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<185> Ein Dichterwerk sei schön, sei
fehlerfrei, dies ist sehr viel, allein noch nicht genug; um zu gefallen, sei es lieblich auch11), und stehle sich ins Herz des Hörers ein, um, was der Dichter will, aus ihm zu machen. <190> Ein lachend oder weinend Angesicht bringt, wie wirs ansehn, augenblicklich auch ein Lächeln oder einen traur'gen Zug in unsers. Willst du, daß dein Unglück mich zu Tränen rühren soll, mein guter Peleus <195> und Telephus, so mußt du selber weinen12)! Sind deine Reden deiner Lage nicht gemäß, so werd' ich gähnen oder lachenIII). | Non satis est pulchra esse poemata, dulcia sunto, <100> et quocumque volent animum auditoris agunto! Ut ridentibus arrident, ita flentibus adsunt humani vultus: si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi, tunc tua me infortunia laedent, Telephe vel Peleu! male si mandata loqueris, | |
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Zu einem traurenden Gesichte ziemen sich auch traur'ge Worte. Ruhig oder zürnend, <200> mutwillig oder ernsthaft, immer sei die Sprache der Leidenschaft, der Stimmung angemessen, die erst aus Miene und Gebärde spricht. Denn jeder Wechsel unsers Glücks erregt zuerst im Innern eine Leidenschaft; <205> Zorn, der zum Widerstand das Blut erhitzt, die Arme ausstreckt oder Traurigkeit, die hoffnungslos zur Erde, wie zum Grab, uns niederzieht: und dies, bevor die Zunge der Seele Dolmetsch wird, und ihre Regung <210> in Worte ausbricht. Dies ist allezeit Gang der Natur. Verfehlt der Dichter ihn, legt seinem Helden in den Mund, was nicht zu seiner Lage paßt: so darfs ihn nicht befremden, wenn Ritterschaft und Fußvolk13) überlaut <215> ihm, statt zu weinen, an die Nase lachen. Nicht minder kommt sehr vieles darauf an, | <105> aut dormitabo aut
ridebo. Tristia maestum vultum verba decent, iratum plena minarum, ludentem lasciva, severum seria dictu. Format enim natura prius nos intus ad omnem fortunarum habitum, iuvat aut impellit ad iram, <110> aut ad humum maerore gravi deducit et angit: post effert animi motus interprete lingua. Si dicentis erunt fortunis absona dicta, Romani tollent equites peditesque cachinnum. Intererit multum Davusne loquatur an herus, | |
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ob die Person, die spricht, der Diener oder der Herr im Haus, ein reifer Alter, oder ein junger schwärmerischer Tollkopf ist? <220> Ob eine Fürstin oder ihre treuergebne Vertraute? ob ein Handelsmann, der überall zu Haus ist, oder ob ein Landwirt, der im Anbau seines Gütchens lebt und webt? Ob ein Assyrer oder Kolcher? ob zu Theben oder <225> zu Argis auferzogen14)? Übrigens soll der Poet entweder an die Sage sich halten, oder, wenn er dichten will, das Wahre der Natur zum Muster nehmen. Bringst du Achillen wieder auf die Bühne, <230> so sei er hitzig, tätig, schnell zum Zorn und unerbittlich, wolle nichts von Pflichten hören, und mache alles mit dem Degen aus15)! | <115>
maturusne senex, an adhuc florente iuventa fervidus, et matrona potens, an sedula nutrix, mercatorne vagus, cultorne virentis agelli, Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis. Aut famam sequere, aut sibi convenientia finge. <120> Scriptor honoratum si forte reponis Achillem, impiger, iracundus, inexorabilis, acer | |
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Medee sei trotzig und durch nichts zu schrecken, die sanfte Ino weich und tränenreich, <235> Ixion treulos, schwermutsvoll Orest16). Bringst du hingegen etwas auf die Bühne, das nie versucht ward, wagest eine neue Person zu schaffen gut! so gib ihr Selbstbestand, und wie sie sich im ersten Auftritt zeigt, <240> so führe sie, sich selber ähnlich, bis zum letzten fort! Es ist vielleicht nichts Schwerers, als aus der Luft gegriffnen Menschenbildern das eigne Individuelle geben; Du wirst daher mit minderer Gefahr | iura neget sibi nata, nihil non
arroget armis! Sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino, perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes. <125> Si quid inexpertum scaenae committis, et audes personam formare novam, servetur ad imum qualis ab incepto processerit, et sibi constet. Difficile est proprie communia dicere, tuque rectius Iliacum carmen deducis in actus, | |
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<245> ein Schauspiel aus der Iliade ziehen, als dich an was ganz Neuerfundnes wagen. Ein Stoff, auf welchen jeder gleiches Recht hat, wird wieder Eigentum, wenn du dich weder auf einem Plan, der zum Gemeinplatz schon <250> geworden, tummelst, noch, als ein getreuer demüt'ger Übersetzer, Wort für Wort dem Griechen17) nachtrittst; noch, als bloßer Nachahmer, dich so sehr zusammendrückest, daß, etwas wegzulassen, dir die Scham, <255> hinzuzutun, die Regel dir verbietet18). Auch fange dein Gedicht so laut nicht an, wie jener alte Zyklische19) Poet: | <130> quam si proferres ignota indictaque primus. Publica materies privati iuris erit, si nec circa vilem patulumque moraberis orbem, nec verbum verbo curabis reddere fidus interpres, nec desilies imitator in artum, <135> unde pedem proferre pudor vetet, aut operis lex. Nec sic incipies ut scriptor cyclicus olim: | |
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»Von Priams Schicksal und dem weitberühmten Krieg begeb' ich mich zu singen.« Großgesprochen! <260> Was kann der Mann uns sagen, das, den Mund dazu so weit zu öffnen, würdig wäre? Es kreißte, wie die Fabel sagt, ein Berg, und er gebar, zu großer Lustbarkeit der Nachbarschaft, ein winzigkleines Mäuschen. <265> Um wieviel besser er20), der niemals was Unschicklichs vorgebracht: »Erzähle mir, o Muse, von dem Mann, der nach Eroberung von Troja vieler Menschen Städt' und Sitten sah.« Er gibt kein Feu'rwerk, das in Rauch sich endet, <270> erst macht er Rauch, dann folgt ein rein und gleich fortbrennend Feuer, um die schönen Wunder, den Lästrygonen-König, und mit Scylla den Polyphem und die Charybdis uns | »Fortunam Priami cantabo et nobile bellum«: Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu? Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus. <140> Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte: »Dic mihi, Musa, virum, captae post tempora Troiae qui mores hominum multorum vidit et urbes.« Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, | |
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darin zu zeigen. Er beginnt die Wiederkehr <275> des Diomedes nicht von Meleagers Tod, noch den Trojanschen Krieg von Ledas Eiern21). Stets eilt er, ohne Hast, zum Ende fort, stürzt seinen Hörer mitten in die Sachen, als wären sie ihm schon bekannt, hinein, <280> läßt liegen, was nicht glänzend sich behandeln läßt, und lügt, mit einem Wort, so schön, mengt Wahr und Falsch so künstlich in einander, daß das Ganze aus einem Stücke scheint, und, bis zum Schlusse sich selber ähnlich, täuscht, gefällt, entzückt. <285> Nun hör' auch du, der auf dem Schauplatz uns zu unterhalten wünscht, was ich und was das Publikum mit mir von dir verlangt. | <145> Antiphatim Scyllamque
et cum Cyclope Charybdim nec reditum Diomedis ab interitu Meleagri, nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo; semper ad eventum festinat et in medias res, non secus ac notas, auditorem rapit, et quae <150> desperat tractata nitescere posse, relinquit, atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet, primo ne medium, medio ne discrepet imum. Tu, quid ego et populus mecum desideret, audi. | |
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Wofern's um Hörer dir zu tun ist, die des Vorhangs Fall erwarten, und so lange bleiben, <290> bis uns der Sänger zuruft: PLAUDITE! so mußt du jedes Alter richtig zeichnen, und jedem den Charakter und die Farbe, die ihm gebührt, genau zu geben wissen. Kaum kann der Knabe reden, kaum bezeichnet <295> sein kleiner Fuß mit sicherm Tritt den Boden, so spielt er gern mit Kindern seines Alters! erbost sich leicht um nichts, läßt durch ein Nichts sich wieder auch besänft'gen, und verändert, wie ein Apriltag, sich von Stund zu Stunde. <300> Der Jüngling ohne Bart, von seinem Hüter endlich befreit, hat Lust zu Pferden und zu Hunden, er liebt im sonnenreichen Campus sich herum- zutummeln, nimmt wie Wachs des Bösen Eindruck an, weist guten Rat und Warnung trotzig ab; <305> denkt immer an das Nützliche zuletzt22); | Si
plausoris eges aulaea manentis et usque <155> sessuri donec cantor »vos, plaudite!« dicat: aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores mobilibusque decor naturis dandus et annis. Reddere qui voces iam scit puer et pede certo signat humum: gestit paribus colludere, et iram <160> colligit ac ponit temere, et mutatur in horas. Imberbis iuvenis, tandem custode remoto, gaudet equis canibusque et aprici gramine campi; cereus in vitium flecti, monitoribus asper, | |
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verstreut sein Geld wie Sand, ist stolz und rasch in seinen Leidenschaften, aber läßt, was er mit Hitze kaum geliebt, gleich schnell für etwas Neues, das ihn anlockt, fahren. <310> Bald ändert sich das alles, und an Jahren und Denkart nun ein Mann, bewirbt er sich um Freunde, Rang, Vermögen, Ehrenstellen, er lebt nach einem Plan, und hütet sich nichts zu beginnen, das ihn reuen müßte. <315> Dem Alten kommt viel Not und Ungemachs unmerklich übern Hals, entweder, weil er immer zusammenscharrt, und doch, aus Furcht zu darben, sich den Gebrauch verweigert oder, weil er alles kalt und furchtsam treibt, und überall <320> Bedenklichkeiten sieht. Er zaudert immer, setzt immer weiter sich sein Ziel hinaus, verliert den gegenwärt'gen Augenblick und lebt im künft'gen; voller Schwierigkeiten, verdrießlich, übeltrauend, hat er immer was <325> zu klagen, ist der ew'ge Leichenredner der weiland guten Zeiten, da er noch ein Knabe war, der ew'ge Zensor und | utilium tardus provisor, prodigus
aeris, <165> sublimis, cupidusque et amata relinquere pernix. Conversis studiis aetas animusque virilis quaerit opes et amicitias, inservit honori, commisisse cavet, quod mox mutare laboret. Multa senem circumveniunt incommoda, vel quod <170> quaerit et inventis miser abstinet ac timet uti; vel quod res omnes timide gelideque ministrat, dilator, spe longus, iners, avidusque futuri, difficilis, querulus, laudator temporis acti | |
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Zuchtmeister aller Jüngern, die jetzt sind, was er, zu seiner Zeit, gewesen war. <330> Viel Gutes bringen uns die Jahre23), wenn sie kommen, mit, viel nehmen sie uns wieder, so wie sie allgemach zurückegehn. Der Dichter nehme also wohl in Acht, was jedem Alter zukommt, daß er nicht <335> dem Greisen eine Jünglings-Rolle, noch dem Knaben gebe, was des Mannes ist! Die Handlung wird entweder vor den Augen der Gegenwärt'gen abgehandelt, oder bloß erzählt. Hier sehe sich der Dichter vor! <340> Was durch die Ohren in die Seele geht, rührt immer schwächer, langsamer, als was die Augen sehen, deren Zeugnis uns ganz anders überzeugt, als fremder Mund. Doch darf darum nicht alles auf die Szene | se puero, censor castigatorque
minorum. <175> Multa ferunt anni venientes commoda secum, multa recedentes adimunt. Ne forte seniles mandentur iuveni partes, pueroque viriles, semper in adiunctis aevoque morabimur aptis. Aut agitur res in scaenis, aut acta refertur. <180> Segnius irritant animos demissa per aurem, quam quae sunt oculis subiecta fidelibus, et quae ipse sibi tradit spectator. Non tamen intus | |
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<345> gebracht sein, sondern manches muß den Augen entzogen werden, was, viel schicklicher von einem andern, der als Augenzeuge spricht, mit Feuer und Begeistrung des Moments erzählt, auch uns vergegenwärtigt wird. <350> Medea soll nicht vor dem Chor und uns die Kinder würgen, noch der Unmensch Atreus der Neffen Fleisch vor unsern Augen kochen; noch wandle Progne auf der Bühne sich in eine Schwalb', und Kadmus in den Drachen. | digna geri, promes in scaenam, multaque tolles ex oculis, quae mox narret facundia praesens: <185> nec pueros coram populo Medea trucidet aut humana palam coquat exta nefarius Atreus, aut in avem Progne vertatur, Cadmus in anguem; quodcumque ostendis mihi sic, incredulus odi. |