18.
Die Gesetzfrage.
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich faßte nach der Opfergebräuche Schluß, – nachdem ich dem heiligen Hause
gebracht meinen Gruß – und dem schwarzen Stein meinen Kuß, – den
Entschluß, zu besuchen
Taiba1)–
mit einer Gesellschaft von den Benu Schaiba, – um zu beten – am Grabe des
Propheten – und nicht zu gehören zu den Leidigen, – die, indem sie wallfahrten,
beleidigen.2) –
Doch das Gerücht kam, der Wegfriede sei gestört – und die arabischen Stämme
gegen einander empört. – Da schwankt' ich zwischen Bangen, das mich zügelte, –
und Verlangen, das mich beflügelte; – bis in mein Herz kam der Mut der Erhebung –
und die Ruhe der Gottergebung, – daß in mir der Sieg ward entschieden – für
den Besuch des Grabes dessen, über den sei Frieden. – Worauf ich ein Tier belastete
– und mit der Gesellschaft hastete, – die zog, ohne daß sie rastete, – bis
erreicht waren die Benu
Herb3)– die
den Gästen milde sind und den Feinden herb; – die hatten eben gelöscht das Feuer der
Schlacht – und die Gastfeuer wieder angefacht; – so daß wir beschlossen, den
Schatten unseres Tages – hinzubringen am Ort ihres Hages. – Als wir nun beschäftigt
waren, die Tiere zu stellen – und zu schöpfen die frischen Quellen, – sahen wir den
Stamm ausreiten in hellem Haufen, – als sollten ihre Rosse ein Wettrennen laufen. – Uns
verwunderte der Bienenschwarm der Leute – und wir fragten, was es bedeute? – Da ward uns
gesagt, es sei erschienen in ihrem Kreise – der arabische Weltweise, – und ihre Eile sei
ihm zum Preise. – Da sprach ich mit Zucht – zu meiner Gesellschaft: Sollen wir nicht
ernten Weisheitsfrucht? – Auf! ihre Versammlung sei von uns besucht. – Sie sprachen: Was
du redest, ist zu hören, – und was du rätst, ist ohne Thören. – Drauf wir
uns aufmachten ohne weiteres Wort – und zogen mit dem Zuge fort, – bis wir kamen zu des
Stammes Versammlungsort. – Als wir dort nun eingetreten waren – und den Weltweisen
sahen, das Ziel der Scharen, – erkannt' ich in ihm Abu Seid, den Herrn des Lugs und
Trugs, – den Meister des Fugs und Unfugs, – jetzt als Schriftforscher aufgeputzt –
und als Gesetzgelehrter aufgestutzt, – den Turban tragend nach der Art Kafdaa, –
das Kleid umschlagend nach der Weise Sammaa, – dasitzend in der Stellung
Korfosaa; –die Häupter des Stammes um ihn gepaart – und das Gemische des
Volkes um ihn geschart; – er aber sprach: Befraget mich über Leichtes und Schweres
– und forschet von mir Niedres und Hehres. – Denn bei dem, der ausspannt des Himmels
Rahmen – und der dem Adam gelehrt der Dinge Namen, – ich bin der Weltweise der Araber
vom reinen Blut – und der Weiseste unter dem goldgestickten blauen
Hut.4) – Da
trat auf ein Mann, dem die Zunge nicht versagte – und das Herz nicht verzagte, – der
sprach: Ich habe die Weltweisen – aufgesucht in den Weltkreisen – und habe von ihnen
eingetragen – siebenundsiebzig Gesetzfragen. – Nun, wenn du nicht bist von den leeren,
nichtigen Prahlern, – sondern von den schweren, gewichtigen Zahlern, – und wenn du
wünschest von uns gesegnete Nachhauskunft, – so hör und gieb Auskunft. – Jener
sprach: Gott ist groß! – Führe deinen Stoß – und laß deine
Streitkräfte los, – daß sich zeige, wem hier fällt des Sieges Los. –
Worauf der eine fragte – und der andre die Antwort sagte.
- Darf ich Springwasser zur Abwaschung brauchen? – Nicht einen Finger kannst du drein ohne
Verunreinigung
tauchen.5)
- Darf man sich waschen in dem, was speiet ein Drache? – Ja, so gut wie in jedem
Bache.6)
- Wie, wenn ein Krämer sich abwusch und vergaß dabei seine Elle? – Er fange von
vorn an auf der
Stelle.7)
- Oder ein Töpfer und vergaß seine Scheibe?– Vergebens wusch er sich am
übrigen
Leibe.8)
- Oder ein Schlosser und vergaß den Schlüssel? – Er fülle nur noch einmal
die
Schüssel.9)
- Oder ein Schreiber und vergaß sein Blatt? – Er ist unrein, wenn er's nicht
mitgewaschen
hat.10)
- Ist dem Moslem rauschendes Getränk untersagt? – Nein, wenn ihm aus dem Bache zu
trinken behagt.
- Darf ein Moslem sich laben an des Christen Bache? – Nein, ihr Fleisch ist ihm eine
verbotene
Sache.11)
- Darf ein Moslem sich wenden zu den Heiden? – Ja, um seine Herden darauf zu weiden.
- Darf ein Gläubiger sich wahrsagen lassen? –Ja! das Lügenreden soll er
hassen.
- Mag uns ein Einsichtiger zum Imam taugen? – Nein, er soll sehn auf beiden
Augen.12)
- Darf der Imam sein, wer irgend einen Flecken hat? – Ja, oder ein Dorf oder eine Stadt.
- Darf der Imam einen Bruch haben? – Ja, zum Steingraben.
- Darf der Imam ruchlos sein? – Das Gebrechen ist
klein.13)
- Darf unser Imam Mädchen nöten? – Ja, und auch Maden
töten.14)
- Wie, wenn er hat den Koller? – Auch gut, doch der Leibrock ist
würdevoller.15)
- Darf ein Richter die Rechte biegen? – Ja, so gut als die Linke schmiegen.
- Ist er wacker, wo man ihn besticht? – Ja, im Kriege, wo man mit Lanzen ficht.
- Darf von Gerichts wegen verstrichen werden eines armen Schuldners Kopf? – Ja, und sein
Topf, doch nicht sein
Schopf.16)
- Ist's ein gutes Werk, arme Schuldner zum Gerichte zu laden? – Ja, durch die Einladung
verdienst du Gottes Gnaden.
- Soll ich falsch Zeugnis ablegen? – Jawohl, alles Böse sollst du ablegen.
- Darf man etwas Geschwornes brechen? – Ja, oder
aufstechen.17)
- Ist es gut, den Schein einer Schuld zu tragen? – Jawohl, um sie einzuklagen.
- Darf man mit Hadern vorm Richter stehn? – Nicht jeder Arme kann in reichen Kleidern
gehn.18)
- Soll der Richter nach Ansehen der Person richten? – Ja, vorher mit nichten.
- Muß der Richter sein unbefangen? – Nein! er darf anhaben Gewand und Spangen.
- Darf er unschlüssig sein? – Ein fester Schluß ist nötig dem Reiter
allein.
- Wann reden weise Männer, ohne daß sie sich besonnen? – Nachts, wann sie
Mondscheingespräche
begonnen.19)
- Ist Afterrede eine Schändlichkeit? – Nein, aber eine Unanständigkeit.
- Soll man Eingang wünschen guten Sitten? – Nein! daß sie nie eingehn, soll man
Gott bitten.
- Darf man einer Häßlichen geradezu den Hals abdrehn? – Ja, du bist durchaus
nicht verbunden, sie
anzusehn.20)
- Darf man einem Ohrenbläser das Ohr abschlagen? – Allerdings soll man ihm Gehör
versagen.
- Ist Nachsicht zu empfehlen? – Nein! Vorsicht ist zu wählen.
- Wie, wenn ich sehe, mein Bruder ist unbedacht? – Er werde von dir unter Dach gebracht.
- Darf auch ein Vormund seine Pupille drücken? – Ja, oder mit der Hand sie
jücken.
- Darf ich den ins Antlitz schlagen, der nach meiner Drossel greift? – Nein, wenn es die
ist, die pfeift.
- Darf ich meine Ammer würgen? – Du darfst nicht deine Amm' erwürgen.
- Darf ich eine Steintaube schießen? – So wenig als eine Stockblinde
spießen.
- Wie, wenn ich eines armen Mannes Maus verletze? – Wird er lahm davon, so büßest
du's nach dem Gesetze.
- Was geschieht aber dem, der mir die Knöchel zerbrach? – Nichts! denn das Spiel ist
eine Schmach.
- Doch, wer meine Ferse verwundet hat? – Er gebe dir eine heile Kuh an deren Statt.
- Und wer meine Kiefer zerbricht? – Lad ihn als Baumfrevler vor Gericht.
- Doch, wenn meine Frau ihr Becken zerbrochen? – Wenn du willst, die Scheidung sei
gesprochen.
- Darf man eine Geschiedene frein? – Man freit die Lebenden allein.
- Darf ein Oheim die Neffen ausrotten? – Ja, wie die Wanzen und
Motten.21)
- Wenn dem Großvater sein Enkel wehethut? – Halt er ihn weich beschuht!
- Darf ein Ehewirt schonungslos Frauenhaar raufen?– Ja, und Bocksbart und Hahnenkamm zu
Haufen.
- Soll mein Weib daheim den Rocken anlegen? – Nein! der Mann soll des Feldbaus pflegen.
- Sind Weiber als reinlich zu loben, die gerne waschen? – Nein, sie sind Plaudertaschen.
- Ist häuslich, die sich in Steppen ergeht? – Ja, die das Nähen versteht.
- Steht's ihr fein, die Krätz' an der Hand zu haben? – Ja, um zu sammeln des Baumes
Gaben.22)
- Darf eine Gärtnersfrau verkaufen ihre Frucht? – Nein! doch ihre
Zucht.23)
- Ist's rätlich, im Feld unter Rüstern zu ruhn? – Nein! rüste dich, eh' sie
dir Schaden thun.
- Darf ein Lahmer fechten? – Ja, nach Bettelrechten.
- Ist ein Gelddieb, wer eine Katze stahl? – Ja, eine gespickte
zumal.24)
- Ist ein Viehdieb, wer raubt von der Weide ein Betzchen? – So wenig, als wer nimmt von der
Pappel ein
Kätzchen.25)
- Oder im Tannenwald eine Kuh? – Nein, und nähm' er vom Fichtenwald einen Zapfen
dazu.26)
- Wie bestraft man einen Milchdieb? – Man läßt ihn fliegen, wohin es ihm
lieb.27)
- Was verdient, wer mir einen Löffel stiehlt? – Er hat den Arbeitslohn
erzielt.28)
- Aber wer in meinem Garten raubt? – Gieb ihm zum Lohn fürs Raupen ein Krauthaupt.
- Doch wer mein Haus am hellen Mittag sprengt? – Du dankst ihm, daß die Glut dich
weniger
sengt.29)
- Ist es Sünd', einen Leib zu verbrennen? – Nein! doch schade, man wird ihn nicht essen
können.30)
- Ist ein fester Platz gut in der Not? – Ja, doch besser ist lockeres
Brot.31)
- Darf man in der Not Menschen speisen? – Ja, sie werden dafür dich preisen.
- Darf man einem Bettler geben Schilling' oder Stüber? – Weh' dem
Armenbetrüber.32)
- Ist ein Betrüger, wer andern zu leicht gewogen? – Nein, sondern er ist leicht
betrogen.
- Darf ein Edler wohl den Fuchsschwanz streichen? – Ja, und die Rappenmähne
desgleichen.
- Darf ich die Feinde im Krieg gegen meinen Stamm anführen? – Den Feind zu hintergehn,
mag sich schon gebühren.
- Darf ich meinen Stamm oder meine Horde verderben? – Ja; doch schadest du dir und deinem
Erben.33)
- Darf ich fortgehn heißen, wem ich Quartier gegeben? – Ja, und er danke dir das
Leben.34)
- Darf unser Feldoberster reiten im Zelt? – Ja, oder im Schritt und Trab, wie's ihm
gefällt.35)
- Kann uns im Kampf auch helfen ein Wunder? – Besser hilft uns ein Gesunder.
- Darf man Feinden den Rücken kehren in der Schlacht? – Ja, ihn fegen und klopfen mit
aller Macht.
- Wem hat ein Bedienter zu befehlen? – Allen Bedienenden, die seinen Dienst
erwählen.
- Darf ich meinem Vorgesetzten entgegenhandeln? – Ja, du darfst deinen Vorsatz
verwandeln.
- Darf ich schelten, die schalten? – Nein, die Schaltenden laß walten.
- Ist zu ehren ein Weisheitslehrer? – Sei du des Weisheitsvollen Ehrer.
Da rief der Fragende: Gottes Preis. – wie hoch ist gewachsen deines Ruhmes Reis, – und
wie gedehnt deines Meeres Kreis, – Dein Lob ist von Worten unerreichbar – und deine
Einsicht von Bild unvergleichbar. – Dann stockte er wie ein Beschämter – und
starrte wie ein Zungengelähmter. – Doch Abu Seid rief: Nun voran, voran! –
woran hält es, woran? – Jener sprach: In meinem Köcher ist kein Pfeil mehr, –
und nach deinem Sonnenaufgang ist für die Nacht kein Heil mehr. – Doch bei Gott, dessen
Huld dich geleite von dannen, – sage, wer bist du und von wannen? – Da hub er an mit
vollen Tönen – und mit hohlem Dröhnen:
Ich bin das Wunder des Tages
Und das Erstaunen der Welt,
Der Weisheit
Kibla,36)
nach welcher
Gekehrt die Blicke man hält;
Nur daß ich stets, wo ich raste,
Gleich wieder räume das Feld
Und bleibe keinem Gefährten
Als meinem Kummer gesellt.
Ja, wenn am Baume von Eden
Ich sollt' aufschlagen mein Zelt,
Von Heimweh bliebe, von Heimweh,
Auch dort die Rast mir vergällt.
|
Dann rief er: O Gott, gleichwie du hast gemacht – meinen Sinn zu der Weisheit Schacht, –
also mache nun diese Herzen umher – zu der Großmut Meer. – Das Gebet drang in des
Volkes Seele, – und sie stellten voll Ehrfurcht zu seinem Befehle – eine kunstfertige
Magd und ein halb Dutzend Kamele; – baten ihn auch angelegentlich, – sie wieder zu
besuchen gelegentlich. – Und nachdem er die Wiederkehr zugesagt, – zog er ab mit Tieren
und Magd, – ohne daß er mit einem Blick nach mir gefragt.
-
Ein Ehrenname von Medina, bedeutend: die gute, liebliche.
-
Nach der Überlieferung des Propheten: Wer wallfahrtet (nach Mekka) und mich
(mein Grab in Medina) nicht besucht, der beleidigt mich.
-
Ein kriegerischer Stamm, damals zwischen Mekka und Medina wohnend.
-
Des Himmels.
-
Zur gesetzlichen Abwaschung beim Gebete. Über die verschiedenen Arten von
teilweiser und ganzer Abwaschung des Leibes hat der Moslem die genauesten und kleinlichsten
Vorschriften zu kennen und sorgfältig zu beobachten; sonst verunreinigt er sich, statt sich zu
reinigen, und muß von vorn anfangen. – Ein Springwasser machen, sein Wasser abschlagen.
-
Der Drache, im Arabischen (wie in der Schweiz) ein Bergstrom.
-
Die Elle, der Ellbogen, der mit abgewaschen werden muß.
-
Die Scheibe, die Kniescheibe.
-
Der Schlüssel, das Schlüsselbein.
-
Das Blatt, das Schulterblatt.
-
Die Bache, das Mutterschwein.
-
Der Einsichtige, der nur aus einem Auge Sehende. – Der Imam soll
ohne körperliche Mängel sein.
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Ruchlos, geruchlos.
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Mädchen, kleine Maden.
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Koller, Waffenrock. Der Imam darf in jedem Gewande, auch einem kriegerischen,
der Gemeinde vorbeten.
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Kopf (Kruppe, Kumpe), Schüssel, Becher.
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Geschwornes, ein Geschwür.
-
Hadern, Lumpen.
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Sich besonnen, sich sonnen.
-
Abdrehen, abwenden.
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Neffen, mundartlich: Blattläuse und ähnliches Geschmeiß.
-
Krätze, mundartlich: Korb.
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Frucht, Leibesfrucht; Zucht, was im Garten gezogen wird.
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Katze, Geldgurt.
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Die Weide, der Weidenbaum. Betzchen (Lämmchen) und Kätzchen, die
männlichen Blüten verschiedener Bäume.
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Tannenkuh, Tannenzapfen.
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Milch- oder Molkendieb, Schmetterling.
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Stielen, mit einem Stiele versehen.
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Sprengen, mit Wasser besprengen.
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Ein Laib, Brotlaib.
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Platz, mundartlich: Fladen, platter Kuchen.
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Schilling und Stüber, Püffe und Knüffe.
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Baumstamm und Viehhorde (Hürde).
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Quartier, Pardon.
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Der Zelt, Gang des Pferdes (Zelters) zwischen Schritt und Trab.
-
Kibla, der Richtungspunkt des Betenden, nach Mekka und Kaaba hin.