Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich war besucht vom Kummer – und verlassen vom Schlummer – in einer Nacht, die sich schwarz verhängte – und Wolken über ihre Stirne drängte; – mir war zu Mut, – wie einem Verliebten in seiner Glut, – wenn ihm die Thür nicht auf sich thut. – Und in meiner Sinne Umdüsterung, – in meiner Gedanken Umflüsterung, – wünscht' ich mir zu des Grams Befehdung – einen Genossen der Nachtunterredung, – der das öde Wachen mir würzte – und die Längen der Nacht mir kürzte. – Ich hatte den Wunsch kaum ausgesprochen, – so hört' ich's an meiner Thüre pochen. – Ich sprach: Wie? soll der Baum des Wunsches mir Frucht tragen? – will Mondesglanz die Finsternis mir in die Flucht schlagen? – Ich sprang auf und säumte nicht länger, – rief: Wer ist draußen der Nachtgänger? – Er rief: Ein Fremder, den die Nacht überfallen, – den die Ströme des Himmels überwallen, – und der ein Obdach sucht, sonst nichts, – um wieder aufzubrechen mit Anbruch des Lichts. – Hareth Ben Hemmam erzählt: Mir versprach die Lieblichkeit des Spruchs – den Zuspruch angenehmen Besuchs, – wie eine Aufschrift den Inhalt des Buchs; – auf that ich die Pforten, die nicht sträubigen, – wie Riswan1) das Paradies den Gläubigen, – und sprach zum Durchregneten: – Gehet ein im Herrn, ihr Gesegneten! – Und einging einer, dem über die Haare – war gegangen der Regen vieler Jahre, – dem abgewelkt der Jugend Kraut war, – ob er gleich jetzt frisch betaut war. – Er grüßte mit Redegewandtheit – und sprach wie mit alter Bekanntheit, – dankend meiner Willfährlichkeit – und entschuldigend seine Beschwerlichkeit, – sein Kommen zur Unzeit und Nachtzeit. – Doch als ich die Leuchte ihm näher hielt – und spähend ihm ins Antlitz gezielt, – wie ein Wechsler prüfend ein Goldstück beschielt, – sah ich, betroffen, mein Hoffen – nicht eingetroffen, sondern übertroffen: – denn es war unser Alter mit Leib und Seel', – ohne Hehl und ohne Fehl. – Aufnahm ich ihn, mit meines Herzens Überdrang, – als meines Wunsches Überschwang, – als Übergang aus der Nacht der Sorgen – zum Freudenmorgen. – Ich sprach: Sag an! wie? und von wannen? – Doch er sprach: Von dort und von dannen. – Erst laß mich Speichel sammeln, – eh ich kann stammeln – und zu Atem kommen, – denn ich bin von Müdigkeit beklommen. – Da glaubt' ich, daß unterm Mantel der Mattheit – sich nur verberge die Lust nach Sattheit, – und stellte ihm vor, was man eben vorstellt – einem Gaste, der übernachts ins Thor fällt. – Doch er wandte sich blöde – und that, als sei der Magen ihm öde; – daß schier seine Sprödigkeit mich verdroß, – und ob seiner Schnödheit das Blatt mir schoß. – Ich war im Begriff, ein scharfes Wort zu ergreifen, – um des Gastes Ungeschliffenheit abzuschleifen. – Doch er las in meinen Kerzen,2) – was mir wurmte im Herzen, – und sprach: O welch ein Mißlaut, – wo Freund dem Freunde mißtraut. – Laß dein Mißtrauen und deine Mißlaun' – und höre mich, du Gefundener hinterm Zaun. – Ich sprach: Nun so führe das Ruder, – du Lügenbruder. – Er sprach: So wisse, ich hatte die vorige Nacht – im Gespräch mit meinen Sorgen verwacht, – bis mich der Morgen ausgelacht. – Da führte die Hoffnung, die neu mich stärkte, – mich hier auf einen der Märkte, – um irgend etwas einzufangen des Wilden, – oder etwas zu erlangen des Milden. – Da sah ich, aufs schönste vom Korb umzäunt, – Datteln, vom reifsten Sommer gebräunt, – in deren Farbe verschmolzen war Licht und Dunkel, – wie Purpurweinsgefunkel oder Karfunkel; – und aufgestellt war über denselben – ein Rahm, dessen Weißes eingekocht war zum Gelben,3) – der mit dreister und feister – Zunge lobte seinen Meister – und den Verkäufer verständig pries, – der dafür ein Stück von seinem Herzen ließ. – Dieser beiden verschiedene Zierde – erweckte mir eine gemischte Begierde, – und ich war bezwungen von ihren Reizen, – nach ihrem vereinten Besitz zu geizen. – Es war, als ob mich der Anblick behexe, – daß ich irre ward, wie die Eidechse, – und verfiel in Selbstvergessenheit, – wie ein Verliebter in seiner Besessenheit. – Ich sah keinen Weg zur Lust des Erringens – und zur Wollust des Verschlingens, – und die Füße verweigerten sich, zu gehn, – und ließen mich in den Flammen stehn. – Doch der Stachel, wider welchen hilft kein Lecken, – der Hunger, den allein ich hatte zu schmecken, – trieb mich endlich, auf andern Fluren – zu suchen meiner Nahrung Spuren; – und ich strich – umher auf den Strich, – bis darüber der lange Tag verstrich. – Ich hängte meinen Eimer in jeden Bronnen, – doch nicht ein Tröpflein ward meinem Durste gewonnen. – Als die Sonne nun war am Niedergang – und verloren mein Hin- und Wiedergang; – als ich müßig, – meines Dings unschlüssig – und meines Lebens überdrüssig, – einen Schritt mich vorwärts regte – und einen Tritt mich rückwärts bewegte – mich, wechselnd wie ein Wind, bald erhob, bald legte; – da erschien mir ein Greis, der ächzte mit Gestöhne, – wie eine Witwe um den letzten ihrer Söhne; – sein Odem war in der Klemme – und seine Augen in der Schwemme. – Doch die Wolfskrankheit,4) die mich plagte, – und der Wurm, der mir am Herzen nagte, – hielten mich nicht ab, meinen Witz zu schärfen – und meine Angel auszuwerfen. – Ich sprach: O du! dein Weinen hat wohl seinen Grund, – denn niemand verzieht umsonst den Mund, – welcher Fleck am Herzen ist dir wund? – Zeige mir deinen Schaden – und vertrau auf Gottes Gnaden! – vielleicht kann mein Rat dir nützen, – oder doch mein Trost dich unterstützen. – Er sprach: bei Gott! ich klage nicht um Geld und Gut, – noch um des Glückes Wankelmut, – sondern um das Verfallen – der Gelehrsamkeit und ihrer Hallen, – um das Verfinstern ihrer Monde und Sonnen – und das Versiegen ihrer Quellen und Bronnen. – Ich sprach: Und welch Gesicht hat dich geneckt, – daß dein Seufzen ward erweckt – nach der Weisheit, die der Grabschutt deckt? – Da zog er ein Blatt aus seinem Ärmelfutter – und schwor bei seinem Vater und seiner Mutter, – er hab' es gezeigt den Lehrern jeder Schule, – doch leer gelaufen sei ihrer Gelehrsamkeit die Spule, – er hab' um Auskunft gebeten bei jedem Katheder, – doch die Weisheit sei vertrocknet in jeder Feder. – Ich sprach: Reiche es und zeige mir's, – vielleicht lese ich und löse dir's. – Er sprach: du vertraust dir viel, – doch wer weiß! mancher Schütze traf blind ans Ziel. – Da gab er mir das Blatt in die Hand, – darauf geschrieben stand:
Der du dir auf Weisheit etwas thust zu gut |
Als ich nun vom Blatte – das Geheimnis gelesen hatte, – sprach ich: Du hast dich um Vormundschaft gewandt an keinen Unmundigen – und um Kundschaft an einen Landeskundigen; – nur daß mir brennen die Eingeweide, – und mir not thut eine Abendweide. – Tische mir auf etwas – und sei zum Nachtisch gewärtig meines Fetwas.5) – Er sprach: Du machst billige Bedingung – und forderst nichts über die Erschwingung. – Komm mit mir, daß dir werde Gewährung – und ziemliche Gastverehrung. – Da folgt' ich ihm und meinem Magen – und dem, was uns Gott ließ durch den Koran sagen: – »Wer euch einlädt, dem sollt ihr's nicht ausschlagen.« – Und wir traten in ein Haus, von Grund und Zinne – schwächer als das Haus der Spinne, – und so karg – an Raum wie ein Sarg; – doch ich vergaß des Hauses Gebrechlichkeit – über des Haushalts Gemächlichkeit. – Er gab mir die Wahl, – was ich wünschte zum Mahl – von des Marktes Leckerbissen. – Da sprach ich: Ich will nicht missen – den Herrn vom Euter, – den gelbweißen Reuter – auf dem braunroten Sattel – (ich meinte den Rahm auf der Dattel). – Ich will die Süße, die mit dem Fetten im Magen kämpft – und heilsam seine schädlichen Dämpfe dämpft. – Er besann sich ein Geraumes, – dann sprach er: Du meinst wohl die Tochter des Palmbaumes – und den Sohn des Milchschaumes? – Ich sprach: Ja, ich meine diese beiden, – von denen mein Verlangen sich nicht kann scheiden. – Und er stand auf rührig, – doch dann hockt' er sich nieder schwürig – und sprach: Wisse! (Gott sei dein Hort!) daß die Wahrheit ist eine Gnade –und die Lüge ein Schade; – und laß dich von dem Hunger, der ein Schmuck ist der Gottbeseelten – und ein Halsband der Auserwählten, – nicht verführen zu den meineidigen Rotten – und zu denen, die des Glaubens spotten. – Eine Freigeborne hungert, eh sie isset von ihren Brüsten,6) – und ein Edler gehorcht nicht unedlen Lüsten. – Dann bin ich auch der Mann nicht, der sich Sprenkel stellen läßt, – oder im Handel sich prellen läßt. – Ich habe nun gewarnt, du magst dich wahren, – denn der Betrug ist einträglich, doch mit Gefahren. – Ich sprach: Bei dem, der verpönt hat, sich vom Wucher zu nähren, – aber vergönnt hat, Rahm und Datteln zu verzehren! – ich spinne keinen Lug – und sinne keinen Trug: – du wirst die Wahrheit erfahren mit Scham – und segnen den Aufwand von Datteln und Rahm. – Da war sein Glauben erstarkt, – und er rannte auf den Markt. – Und nichts war schneller als er wieder da, mit der Bürde der süßen Gerichte – und einem saueren Gesichte; – er setzte sie mir vor mit einem Wesen, – darin ein Vorwurf der Wohlthat war zu lesen, – und sprach: Da schling um die Wette – des Lebens Süße und Fette. – Doch ich streifte den Ärmel zurück und schritt – ans Werk mit Elefantenappetit; – und er sah mir zu mit Blicken, – die mir wünschten, zu ersticken, – bis ich nun verschlungen die beiden Fuhren, – und von ihrem Dasein nur zeugten die Spuren, – da ward ich stumm, wie die Nacht, die eben hereinbrach, – und sann auf meines Fetwas Zettel und Einschlag. – Er aber säumte nicht, aufzuspringen, – Feder und Tintenfaß herbeizubringen, – sprechend: Du hast nun gefüllt den Schlauch, – erfülle nun das Versprechen auch; – oder du sollst mir nicht vom Platz – ohne des angerichteten Schadens Ersatz. – Ich sprach: Nur auf die Wahrheit steht mein Blick; – schreib! und in Gottes Hand steht unser Geschick:
Sage dem, der uns mit Rätseln necken will, |
Als er so nun aufgeschrieben und gutgeheißen den Ausspruch, – rief er mit plötzlichem Ausbruch: – Zum Aufbruch! zum Aufbruch! – eh der Finsternis Einbruch – thut deiner Reise den Einspruch. – Ich rief: die Finsternis ist schon eingebrochen – und ich bin hier in Freundeshaus eingesprochen; – ich bin ein Mann in fremdem Land: – weise nicht das verdienstliche Werk von der Hand! – Die Nacht hat ihren dunkeln Mantel um, – und der Donner in den Wolken feiert Gottes Ruhm. – Doch er sprach: In Gottes Namen, geh, wohin du's erachtest, – nur hoffe nicht, daß du bei mir übernachtest! – Ich sprach: Und warum giebst du keine Frist, – da doch dein Haus so geräumig ist? – Er sprach: weil ich sah, wie du schlucktest, – bis du alles nieder drucktest, – und merkte, daß du dein Heil nicht wahrest, – noch deine Gesundheit sparest. – Wer so sich stopft, wie du dich gestopft, – und den Magen pfropft, wie du ihn gepfropft, – der kann nicht entgehn dem Leibschneiden, – er trägt den Tod in seinen Eingeweiden. – Darum verschone mich mit deinem platzenden Wanst – und trag ihn von hinnen, weil du noch kannst. – Denn bei dem Gott der Lebendigen und der Toten! – dir wird bei mir kein Nachtquartier geboten. – Als ich nun vernommen seinen Eid – und bekommen meinen Bescheid, – ging ich hinaus – von seinem Haus, – nicht so voll – von Speis', als von Groll; – vom Himmel draußen begossen, – von der Nacht umhergestoßen, – von den Hunden angebellt, – von den Hausthüren abgeprellt, – bis mich das freundliche Glück zu deiner Schwelle gewiesen, – seine weiße Hand sei gepriesen! – Ich sprach: Gesegnet dein Anblick, der gottbeschiedene, – für mein Auge, das schlafgemiedene, – und für mein Herz, das nun zufriedene! – Dann hub er an aufzutischen – seine Geschichten, die immer frischen, – und mit Anmut, was Lachen erregt und was zu Thränen bewegt, zu mischen. – Die Lieblichkeit der Nachtgespräche sprießte, – bis daß der Morgen nieste,7) – seine Odemzüge sich anfachten, – und der Rufer8) rief zu den Andachten. – Da leisteten wir dem Ruf Folge nach Moslemenweise, – dann schickte sich Abu Seid zur Reise. – Ich hielt ihn und sprach: Drei Nächte, – so lauten die Gastrechte. – Doch er riß sich los und gewann den Ausgang – und sang, indem er hinaussprang:
Besuche deinen Freund in jedem Monat |
Hareth Ben Hemmam erzählt: Wie erst sein Anblick mich hatte gelabt, – so ward ich von seinem Abschied mit Schmerz begabt, – und ich wünschte, meine Nacht hätte keinen Morgen gehabt.