Ludwig Tieck

Fermer, der Geniale

Erzählung

Als Fermer von der Universität zurückgekommen war, ging er zuerst mit hochklopfendem Herzen nach der Straße, in der seine Geliebte wohnte. Er gedachte auf diesem Gange zu verscheiden, so drängte sich ihm das Blut aus allen Adern nach dem Kopfe.

Die Straße war etwas entlegen, und er hatte Zeit, unterwegs einige nicht unwichtige Betrachtungen anzustellen. »Ist sie mir noch getreu geblieben?« sagte er zu sich selbst - »warum habe ich seit langer Zeit keine Briefe von ihr erhalten? - Bei Gott! wenn ich sie treulos fände! - -«

Mit einem erhitzten Gesicht lief er gegen ein langes Stück Bauholz, das ein Lastträger mit einer unverschämten Miene durch die Gasse trug: »Vorgesehn!« rief dieser, als er bemerkte, daß der junge Fermer eben in hitzige Vorwürfe ausbrechen wollte.

Fermer fluchte ein paarmal und fuhr dann in seinen Seufzern fort, denn er sah nun schon das Haus vor sich, ja er glaubte sogar am Fenster eine weibliche Gestalt zu bemerken.

Fermer hatte Vermögen, seine Eltern waren gestorben; er hatte nur, wie man zu sagen pflegt, zu seinem Vergnügen studiert, um in der Welt über manches mitsprechen zu können, denn das ist ein Nutzen, den man den Wissenschaften nie wird ableugnen können.

Fermer klingelte jetzt, ein Bedienter öffnete die Tür. - Er ging die Treppe hinauf, er fand Louisen in ihrem Zimmer.

Ohne weiter Umstände zu machen, sprang er auf sie zu und drückte sie herzhaft in seine Arme: dies ist von jeher ein Vorrecht der Verliebten gewesen. - Sosehr er trunken von Wonne war, so glaubte er dennoch zu bemerken, daß seine Geliebte seine Herzlichkeit nicht so erwiderte, als sie wohl hätte tun sollen; indessen die Szene war einmal zur Freude bestimmt, und so gab er sich denn darüber zufrieden.

»Warum hast du mir so lange nicht geschrieben, Teureste?« - rief er aus; - »Wie konntest du mich in dieser entsetzlichen Ungewißheit lassen? Du glaubst nicht, was ich gelitten habe, alle mein Glück, alle meine Plane lagen zerschlagen vor meinen Füßen, und der wütendste Schmerz fraß und nagte in meinem Herzen.«

Louise schlug die Augen nieder. - »Ich war nicht wohl, mein Vater war krank, unsre liebe Vertraute, durch die du immer meine Briefe bekommen hast, war verreist.«

Fermer: Louise, schreckliche Dinge gingen damals in meinem Innern vor, ich glaubte dich untreu, alles fiel mir bei, was ich je in Büchern von dem Leichtsinn der Mädchen gelesen hatte. Keine Nacht konnt ich schlafen. - Du glaubst nicht, was ich gelitten habe.

Louise: Unaussprechlich Teurer!

Fermer: Wie wohl ist mir, daß ich dich wiederhabe, daß ich mich wieder an diesen Augen erlaben kann, daß ich deine süße Stimme höre! Alle Harmonie in mir war zerrissen und verstummt, ich glaubte an keine Unsterblichkeit mehr, alle meine Nerven zitterten.

Louise: Schrecklich, schrecklich!

Fermer: Ja wohl schrecklich! - die getrennte Liebe ist die Hölle auf Erden. - Aber du bist nicht so froh, wie ich dich wünschte, um mich blühn alle Seligkeiten des Himmels und du -

Louise: Ich kann mich von dieser Freude noch gar nicht erholen.

Die Aufwärterin trat herein, um Louisen zu ihrem Vater abzurufen, die Lieben drückten sich noch einmal zärtlich an die Brust, dann schieden sie.

Fermer kam sich auf der Straße wie ein großer Held vor; er machte noch einen kleinen Spaziergang, redete einige Bekannten an, tat gegen andre, als hätte er sie nie gesehn, und ging dann nach Hause.

Er gehörte nicht zu den schönen Leuten, seine Augen waren nicht blau und sanft und klug, in denen aber doch das Feuer des Mutes aufleuchtete, auch nicht dunkelbraun, eine Farbe, die bei den Liebhabern und Helden von Geschichten auch sehr beliebt ist, sondern, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so fielen sie mehr ins Graue. Er war klein von Person, sein Gesicht war gelblich und hatte häufige Pockennarben. -

Es braucht mir niemand zu sagen, daß ich hier gegen die ersten Regeln eines Schriftstellers anstoße; gegen Regeln, die sogar die Kinder auswendig wissen. Die Wahrheit aber ist mir teurer, als alles, und darum habe ich den jungen Geliebten so beschrieben. Der Leser darf nur die gangbaren Bücher zusammenrechnen, die Helden und Heldinnen summieren, so wird er erstaunen, welche Menge von Schönheitsidealen sich unter uns Deutschen herumtreiben, und dann die Klagen der Bildhauer und Maler gar nicht begreifen können, die unaufhörlich jammern, daß es ihnen so ganz an schönen Modellen fehle. Sooft ich gereist bin, habe ich mich in den Städten und auf dem Lande fleißig nach der unzähligen Menge von vortrefflichen Liebhabern und Liebhaberinnen umgesehn, die ich in den Büchern hatte kennen lernen; aber immer wurde ich getäuscht. Seit der Zeit mißfallen mir alle jene bezaubernde Schilderungen, jene Menge von Engels- und Adlersblicken, jene unbeschreiblich lieblichen Physiognomieen, weil ich nicht mehr daran glauben kann.

Als Fermer nach Hause gekommen war, war seine erste Frage, ob der Briefträger keinen Brief gebracht habe. Der Bediente überreichte ihm einen; er besah das Siegel und sagte: »Gottlob!« dann erbrach er ihn und las:

 

Geliebter meiner Seele!

Dich sollt ich vergessen können? - Unmöglich! - Schon seit anderthalb Tagen bist Du abgereist, und immer steht Dein Bild noch so lebendig vor mir, als wenn Du noch hier gegenwärtig wärst. Immer hör ich noch Deine süßen Schwüre, die gewaltigen Ausdrücke, die Deine Liebe suchte und so behende fand. Du hast recht, etwas Außerordentliches muß auch auf eine außerordentliche Art ausgesprochen werden. - Ich lese die Bücher, die Du mir empfohlen hast, und bin jetzt eben beim Turnier von Nordhausen; schreibe mir doch Deine Meinung darüber, die kühne Darstellung hat mich gewaltig ergriffen, wie ich denn überhaupt sehr für das Große bin.

Ich denke an Dich, ich träume von Dir; ich weiß nicht, wie es mit mir werden soll, in sechs Monaten wird eine schlimme Periode für mich eintreten. Doch ich kann mich dann vielleicht schon mit einem süßern Namen nennen, als ich mich jetzt unterschreibe

Deine Geliebte Nanette B.

 

Wie war Fermer von Nanettens Liebe, von ihrer Seelengröße gerührt! Er konnte vor Bewunderung gar nicht zu sich selber kommen, bis er bemerkte, daß er gähne, und sich daher sehr schnell niedersetzte, um diesen teuren Brief noch an diesem Abend zu beantworten. Er wunderte sich über seine seltsame romantische Lage, stand wieder auf, und ging in der Stube auf und ab. Aus seiner Büchersammlung nahm er ein Buch und fing den Clavigo an zu lesen, um sich wieder etwas zu beruhigen; der Stil war ihm nur nicht stark genug, er fing an zu seufzen, dachte recht inbrünstig an Nanette, suchte Louisen auf einige Augenblicke zu vergessen, und schrieb nun seinen Brief nieder:

 

Teureste meiner Seele!

Wie leer und nüchtern ist mir die Welt, seit ich Dich verlassen habe. Allenthalben steht mir Dein Bild noch vor den Augen. Soeben bin ich vom Wagen gestiegen, und soeben habe ich Deinen Brief gelesen; welche Wonne strömte durch alle meine Adern, als ich die Züge Deiner Hand gewahrte.

Das Turnier zu Nordhausen ist gewiß eins der kräftigsten deutschen Bücher. Welche Sympathie hat unsre Seelen so gleich gestimmt! - Ich bekomme eine hohe Achtung für Deutschland, wenn ich mich all der Helden, all der trefflichen Dichter erinnre. - Es ist Zeit, daß auch ich mich aufmache, ich bin lange genug müßig gewesen, und mein Vaterland hat Forderungen an mir.

Vergib die Kürze dieses Briefs, ich bin müde, die Uhr schlägt zwei in der Nacht, mit den Gedanken an Dich schläft ein

Leopold Fermer.

 

Er siegelte den Brief und setzte sich nieder, um den Genius* weiterzulesen, auf dessen Schluß er sehr begierig war, denn es hatte eben erst sieben geschlagen. Dann verzehrte er ein sehr gutes Abendbrot, legte sich zu Bette, las im Genius weiter, schlug das Blatt ein und entschlief sanft.

Wenn er des Morgens aufstand, war gewöhnlich sein erstes Geschäft, einige Zeit aus dem Fenster zu sehn, er rauchte dabei seine Pfeife, und dachte an tausend Dinge, die ihm um keine andre Tageszeit einfielen. -

»Bin ich nicht ein Tor?« sagte er zu sich selber, nachdem ihn einige Vorübergehende höflich gegrüßt hatten: »- nicht im Clavigo, nein, in der Stella ist meine ganze Lage geschildert, gemalt zum Sprechen!«

Er ging zurück und las dies Stück, indem er seinen Kaffee trank. »Es ist gut«, dachte er dabei, »daß es doch Bücher und Gedichte für alle Menschen und für alle Situationen gibt; wie ich mich hier in jedem Zuge wiederfinde, es ist, als wenn der Verfasser mich vor Augen gehabt hätte; Nanette ist die Madame Sommer, Louise die Schwärmerin Stella. - Ach! was richten wir Männer nicht für Unheil in den Herzen der Weiber an!«

Er hatte geendigt, betrachtete das Kupfer vorn, stand auf, und stellte sich vor den Spiegel. - »Ja«, sagte er mit bedeutenden Gebärden, es geht den feurigen Gemütern nicht anders; - kann ein junger, hitziger, genievoller Mensch leben, wie ein sechzigjähriger Alter? Empfinden wie er? - Mir braust die Kraft in jeder Ader, meine Phantasie läuft mit meinem Kopfe davon: es müßte bei alledem ein interessantes Buch werden, wenn jemand mich so recht schildern könnte.«

Mit vielem Selbstbewußtsein sah er wieder aus dem Fenster und erblickte im gegenüberstehenden Hause ein sehr reizendes Gesicht; er betrachtete sie, sie ihn; er grüßte, sie dankte; er zog sich zurück, legte ein elegantes Nachtkamisol an, und kam dann mit diesem und seinem besten meerschaumnen Pfeifenkopfe wieder ans Fenster. Die unbekannte Schöne lächelte, er lächelte gleichfalls; wenn zwei Leute erst lächeln, ist es fast ebenso gut, als wenn sie sich lieben, so stand es wenigstens in Fermers Katechismus über die Menschenkenntnis, und er hatte diese Beobachtung bei allen Aufwärterinnen auf der Universität bestätigt gefunden.

Als er sich ankleidete, erkundigte er sich bei seinem Bedienten, wer die interessante Dame gegenüber sei; er erfuhr, sie sei die Frau eines Hauptmanns. Mit wunderlichen Planen ging er auf das nächste Kaffeehaus, um doch auch in der Politik und den dorthin einschlagenden Wissenschaften nicht zu sehr zurückzukommen. Er hatte schon mancherlei treffende Bemerkungen eingeerntet, als er in einem Winkel des Saals den Namen seiner geliebten Louise nennen hörte; er war aufmerksam, vergaß Pitts Plane, und näherte sich den Sprechenden.

Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als er hörte, daß Louise verlobt sei, und in vierzehn Tagen ihre Hochzeit feiern würde; aber er blieb außer allem Zweifel, als sich ein großer, wohlgewachsener Mann näherte, die Sprechenden ihm gratulierten, und er ohne Umstände den Glückwunsch annahm.

Fermer steckte seine Pfeife ein, nahm Hut und Stock, ging fort, ohne, wie er sonst tat, mit dem Markör zu spaßen, und lief auf dem Spaziergange schnell auf und ab.

»Menschen! Menschen!« sprach er ganz laut, »heuchlerische, giftige Krokodilbrut! Ihre Augen sind Wasser, ihre Herzen sind Erz! Küsse auf den Lippen und Schwerter im Busen! - O Bosheit, hab ich dulden gelernt« u. s. w.

Er hielt die ganze Rede Karl Moors, und bemerkte in seiner Wut nicht, daß sie nicht ganz auf seinen Zustand passe; wer wird auch in der Leidenschaft auf solche Kleinigkeiten Rücksicht nehmen?

Die Leute betrachteten ihn sehr aufmerksam; er hatte einen großen Hut, klirrende Sporen, die er immer trug, obgleich er nie ritt, einen Knotenstock, wie es einem Biedermanne ziemt, dabei arbeitete er mit den Händen gewaltig in der Luft herum, so, daß es manchen Einfältigen wohl zu verzeihen war, die ihn für einen Wahnsinnigen erklärten.

Er ging nach dem Hause seiner Geliebten, stürmte die Treppe hinauf, und brach, ohne anzuklopfen, in ihr Zimmer. Sie frisierte sich eben und erschrak über seinen verwilderten Anblick.

»Grausame!« rief er, und stellte sich starr vor sie hin.

Louise wußte nicht, ob sie den Puderquast aus der Hand legen sollte. - »Was ist Ihnen«, fragte sie furchtsam.

Fermer: Oh! Nichts! nichts! - Das ist Weibertreue! Ha! Schlangenfalschheit! Du bist mir fremd, Louise.

Louise: So haben Sie vielleicht gehört -

Fermer: Alles! alles! - Und du wagst es noch, mir ins Gesicht zu sehn? Das Entsetzen, die Scham macht dich nicht zum Leichnam?

Louise: Lieber Fermer -

Fermer: Lügnerin! - O wie die Wut in mir tobt! - Ich kann mich nicht lassen -

Er nahm wütend die Puderschachtel, brach sie in Stücke und warf sie zum Fenster hinaus.

»Wie Sie auch sind!« sagte Louise, indem sie aufstand; »womit soll ich mich denn nun frisieren?«

Fermer stampfte gewaltig mit den Füßen, warf sich auf den Boden, erhob sich wieder und ging vor den Spiegel. - »Wie es mich angreift!« sagte er niedergeschlagen, »ich fühle, mein Ende ist nicht mehr weit, der Tod wird mitleidiger sein als Sie.«

»Aber«, sagte Louise sanftmütig, »es mußte ja doch einmal anders werden; man kann jedoch nicht ewig schwärmen; mein Vater hat recht, man muß doch auch auf eine Versorgung denken. Ich wollte Ihnen nur neulich nichts sagen, weil ich Ihre Hitze fürchtete. - Nun sehen Sie, da schwimmen die Stücke der Puderschachtel - was nur die Leute davon denken werden.«

Sie sah den Fragmenten wehmütig nach, und Fermer sah aus, als ob er den Tisch nachwerfen wollte.

»Ich glaubte, Sie hätten mich längst vergessen«, fuhr Louise fort -

»Aber, meine liebevollen Briefe. -«

»Ich dachte, Sie schrieben sie nur, um sich im Stil zu üben - und dann war ich immer in Angst, mein Vater würde endlich noch den ganzen Handel erfahren.«

»So müssen wir uns denn trennen?« sagte Fermer in einem weinerlichen Ton.

»Auf ewig!« sagte Louise sehr rasch.

»Auf ewig!« seufzte Fermer und lag in ihren Armen: »- wer weiß, ob wir uns nicht nach vielen Jahren einmal wiedersehn.«

»Wie würde mich das rühren«, sagte Louise, »wegen all der Erinnerungen. - Sie kennen ja wohl die schöne Szene in der Aussteuer von Iffland?«

»Ach ja!« - und damit schieden die Unglücklichen. - Er eilte so schnell die Treppe hinunter, daß er sich mit dem Sporn den einen Stiefel aufriß und beinahe gefallen wäre.


* Roman von Marquis Grosse Zurück


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