Erläuterungen - (L)

Wie Horaz gerade hier auf den Einfall gekommen sein mag, ein paar so seltsame Freundschaftsproben neben einander zu stellen? Sollte er nicht etwa einen besondern Fall im Sinne gehabt haben, der ihm den Anlaß dazu gab und den Scherz desto pikanter machte? Gewiß ist, daß Lucius Piso selbst einer von den - nicht eben so gewöhnlichen - Männern war, die diese Wein-Probe aushielten. August und Tiberius hatten ihn beide darauf gesetzt und die Art, wie er sie bestanden, war es, was ihm (bei seinen übrigen Geschäfts-Fähigkeiten) ihr Zutrauen erworben hatte. Tiberius, der mehr als gewöhnliche Beweise foderte bis er einem Menschen traute, trieb es, nach Suetons Versicherung1), mit L. Piso und Pomponius Flaccus so weit, daß sie zween Tage und eine Nacht in einem fort mit ihm zechen mußten: und unmittelbar darauf machte er den Flaccus zum Prokonsul in Syrien und den Piso zum Präfekt der Stadt Rom2). Beides waren Places de Confidence. Sueton scheint die Tat desto enormer zu finden, weil Tiberius eben damals in einer Art von Sitten-Reformation, kraft der mit seiner höchsten Würde verbundnen Censura perpetua, begriffen war. Aber das war es eben, was ihn vermutlich veranlaßte, ein paar Viros Consulares, die er sonst schon als Männer von Fähigkeit kannte, auf eine so entscheidende Probe zu stellen. Bei der ungeheuern Verdorbenheit der damaligen Sitten war Schwelgerei und Schlemmerei ein ziemlich allgemeines Laster in Rom; an großen Säufern konnte es dem Tiberius nicht fehlen, wenn es ihm bloß darum zu tun war: aber er suchte Männer, die auch unter den größten Ausschweifungen dieser Art noch Meister von ihrem Kopf und von ihrer Zunge blieben, und weil diese beide vermutlich im Ruf dieses seltnen Vorzugs stunden, wollte er sie auf eine Probe stellen, die keinem Zweifel Raum ließe. So stelle ich mir die Sache vor, und mich deucht, man müsse den Charakter des Tiberius schlecht kennen, um ihm, zumal in seinen ersten Regierungsjahren, die Tollheit zuzutrauen, ein Amt von solcher Wichtigkeit für die Stadt Rom und für ihn selbst, wie die Praefectura Urbis war, einem Menschen bloß deswegen, weil er tüchtig saufen konnte, anzuvertrauen. Die Art, wie Seneca von unserm L. Piso spricht, scheint zu beweisen, daß dieser der Welt und des Hofes sehr erfahrne Menschenkenner die Sache aus dem nämlichen Gesichtspunkt angesehen habe; und er gibt ihm das Zeugnis, daß er, ungeachtet es ihm etwas gewöhnliches gewesen die Nächte durch zu zechen und bis zur sechsten Morgenstunde zu schlafen, seinem Amte mit größter Sorgfalt vorgestanden sei. - Alles dies trug sich zwar erst lange nach Horazens Tode zu: aber Seneca sagt uns: auch Divus Augustus habe diesem Piso, da er ihn zum obersten Befehlshaber in Thracien gemacht, geheime Aufträge anvertraut; und aus dem ganzen Zusammenhang ist zu schließen, daß Augustus - der in seinen jüngern Jahren auch den Bacchischen Ausschweifungen sehr ergeben gewesen war - Gelegenheit gehabt, seine Zuverlässigkeit aus ähnlichen Proben kennen zu lernen. Und dies ists, worauf vielleicht Horaz, in seiner feinen indirekten Manier, bei dieser Stelle sein Augenmerk haben mochte.

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  1. Vita Tiberii c. 42. Zurück
     
  2. Die Wahrheit der Anekdote bestätigt auch der ältere Plinius (L. XIV. c. 22.): Eaque commendatione credidere L. Pisonem urbis Romae curae ab eo delectum, quod biduo duabusque noctibus (also eine Nacht mehr als Sueton angibt) perpotationem continuasset apud ipsum jam Principem. Zurück

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