwert fassen, um den Mann niederzuhauen, der der Mörder seiner Kinder war; es überfiel ihn die Wut mit neuen Kräften, und er war des festen Willens, jenem den Garaus zu machen, als er plötzlich innehielt, und seines Schwures und des gegebenen Wortes gedachte. Er faßte die Hand seines Feindes, und führte ihn nach der Gegend, wo er die Straße vermutete.

Der Herzog sank darnieder
Im wilden dunkeln Hain,
Da nahm der Helde bieder
Ihn auf die Schultern sein.

Er sprach: »Gar viel Beschwerden
Mach ich dir, guter Mann«;
Der sagte: »Auf der Erden
Muß man gar viel bestahn.«

»Doch sollst du«, sprach Burgund,
»Dich freun, bei meinem Worte,
Komm ich nur erst gesund
Zu Haus und sicherm Orte.«

Der Held fühlt' Tränen heiß
Auf seinen alten Wangen,
Er sprach: »Auf keine Weis
Trag ich nach Lohn Verlangen.«

»Es mehren sich die Plagen«,
Sprach der Burgund in Not;
»Wohin willst du mich tragen?
Du bist wohl gar der Tod?« -

»Tod bin ich nicht genannt«,
Sprach Eckart noch im Weinen,
»Du stehst in Gottes Hand,
Sein Licht mag dich bescheinen.«

»Ach, wohl ist mir bewußt«,
Sprach jener drauf in Reue,
»Daß sündvoll meine Brust,
Drum zittr' ich, daß er dräue.

Ich hab dem treusten Freunde
Die Kinder umgebracht,
Drum steht er mir zum Feinde
In dieser finstern Nacht.

Er war mir recht ergeben,
Als wie der treuste Knecht,
Und war im ganzen Leben
Mir niemals ungerecht.

Die Kindlein ließ ich töten,
Das kann er nie verzeihn,
Ich fürcht, in diesen Nöten
Treff ich ihn hier im Hain:

Das sagt mir mein Gewissen,
Mein Herze innerlich,
Die Kind hab ich zerrissen,
Dafür zerreißt er mich.«

Der Eckart sprach: »Empfinden
Muß ich so schwere Last,
Weil du nicht rein von Sünden
Und schwer gefrevelt hast.

Daß du den Mann wirst schauen,
Ist auch gewißlich wahr,
Doch magst du mir vertrauen,
So krümmt er dir kein Haar.«

So gingen sie in Gesprächen fort, als ihnen im Walde eine andre Mannsgestalt begegnete, es war Wolfram, der Knappe des Herzogs, der seinen Herrn schon seit lange gesucht hatte. Die dunkle Nacht lag noch über ihnen, und kein Sternlein blickte zwischen den schwarzen Wolken hervor. Der Herzog fühlte sich schwächer, und wünschte eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht schlafen möchte; dabei zitterte er, auf den Eckart zu treffen, der wie ein Gespenst vor seiner Seele stand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben, und schauderte von neuem zusammen, wenn sich der Wind wieder in den hohen Bäumen regte, wenn der Sturm von unten herauf aus den Bergschluften kam und über ihren Häuptern hinwegging. »Besteige, Wolfram«, rief der Herzog in seiner Angst, »diese hohe Tanne, und schaue umher, ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Hütte erspähst, zu der wir uns wenden mögen.«

Der Knappe kletterte mit Gefahr seines Lebens zum hohen Tannenbaum hinauf, den der Sturm von einer Seite zur andern warf, und je zuweilen fast bis zur Erde den Wipfel beugte, so daß der Knappe wie ein Eichkätzlein oben schwankte. Endlich hatte er den Gipfel erklommen und rief - »Im Tal da unten seh ich den Schein eines Lichtes, dorthin müssen wir uns wenden!« Sogleich stieg er ab und zeigte den beiden den Weg, und nach einiger Zeit sahen alle den erfreulichen Schein, worüber der Herzog anfing, sich wieder wohl zu gehaben. Eckart blieb immer stumm und in sich gekehrt, er sprach kein Wort und schaute seinen innern Gedanken zu. Als sie vor der Hütte standen, klopften sie an, und ein altes Mütterlein öffnete ihnen die Tür; sowie sie hineintraten, ließ der starke Eckart den Herzog von seinen Schultern nieder, der sich alsbald auf seine Knie warf und Gott in einem brünstigen Gebete für seine Rettung dankte. Eckart setzte sich in einen finstern Winkel nieder und traf dort den Greis schlafend, der ihm unlängst sein großes Unglück mit seinen Söhnen erzählt hatte, welche er aufzusuchen ging.


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