Cato allein, in tiefen Gedanken sitzend und ein Buch in Händen habend. Es liegt neben ihm ein bloßer Degen auf dem Tische; und an der Seite steht ein Ruhbette.
Cato
Ja, Plato, du hast recht! Dein Schluß hat großen Schein!
Wahrhaftig! Unser Geist muß doch unsterblich sein.
Woher entstände sonst das Hoffen und Verlangen,
Ein unaufhörlich Glück und Leben zu empfangen?
Wo kömmt das Schrecken her, das uns so zaghaft macht?
Woher die kalte Furcht vor jener Grabesnacht?
Erbebt die Seele nicht vor ihrem Untergange?
Und was macht ihr so sehr als Gruft und Moder bange?
Ja, ja, es wohnt in uns ein göttlich-hoher Trieb:
Der Himmel macht uns selbst die stete Dauer lieb
Und führt uns aus der Welt in ungleich größre Schranken.
O Ewigkeit! Du Quell entzückender Gedanken!
Durch was Veränderung, Bemühung, Not und Pein
Und Wechsel dringet man zu deinen Toren ein!
Dein Anblick liegt uns zwar ganz offen im Gesichte,
Man sieht zwar weit hinaus, allein, bei schwachem Lichte:
Denn Schatten, Dampf und Nacht verhindern stets den Blick
Und ziehn der Augen Strahl allmählich gar zurück.
Hier will ich stille stehn. Gibt es ein höchstes Wesen -
Jedoch Natur und Welt läßt tausend Proben lesen
Und ruft: Es ist ein Gott! - so folgt auch zweifelsfrei,
Daß Gott der Tugend auch geneigt und gnädig sei.
Wem er nun gnädig ist, der muß auch glücklich werden.
Doch wenn geschiehts? Und wo? Gewiß nicht hier auf Erden;
Die fällt ja Cäsarn zu und ist vor ihn gemacht.
Wo denn? - - Das weiß ich nicht, so sehr ich nachgedacht.
Dies Eisen soll mir bald den langen Zweifel heben:
Nun bin ich doppelt stark; mein Sterben und mein Leben,
Mein Gift und Gegengift liegt beides da vor mir.
Das eine reißet mich im Augenblick von hier,
Das andre lehret mich, ich könne niemals sterben.
Die Seele bleibt getrost und scheuet kein Verderben;
Sie lacht bei diesem Schwert und höhnt den spitzen Stahl.
Die Sonne selbst wird alt, so wie der Sterne Zahl
Allmählich schwächer scheint. Natur und Welt geht unter,
Nur du allein, mein Geist, bleibst ewig jung und munter:
Du lebst, wenn sich der Krieg der Elemente regt
Und aller Körper Bau in Stück und Drümmer schlägt.
Welch eine Mattigkeit will meinen Geist befallen!
Ich fühle schon den Schlaf durch alle Glieder wallen.
Mein schweres Aug und Haupt ist von den Sorgen matt
Und sehnt sich nach der Ruh. Wohlan, ich geb ihr statt.
Ich überlasse mich dem Schlummer, den ich merke;
Daß mein erwachter Geist hernach mit voller Stärke
Die Flucht ergreifen kann und denn an Kräften neu
Dem Himmel, den er ehrt, ein würdig Opfer sei.
Wen sein Gewissen plagt, dem stört die Angst den Schlummer:
Davon weiß Cato nichts. Kein Laster macht mir Kummer!
Drum gilt auch in der Tat mir Schlaf und Tod gleichviel:
Denn beides labet mich und setzt dem Gram ein Ziel.
(Er legt sich auf den Arm, um zu schlafen.)
Cato und Portius.
Cato
Wer kömmt? Wie das, mein Sohn? Du dringst dich so herein!
Hab ich dirs nicht gesagt, ich wollt alleine sein?
Gehorchst du mir also?
Portius (ergreift den Degen)
Ach! Was soll dieser Degen?
Mein Vater! laßt mir zu, das Mordschwert wegzulegen!
Cato (will ihn behalten)
Was unterstehst du dich? Verwegner Jüngling, halt!
Portius
Ach! Liebster Vater, tut Euch selber nicht Gewalt!
Laßt Euch der Freunde Heil, Gefahr und Tränen rühren.
Cato
Willst du mich selber denn in Cäsars Lager führen?
Soll ich sein Sklave sein? Verrätst du selber mich?
O Sohn, gehorche mir, weich und entferne dich!
Portius (läßt den Degen los)
Seht mich so hart nicht an; ich will viel lieber sterben
Als ungehorsam sein und Euren Zorn erwerben.
Cato
So recht, nun bin ich doch von neuem wieder frei!
Nun, Cäsar, komm und zeuch mit deiner Macht herbei
Und sperre Tor und Paß, verschleuß durch deine Flotten
Das Meer und jeden Port: ich will dich doch verspotten.
Ein Cato öffnet sich den Weg und Ausgang schon!
Portius
Mein Vater und mein Herr! Vergebt doch Eurem Sohn;
Ein Kummer drückt mich sehr: Vielleicht wirds gar geschehen,
Daß ich Euch diesmal hier zum letztenmal gesehen?
Ach, straft doch itzo mich und meine Tränen nicht,
Dieweil ihr heißer Strom aus banger Seelen bricht.
Verlaßt doch, bitt ich Euch, was ihr Euch vorgenommen!
Cato (umarmet ihn)
Du bist stets deiner Pflicht gebührend nachgekommen;
Drum weine nicht, mein Sohn: Es wird noch alles gut!
Die Götter geben mir von neuem guten Mut:
Und schützen voller Huld auch künftig meine Kinder.
Portius
Durch diesen Zuspruch wird mein herber Gram gelinder.
Cato
Du kannst, mein Portius, nun ganz auf mir beruhn:
Was sich vor mich nicht schickt, das werd ich auch nicht tun.
Doch geh, mein Sohn, und sieh, ob deines Vaters Freunde
Schon in den Schiffen sind, zur Flucht vor unserm Feinde?
Sieh, ob sich Wind und See bequem zur Reise zeigt?
Denn komm und sage mirs. Indes bin ich geneigt,
Mich einen Augenblick im Schlummer zu erquicken.
Portius
Nun bin ich wieder froh! Ich hoff, es wird uns glücken!
(Cato legt sich auf das Bette, um zu schlafen, und der innere Vorhang fällt zu.)