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Was mir die Galle reizt, ist, wenn ein Werk getadelt wird, nicht, weil es schlecht gemacht und abgeschmackt ist, sondern weil es neu ist; und daß man für das alte Zeug nicht Nachsicht (wie billig), sondern Ruhm und Vorzug fodert. Denn wenn ich nur zu zweifeln Miene machte, ob auch ein Stück von Atta14) heutigs Tags mit Ehren unsern Schauplatz noch besteige: wie würden nicht die alten Herren schreien, daß keine Scham mehr in der Welt sei, wenn so einer sich erfrechen dürfe, Stücke zu tadeln, die so große Künstler, wie Äsop und Roscius, zu ihren Zeiten spielten15). Es sei nun, daß die guten alten Herren nichts, als was ihnen in der Jugend schön war, sich gefallen lassen können: oder sichs für Schande halten, uns, als ihren jüngern, gestehn zu müssen, was sie einst als Knaben gelernet, tauge nun zu nichts, als es bei grauem Barte wieder zu vergessene. Wer König Numas Saliarisch Lied16) so herrlich findet, und was er so wenig versteht als ich, zu wissen scheinen will: ist keineswegs darum den längst begraben | Indignor
quidquam reprehendi, non quia crasse compositum illepideve putetur, sed quia nuper; nec veniam antiquis, sed honorem et praemia posci. Recte necne crocum floresque perambulet Attae <80> fabula, si dubitem, clament periisse pudorem cuncti paene patres, ea cum reprehendere coner, quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit: vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt; vel quia turpe putant parere minoribus, et quae <85> imberbi didicere, senes perdenda fateri. Iam Saliare Numae carmen qui laudat, et illud, quod mecum ignorat, solus vult scire videri: | |
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Genien holder, oder findet sie im Ernst so unvergleichlich glaubt es nicht! Uns haßt er, uns und unserm Werke gilt der scheele Seitenblick, der stumme Tadel. Wenn nun den Griechen einst die Neuheit auch so sehr verhaßt gewesen wäre, sagt, was wär' itzt alt? Was hätten nun die Leute zu lesen, und aus Hand in Hand, beschmutzt und abgegriffen, sich herumzubieten? Als Griechenland in einer glücklichen langwier'gen Ruh von seinen alten Kriegene) zu schwärmen anfing, und, von stetem Glücke verzärtelt, wie ein rascher feur'ger Jüngling, sich jeder Laune fröhlich überließ: da fiel's mit aller seiner Leidenschaft auf dies und das. Erst waren's Fechterspiele, Rennpferde dann, drauf schöne Götterbilder von Elfenbein, von Marmor und von Erz; | ingeniis non ille favet
plauditque sepultis, nostra sed impugnat, nos nostraque lividus odit. <90> Quod si tam Graiis novitas invisa fuisset quam nobis, quid nunc esset vetus? aut quid haberet, quod legeret tereretque viritim publicus usus? Ut primum positis nugari Graecia bellis coepit, et in vitium fortuna labier aequa, <95> nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum; marmoris aut eboris fabros aut aeris amavit; | |
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bald hing's mit Liebesblicken wie verzückt an einer Schilderei, bald war ein Flötenspieler sein Abgott, bald ein Tänzer, ein Tragöde, ein Rhapsodist: in allen diesen Launen dem kleinen Mädchen gleich, das, von der Amme verwöhnt, bald dies bald das mit Hitze will, doch, unvermerkt zu andern Spielen reifend, gleich rasch von Puppen und von Liebe wechselt17). Was wird so sehr geliebt, so sehr gehaßt, das nicht verhaßt, nicht lieblich werden könnte, wenn Zeit und Ort und Licht und Schatten ändern? So wirkte langer Fried' und günstigs Glück in Gräzien. In unserm alten Rom war früh am Tag erwachen, den Klienten zum Recht verhelfen, gegen gute sichre Verschreibungen sein Geld an Zinse legen, und gute Lehren, »wie ein wackrer Bürger durch kluge Wirtschaft seines Hauses Glück erhöhn, und dessen Fall verhüten könne«, von Ältern anzuhören oder Jüngern zu geben dies war lange Zeit die Sitte und Lebensart, worin der Römer seinen Ruhm | suspendit picta vultum
mentemque tabella; nunc tibicinibus, nunc est gavisa tragoedis: sub nutrice puella velut si luderet infans, <100> quod cupide petiit, matura plena reliquit. Quid placet aut odio est, quod non mutabile credas? Hoc paces habuere bonae, ventique secundi. Romae dulce diu fuit et solemne, reclusa mane domo vigilare, clienti promere iura, <105> cautos nominibus rectis expendere nummos, maiores audire, minori dicere per quae | |
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und sein Vergnügen setzte. Wie das alles sich mit der Zeit geändert hat! Jetzt ist die Wut zu schreiben und zu verseln die allgemeine Krankheit unsers Volkes. Wer ist nicht Autor18)? Knaben, Männer, Greise, umschlingen jetzt beim Abendbrot die Schläfe mit Efeukränzen und diktieren Verse. Ich selber, der so oft das Versemachen verschworen, werde lügenhafter als ein Partherf) erfunden, und mein erster Ruf, sobald der Morgen dämmert, ist nach Feder und Papier und Schreibepult. Ein Schiff zu führen, einem Kranken nur Stabwurzg) einzugeben, traut sich niemand zu, als wer's versteht; Arzneikunst treibt der Arzt, und Schmiedekunst der Schmied nur Verse, Verse | crescere res posset, minui damnosa
libido. Mutavit mentem populus levis, et calet uno scribendi studio: puerique patresque severi <110> fronde comas vincti cenant, et carmina dictant. Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior: et prius orto sole, vigil calamum et chartas et scrinia posco. Navim agere ignarus navis timet, abrotonum aegro <115> non audet, nisi qui didicit, dare; quod medicorum est, promittunt medici, tractant fabrilia fabri; | |
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macht jedermann, gelehrt und ungelehrt. Bei allem dem ist dieser kleine Wahnsinn, dies Versefieber dem gemeinen Wesen weit vorteilhafter, als man denken sollte. Ein Dichter überhaupt ein Versemann hat selten eine andre Leidenschaft, als seine Lust an Versen. Die allein beherrscht ihn ganz, darauf geht all sein Dichten und Trachten. Schlimme Zeiten, Geldverlust, Vermögensabfall, all dies kränkt ihn wenig. Laß seine Sklaven ihm auf einen Tag entlaufen, laß sein Haus ihm niederbrennen, er lacht dazu. In seinem Leben kommt ihm kein Gedanke, seinem Mündel oder Mit-Erben heimlich einen Streich zu spielen. Er lebt von Erbsenbrei und schwarzem Brot, taugt freilich nicht ins Feld, doch ist er drum nicht gänzlich ohne Nutzen für den Staat. Denn (zugegeben, daß auch kleine Dinge zu großen helfen können) ist es nicht der Dichter, der des Kindes frühes Lallen zur Sprache bildet? Der von pöbelhaften Reden | scribimus indocti
doctique poemata passim. Hic error tamen et levis haec insania quantas virtutes habeat, sic collige: Vatis avarus <120> non temere est animus; versus amat, hoc studet unum; detrimenta, fugas servorum, incendia ridet, non fraudem socio, puerove incogitat ullam pupillo; vivit siliquis et pane secundo. Militiae quamquam piger et malus, utilis urbi. <125> Si das hoc, parvis quoque rebus magna iuvari, os tenerum pueri balbumque poeta figurat; | |
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sein zartes Ohr entwöhnt, dann allgemach durch Lehren, die der Reiz der Harmonie und Dichtung freundlich macht, sein Herz der Tugend gewinnt, von Eigensinn und Neid und Zorn den Knaben heilt, mit edeln Taten ihn vertraulich macht, der gegenwärt'gen Zeit verworrnes Rätsel durch der ältern Welt Beispiele ihm entwickelt, und in Not und kranken Tagen Trost und Lindrung schafft? Von wem sonst sollte, mit dem keuschen Knaben, das unberührte Mädchen beten lernen, wofern die Muse nicht den Dichter gab? Er macht das Volk im Chor zum Himmel flehn, er ists, der sie den gegenwärt'gen Gott mit Schaudern fühlen macht, der die Gesänge sie lehrt, wodurch auf dürres Land der Segen aus Wolken strömt, die Krieg und böse Seuchen verjagen, steten Fried' und reiche Ernten uns bringen! Denn durch Lieder werden uns die Himmelsgeister hold, durch Lieder wird der unterird'schen Mächte Zorn gestillt19). | torquet
ab obscaenis iam nunc sermonibus aurem, mox etiam pectus praeceptis format amicis; asperitatis et invidiae corrector et irae <130> recte facta refert; orientia tempora notis instruit exemplis; inopem solatur et aegrum. Castis cum pueris ignara puella mariti disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? Poscit opem chorus, et praesentia numina sentit: <135 > caelestes implorat aquas docta prece blandus; avertit morbos, metuenda pericula pellit; impetrat et pacem, et locupletem frugibus annum. Carmine di superi placantur, carmine Manes. | |
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Wenn unsre alten, biederherzigen, mit wenigem vergnügten Ackerleute20), nachdem sie ihres Schweißes Früchte in die Scheunen gebracht, am Erntefest mit ihren Kindern und treuem Weibe, den Gehülfen ihrer Arbeit, an Leib und Seele (denn auch diese trug, in Hoffnung dieses Tages, ihren Anteil der Last des langen Jahrs) sich gütlich tun und pflegen und zur künft'gen Arbeit wieder erfrischen wollten machten sie vorerst mit Opfrung eines Mutterschweins die Erde, mit Milch den Waldgott, und mit Wein und Blumen den Genius des Lebens sich gewogen21). Mit bäurischroher Ungebundenheit erschallte dann, in lust'gen Wechselzeilen, der Fescenninen muntrer freier Scherz22). | Agricolae
prisci, fortes, parvoque beati, <140> condita post frumenta, levantes tempore festo corpus, et ipsum animum spe finis dura ferentem, cum sociis operum, pueris et coniuge fida, Tellurem porco, Silvanum lacte piabant, floribus et vino Genium, memorem brevis aevi. <145> Fescennina per hunc inventa licentia morem versibus alternis opprobria rustica fudit; |
| Sub nutrice puella velut si luderet infans. |
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En erit ut liceat totum mihi ferre per orbem sola Sophocleo tua carmina digna cothurno? |
für ein Kompliment hält, das Virgil dem damaligen Octavius Cäsar wegen seines
angefangenen Ajax habe machen wollen: aber daß Horaz der Mann nicht
war, der sogar einem August auf Unkosten seines Geschmacks geschmeichelt hätte, lehrt der
Augenschein. Vielleicht glaubte er ihm den Hof am besten zu machen, wenn er sich gar nichts davon
anmerken ließe, daß er etwas von seiner Poeterei wisse; ob aber diese ehrfurchtsvolle
Unwissenheit eben so gut aufgenommen worden, als die grobe Schmeichelei Virgils, ist eine andre
Frage.
| Genium memorem brevis aevi, |
und gerade diesen schönen Zug worin die so natürliche und auf eine so rührende
Art zur Freude aufmunternde Empfindung liegt: Wer weiß, wer übers Jahr
noch lebt? ob wir diesen frohen Tag wieder sehen? mußte ich weglassen, weil er
nur durch eine Umschreibung, die den Perioden schleppend machte und dadurch das ganze Gemälde
verderbte, zu übersetzen war. Ich habe mich aber bemüht, die Wirkung dieses Zugs auf das
Gemüt durch den Ton, den ich dem ganzen Gemälde gegeben habe, hervorzubringen, und
vielleicht finden Leser von feinerm Sinn, daß Horaz nichts dabei verliert.