Achte Idylle

Die Zauberin

Damon und Alphesiböus, zwei Rinderhirten, begegnen sich an einem Sommermorgen in einem Bergwalde des Pindus und singen im Wechselgesang, jener von einem unglücklichen Liebhaber, der sich ersäuft, dieser von einer Liebhaberin, die ihren Ungetreuen zurückzaubert.

Pollio hatte von Vergil eine Nachahmung der theokritischen Zauberin gewünscht. Vergil gab ihr zum Gegenstück einen in Liebe Verzweifelnden; und, um edlere Zaubergebräuche zu erhalten, verlegte er die Szene aus Italien nach dem thessalischen Pindus, mit Beibehaltung des griechischen Wortes Pharmaceutria, wobei der Römer zuerst an Thessalien dachte.

                    Zweier Hirten Gesang, des Damon und Alphesiböus,
Welche, der Weid' achtlos, anstaunete selber die Waldkuh
Während des Kampfs, auf deren Getön starr horchten die Luchse,
Und, aus eigenem Laufe gewandt, ausruhte der Bergstrom:
5  Damons Wundergesang meld' ich und Alphesiböus'.

    Du, ob du schon mir die Felsen umlenkst des mächt'gen Timavus1),
Ob du die Küste noch streifst der Illyrier: wird mir einmal, ach,
Nahen der Tag, der vergönnt, was du vollbracht, zu besingen?
Wird, ach, je mir vergönnt, ringsher zu verkünden dem Erdkreis

10  Dein nur würdiges Spiel für Sophokles' hohen Kothurnus2)?
Dir soll sein der Beginn, dir endigen. Nimm, den du selber
Fordertest, diesen Gesang und laß um die prangende Schläfe
Unter die Siegeslorbeeren dir auch hinschleichen den Efeu.

    Kaum war entflohen am Himmel der Nacht kaltatmender Schatten,

15  Wann noch lieblich der Herd' auf zartem Grase der Tau ist,
Als so Damon begann, auf den Stab sich lehnend des Ölbaums.
 
Damon.
    Bringe den heiligen Tag, ihm voran, o Lucifer3), strahlend!
Ich, durch wankende Treu der verlobeten Nisa getäuschet,
Jammere hier, und rufe, so fruchtlos4) jene dem Schwur auch
20  Zeugeten, sterbend annoch in der äußersten Stunde den Göttern.

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an5).
Mänalus hat tonreiches Gehölz und melodische Fichten
Stets umher, stets hört er der liebenden Hirten Gesänge,
Stets den Pan, dem zuerst nicht unnütz grünte das Röhricht.

25 

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Mopsus der Nysa Gemahl! Was soll man hoffen? In Liebe
Nun gesellt sich zum Greife6) das Roß, und im folgenden Alter
Kommen mit Hunden zugleich die schüchternen Rehe zur Tränke.
Mopsus, auf, und Fackeln geschnitzt, dir führt man die Gattin,

30  Bräutigam, Nüsse gestreut7), dir wendet sich Hesper vom Öta.

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
O dem würdigen Manne vermählt! da du alle verachtest,
Da so verhaßt dir meine Syring' und die Ziegen verhaßt sind,
Auch die struppige Brau' und des Barts abhangende Zotteln;

35  Und da du wähnst, nicht sorg' um Sterbliches einer der Götter.

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Einst in unserm Geheg' als Kleine noch, neben der Mutter,
Sah ich, zum Führer gewählt, betauete Äpfel dich sammeln.
Eben vom elften Jahre das folgende hatt' ich erlebet,

40  Eben konnt' ich vom Boden zerbrechlichen Zweige berühren.
O wie ich sah, wie ich tobte, wie rasender Wahn mich dahinriß.

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Kenn' ich doch Amor nunmehr: Es hat auf hartem Geklipp ihn
Tmaros8), der Rhodope ihn, der äußerste Schwarm Garamanten,

45  Weder unseres Geschlechtes ein Kind, noch Blutes, geboren.

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Amor, der Wüterich, lehrt' in dem Blut der Söhne die Mutter9)
Sich zu besudeln die Händ! Auch du bist grausam, o Mutter!
Ist wohl grausamer sie als Mutter? Ist schlimmer der Knabe?

50  Schlimm ist der Knabe, jedoch auch du bist grausam, o Mutter!

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Jetzo flieh' auch die Schafe der Raubwolf; goldene Äpfel
Trage die knorrige Eich'; es blüh' um die Erde Narzissus;
Schwitze wie Fett aus der Rinde die Sumpftamariske den Bernstein10);

55  Eifere selbst mit Schwänen die Eule; sei Tityrus Orpheus,
Orpheus unter Gehölz, bei Meerdelphinen Arion!

    Hebe mit mir, o Flöte, mänalische Hirtengesäng' an.
Nun werd' offenes Meer ringsum! Lebt wohl, o ihr Wälder!
Jählings hinab von der Warte des luftigen Bergs in die Fluten

60  Stürz' ich mich! Dieses Geschenk sei dir des Sterbenden letztes!

    Endige nun, o Flöte, mänalische Hirtengesänge.
Damon dies: was darauf antwortet Alphesiböus,
Sagt, Pieriden, ihr selbst; nicht alles ja können wir alle.

 
Alphesiböus.
    Wasser herbei und umbinde mit wolliger Binde den Altar!
65  Zünd' auch heiliges Grün11) voll Saft und männlichen Weihrauch,
Daß ich dem Buhlen verrücke durch Kraft des magischen Zaubers
Seien gesunden Verstand; an nichts denn Beschwörungen fehlt es.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen12), ziehet den Daphnis!
Kann doch Zaubergesang auch den Mond13) abziehen vom Himmel;

70  Circe durch Zaubergesang hat Ulixes' Freunde verwandelt;
Selbst auf Wiesen zerplatzt die frostige Schlange dem Zauber.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!
Dies dreifache Gefäde von drei abstechenden Farben
Wind' ich zuerst dir herum, und dreimal um den Altar her

75  Führ' ich dieses Gebild': es freut Ungrades die Gottheit.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!
Dreimal knüpf', Amaryllis, die dreierlei Farben in Knoten;
Knüpf', Amaryllis, und sprich: Der Venus Bande verknüpf' ich.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!

80  Wie sich der Ton hart schließet, und weich das Wachs sich ergießet,
Beid' in derselbigen Glut, so Daphnis in unserer Liebe.
Streue nun Schrot und zünde die Lorbeerreiser mit Erdharz.
Daphnis brennt mir das Herz: ich brenn' auf Daphnis den Lorbeer.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!

85  Solch ein Gelüst soll Daphnis, wie wenn die ermattete Starke,
Die durch Gehölze den Stier und steilere Forste erspähet,
Neben dem rinnenden Bach hinsinkt im grünenden Schilfe,
Sinnlos, kaum auch der Späte der Nacht zu entweichen gedenket:
Solch ein Gelüst ihn durchglühn, und gar nichts kümmre mich Heilung.

90 

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!
Dies trug jener am Leib', und ließ mir's einst, der Verräter:
Teuere Pfänder von sich. Doch nun selbst unter der Schwell' hier,
Erde, vertrau' ich sie dir. Für Daphnis bürgen die Pfänder.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!

95  Dieses Kraut, und dies mir in Pontus14) gesammelte Banngift,
Hat selbst Möris geschenkt; am reichlichsten wächst es in Pontus.
Oft, wie hierdurch Möris als Wolf in die Waldungen eindrang,
Hab' ich gesehn, und wie oft er Gestorbene tief aus den Gräbern
Aufrief, oder die Saat wegführt auf andere Felder15).

100 

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!
Trage die Asch', Amaryllis, hinaus; und fließendes Wasser
Schütte sie über das Haupt. Nicht umsehn! So will ich Daphnis
Bändigen, der nicht Götter und nicht Beschwörungen achtet.

    Ziehet mir heim aus der Stadt, o Beschwörungen, ziehet den Daphnis!

105  Schaue doch, eben ergriff mit zitternden Flammen den Altar
Frei, als zu nehmen ich säume, noch selbst die Asche. O Heil uns!
Etwas bedeutet es, traun. Horch, Hylax bellt an der Schwelle!
Glaub' ich's? oder betört sich der Liebende selber mit Träumen?

Still, er kommt aus der Stadt, o Beschwörungen, still, es ist Daphnis.


  1. Es ist an Pollios siegreichen Feldzug gegen die Dalmatier zu denken. – Der Timavus, ein Fluß in Istrien zwischen Aquileja und Triest (heute Trimavo), wurde mit seinen von den alten Geographen angegebenen sieben (nach Äneide I, 244 neun) Quellen, die sich in einem Wasserbecken sammelten, und wegen der auffallenden Veränderungen seines Laufes und seiner Mündung im Altertume als ein Naturwunder angestaunt. Zurück
     
  2. Pollio wird mit Sophokles, dem größten griechischen Tragiker, verglichen. Zurück
     
  3. Name des Planeten Venus, wenn er morgens vor der Sonne aufgeht. Zurück
     
  4. Sinn: Ich habe nichts damit gewonnen, daß sie die Götter als Zeugen ihrer Liebe anrief. Zurück
     
  5. Der siebenmal wiederkehrende Schaltvers ist der Volkspoesie Siziliens entnommen. Die Macht, welche die Wiederholung eines solchen Verses auf das Gefühl übt, erkannte schon Äschylus, der ihn mehrere Male in seinen Tragödien benutzt hat und nach den Nachrichten der Alten seine Anwendung von den Sikulern gelernt haben soll. Wir können ihn füglich mit dem Refrain vieler unserer Nationallieder vergleichen. – Die Flöte wird nach dem arkadischen Berge Mänalus benannt, einem beliebten Aufenthaltsorte des Pan. Zurück
     
  6. Die Greife sind Erzeugnisse der orientalischen Phantasie. Man findet sie auf den Ruinen von Persepolis und auf denen der alten Araberstadt Hatra häufig abgebildet, auch auf Gräbern bei Maunchi im Himalaja hat man sie gefunden. An die Existenz dieses Tieres glaubten die Alten; u. a. sagte Älian (Naturgesch. der Tiere IV, 27) von ihm: Der Greif ist vierfüßig wie ein Löwe, hat gewaltige Krallen, auf dem Rücken Flügel, statt des Maules einen Adlerschnabel, die Augen sprühen Feuer, die Farbe des Gefieders ist ein Wechsel von Schwarz, Rot, Weiß und Blau. Alt kann man ihn nicht fangen, wohl aber, wenn er noch jung ist. Zurück
     
  7. Nach römischem Brauch warf während des Hochzeitsschmauses der Bräutigam Nüsse unter die auf der Straße lärmende Jugend. Zurück
     
  8. Tmaros, ein Berg in Epirus, an dem Dodona liegt; Rhodope, Gebirge in Thrazien, ein Teil des Hämus. – Die Garamanten, ein Volk im Innern Libyens oberhalb Gätuliens, südlich von der großen Syrte (heute Fezzan). Zurück
     
  9. Anspielung auf Medea, die dem Jason zuliebe nach Griechenland folgte, und als dieser sich in Korinth mit Glauke, der Tochter des Königs Kreon, vermählte, aus rasender Eifersucht ihre mit Jason erzeugten zwei Söhne ermordete. Zurück
     
  10. Nach Ovid (Metamorphosen II, 364 f.) schwitzten den Bernstein die Erlen oder Pappeln des Eridanus aus, nicht aber niedrige Gesträucher wie Tamarisken. Auch nach Dioskorides soll die Schwarzpappel am Po Tropfen fallen lassen, welche hart werden und den Bernstein geben. Zurück
     
  11. Das lateinische Wort verbena finden wir an vielen Stellen der alten römischen Schriftsteller von Pflanzen gebraucht, die getragen werden, wo vom römischen Staate ein Bündnis geschlossen, Krieg angekündigt, Genugtuung gefordert, ferner wo auch ohne Rücksicht auf den Staat Verzeihung erfleht, geopfert oder sonst eine religiöse Handlung vollführt wird. Nähere Angaben über die einzelnen zu diesem Zwecke gebrauchten Kräuter fehlen. Zurück
     
  12. Das Werkzeug, dessen sich die Zauberinnen bedienten, den Zauberkreisel (rhombus), den sie sofort in rastlose Bewegung setzten, erwähnt Vergil unmittelbar nicht; er schrieb für seine Zeit, welche die Sache genugsam kannte. Vielleicht ist an unserer Stelle an den Wendehals (iynx torquilla) zu denken, welcher Kopf und Hals mit großer Schnelligkeit ganz herumdrehen kann. Wahrscheinlich wegen dieser Eigenschaft, vielleicht auch wegen seines Rufes, legte man ihm eine magische Kraft bei und benutzte ihn bei Verschwörungen. Er wurde zum Behuf der Beschwörung auf ein Rädchen gebunden, welches romboV (rhombus) heißt, und dieses wurde unter Zaubersprüchen rasch in einer Richtung gedreht; denn die Bewegung in der entgegengesetzten Richtung konnte den Zauber wieder lösen. Zurück
     
  13. Die Zauberinnen, besonders die thessalischen, rühmten sich, durch ihre Zaubereien den Mond vom Himmel herabziehen zu können, aber, wie die Zauberer des Mittelalters, mit eigener Lebensgefahr. Zurück
     
  14. Kolchis am Pontus war als Vaterland der Medea wegen seiner Zauberkräuter berüchtigt. – Möris ist ein unbekannter Zauberer. Zurück
     
  15. Nach den Zwölftafelgesetzen war das Wegbannen der Saat verboten. Zurück


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