Bey einer andern Gelegenheit, erneuerte dieser Sofist den Angriff von einer andern Seite, aber ebenfalls mit so schlechtem Erfolg, daß Xenofon sich begnügt, auch diesesmahl die ganze Konversazion in eine einzige Rede und Gegenrede zusammen zu fassen.
Antifon. Ich zweifle nicht daß du ein sehr ehrlicher Mann bist, Sokrates, aber für einen Gelehrten1) kann ich dich keineswegs gelten lassen. Auch dünkt mich, du selbst müssest davon überzeugt seyn, weil du von keinem, die täglich um dich sind, Geld nimmst. Gewiß würdest du deinen Mantel, oder dein Haus, oder was du sonst geldeswerth besitzest, weder umsonst noch unter dem Werthe weggeben: Es ist also klar daß du deinen nähern Umgang, wenn du dächtest, daß er etwas werth sey, nicht unter seinem Preise geben würdest. Also, wie gesagt, für einen ehrlichen Mann laß ich dich gerne gelten, da du niemanden aus Gewinnsucht zu betrügen begehrst; aber nicht für einen Weisen, da du dich auf nichts verstehst das einen Werth hätte.
Sokrates. Bey uns,a) mein lieber Antifon, ist es etwas ausgemachtes, daß Schönheit und Gelehrsamkeit, eine wie die andere, schätzbar oder verächtlich werden, je nachdem der Gebrauch ist, den man von ihnen macht. Einem Jüngling, der seine Schönheit irgend einem Kauflustigen um Geld überläßt, geben wir - einen garstigen Namen; hat er hingegen einen edeln und wohlgesitteten Mann zum Liebhaber, und weiß ihn zu seinem Freunde zu machen, so nennen wir ihn sittsam und verständig.2) Eben so ist es mit den Gelehrten. Diejenige, die ihre Wissenschaft um Geld verkaufen, heißen Sofisten; wer hingegen einen jungen Menschen von glücklichen Anlagen kennen lernt, und indem er ihm das Beste was er weiß mittheilt, keinen andern Vortheil dabey sucht, als einen Freund zu gewinnen, von dem sagen wir, er thue was einem edeln und biedern Bürger geziemt.3) Was mich selbst betrift, Antifon, so weißt du, jedermann hat so seine eigene Liebhaberey; dieser an einem schönen Pferde, jener an einem schönen Hunde oder Vogel; die Meinige war immer, edle Menschen zu Freunden zu haben. Weiß ich etwas nützliches, so theil' ichs ihnen mit, empfehle sie auch andern, deren Umgang ihnen behülflich seyn kann, im Guten zuzunehmen. Auch durchgehe ich mit ihnen die Schätze, die uns die alten Weisen in ihren Schriften hinterlassen haben, und wo wir etwas Gutes sehen, heben wir's aus, und halten es (mit einem Wort) für großen Gewinn, wenn wir einander auf alle Weise nützlich werden können.4)
Wenn ich (setzt Xenofon hinzu) den Sokrates so reden hörte, wie hätt' ich ihn nicht für einen der glücklichsten Sterblichen halten sollen? Oder wie hätt' ich zweifeln können, daß es nur an denen, die ihn hörten liege, wenn sie nicht besser durch ihn würden?
Bey noch einer andern Gelegenheit fragte ihn Antifon: wie er sich für fähig halten könne, andere zu Staatsmännern zu bilden, oder warum er sich nicht selbst mit den öffentlichen Geschäften der Republik abgebe, wenn er sich so gut darauf verstehe?
Auf welche Weise (war seine Antwort) kann ich mich um die Republik verdienter machen, wenn ich mich ihr bloß allein für meine eigene Person widme? oder wenn ich mir angelegen seyn lasse, recht viele geschickt zu machen, ihr gute Dienste zu thun?
* Wielands Anmerkung zu den »Rittern« lautet: »Ich
müßte mich sehr irren, wenn ich hier der rechten Bedeutung, worin das Wort
kaloV kagaJoV im Gegensatze von ponhroV zu
Athen gewöhnlich genommen wurde, nicht sehr nahe gekommen wäre. Wenigstens giebt
Aristofanes in den gleich folgenden Reden deutlich genug zu erkennen, daß er es so genommen.
Ein Mensch von guter Erziehung ein mousikoV anhr kai crhstoV touV
tropouV (was nur mit andern Worten soviel als kalokagaJoV sagt)
und ein Mensch von gutem Hause hieß zu Athen eben dasselbe; denn nur diese letztern
genossen, ordentlicher Weise, das was man zu Athen eine gute (liberale) Erziehung hieß. Eben
so waren, ordentlicher Weise, ein Mensch von niedriger Herkunft und geringen
Glücksumständen (JhV, banausoV,
agenhV ek twn pollwn), und ein schlechter, ungeschliffener, unwissender,
pöbelhafter Mensch, (ponhroV, kakoV,
amousoV, amaJhV, etc.) lauter Synonymen:
daß es auch Ausnahmen gegeben haben werde, versteht sich von selbst. Die Bedeutung, die man
dem kaloV kagaJoV gewöhnlich beylegt, war, (wie ich vermuthe) dem
Sokrates eigen, der sich ein Geschäft daraus machte, denen, die mit ihm umgingen, von
allen solchen Wörtern und Redarten, mit welchen gewöhnlich nur sehr verworrene und
unbestimmte sittliche Begriffe verbunden wurden, deutliche und wahre zu geben. Durch die
Sokratische Schule wurde denn auch dieser edlere und höhere Sinn des Wortes Kalokagathie
mehr in Umlauf gebracht; wahrscheinlich aber kam das Wort eben dadurch unvermerkt aus dem
gemeinen Gebrauch; vermuthlich weil man es bequemer fand, blos ein kaloV
schlechtweg, als noch agaJoV dazu, zu seyn.«