Außer dem wenigen, was sich aus diesem Briefe selbst abnehmen läßt, ist von der Person des Mannes, an den er geschrieben ist, nicht das mindeste bekannt. Man kann wahrscheinlicherweise vermuten, daß er von keiner ganz unansehnlichen Herkunft gewesen; vielleicht ein Sohn des tapfern Cassius Scäva, dessen Julius Cäsar im 53. Kap. des III. Buchs der Geschichte seines Bürgerkriegs so rühmlich erwähnt1) daß er sich bisher, wiewohl mit keinem sonderlichen Erfolg, an einen der Großen in Rom angeschlossen; daß ihn die wenige Hoffnung, seine Glücksumstände auf diesem Wege zu verbessern, mißmutig und unschlüssig gemacht, ob er fortfahren oder sich zurückziehen sollte; und daß Horaz unter diesen Umständen die vorliegende Epistel an ihn gerichtet habe, um ihn aufzumuntern, ihm das, was jener in seinem Unmut vielleicht Dienstbarkeit genannt hatte, in einem ganz andern Lichte zu zeigen und ihm zugleich, mit guter Art, zu verstehen zu geben, worin er es vielleicht versehen, und wovor er sich mit den Großen am meisten in Acht zu nehmen habe.
Der bekannte Streit zwischen Diogenes und Aristippus gibt ihm hiezu einen Stoff, den er zu seiner besondern Absicht aufs feinste zu verarbeiten weiß: indem er im Aristipp das Muster und Ideal eines Philosophen am Hofe darstellt, eines Mannes, der mit Königen zu leben weiß, ohne weder seine Freiheit noch seinen Charakter aufzugeben; und indem er seinen Freund zu überzeugen sucht, daß es noch mehr Tugend, d. i. mehr Verstand, Klugheit, Mut, Festigkeit, Gewalt über sich selbst, und Kraft zum Ausdauern erfordre, die Rolle eines Aristipps, als die eines Diogenes, gut zu spielen.