König Lear, Cornwall, Albanien, Gonerill, Regan, Cordelia und Gefolge.
Lear.
Gloster, gehe denen Fürsten von Frankreich und Burgund Gesellschaft
zu leisten.
Gloster.
Ich gehe, mein Gebieter.
(Geht ab.)
Lear.
Nunmehr ist es Zeit, unser geheimes Vorhaben zu entdeken - - Gebet
mir diese Land-Carte - - Wisset, wir haben unser Königreich
in drey Theile getheilt, und es ist unsre erste Absicht, unser
Alter aller Regierungs-Sorgen und Geschäfte zu entladen,
und solche jüngern Schultern aufzulegen, indeß daß
wir unbelastet dem Tod entgegen kriechen - - Unser Sohn von Cornwall,
und ihr, nicht minder geliebter Sohn von Albanien, wir haben den
standhaften Schluß gefaßt, in dieser Stunde die verschiedenen
Morgengaben unsrer Töchter bekannt zu machen, damit allem
künftigen Streit darüber vorgebogen werde. Die Fürsten
von Frankreich und Burgund, ansehnliche Nebenbuler um die Liebe
unsrer jüngern Tochter, haben schon lange ihren verliebten
Aufenthalt an unserm Hofe gemacht, und sollen izt ihre Antworten
erhalten. Saget mir, meine Töchter, (da wir uns nun der obersten
Gewalt, der Landesherrschaft und der Sorge des Staats zu begeben
willens sind,) von welcher unter euch sollen wir sagen, daß
sie uns am meisten liebe? damit wir unsre freygebigste Huld dahin
ergiessen, wo die Natur für das gröste Verdienst Ansprüche
macht. Gonerill, unsre Erstgebohrne, rede zuerst.
Gonerill.
Sire, ich liebe euch mehr als Augenlicht, Raum und Freyheit; mehr
als alles was theuer und selten geschäzt werden mag; nicht
minder als Leben, Gesundheit, Schönheit und Ehre; so sehr
als jemals ein Kind geliebt, oder ein Vater geliebt zu seyn verdient
hat - - mit einer Liebe, die den Athem arm, und die Sprache unzulänglich
macht, die über allen Ausdruk ist, liebe ich euch.
Cordelia (beyseite.)
Was soll Cordelia thun? Lieben und schweigen.
Lear.
Von allen diesen Ländereyen, (von dieser Linie bis zu jener,)
mit schattichten Wäldern und offnen Ebnen, mit fruchtbaren
Strömen und weit verbreiteten Matten bereichert, machen wir
dich zur Beherrscherin. Deiner und Albaniens Nachkommenschaft
sollen sie auf ewig eigen seyn! - - Was sagt unsre zweyte Tochter,
unsre geliebteste Regan, Cornwalls Gemahlin? Rede!
Regan.
Ich bin von eben dem Metall gemacht wie meine Schwester, und schäze
mein getreues Herz nach dem Werth des ihrigen. Ich finde, daß
sie das wahre Wesen meiner Liebe ausgedrükt hat; nur darinn
fällt sie zu kurz, daß ich mich selbst eine Feindin
aller andern Freuden erkläre, welche die vier* edelsten
Sinnen uns zu geben vermögend sind, und finde, daß
Eurer Majestät Liebe meine einzige Glükseligkeit macht.
Cordelia (beyseite.)
Arme Cordelia! - - und doch nicht arm, denn ich bin gewiß,
daß meine Liebe gewichtiger ist als ihre Zunge.
Lear.
Dir und den Deinigen bleibe zum ewigen Erbtheil dieser ansehnliche
Drittheil unsers schönen Königreichs, nicht geringer
an Grösse, Werth und Schönheit, als derjenige, den wir
an Gonerill übertragen haben - - Nun du, unsre Freude, nicht
die geringste, obgleich die lezte, deren jugendliche Liebe das
weinvolle Frankreich, und das milchtrieffende Burgund zu gewinnen
streben, was sagst du, ein drittes noch reicheres Loos zu ziehen
als deine Schwestern?
Cordelia.
Nichts, Milord!
Lear.
Nichts?
Cordelia.
Nichts!
Lear.
Aus Nichts kan nichts entspringen. Rede noch einmal.
Cordelia.
Ich Unglükliche, daß ich mein Herz nicht bis in meinen
Mund hinauf bringen kan! Ich liebe Eu. Majestät so viel als
meine Schuldigkeit ist, nicht mehr und nicht weniger.
Lear.
Wie? wie, Cordelia? Verbeßre deine Rede ein wenig, oder
du möchtest dein Glük verschlimmern.
Cordelia.
Mein theurer Lord, ihr habet mich gezeugt, erzogen, und geliebt.
Ich erstatte diese Wohlthaten wie es meine Pflicht erheischet,
ich gehorche euch, ich liebe und verehre euch. Wofür haben
meine Schwestern Männer, wenn sie sagen, sie lieben euch
allein? Wenn ich mich vermählen sollte, so wird der Mann
dem ich meine Hand gebe, auch die Helfte meiner Liebe und Ergebenheit
mit sich nehmen. Wahrhaftig, ich will nimmermehr heurathen wie
meine Schwestern, um allein meinen Vater zu lieben.
Lear.
Sprichst du aus deinem Herzen?
Cordelia.
Ja, mein theurer Lord.
Lear.
So jung, und so unzärtlich?
Cordelia.
So jung, Mylord, und so aufrichtig.
Lear.
So laß denn deine Aufrichtigkeit deine Mitgift seyn. Denn
bey den heiligen Stralen der Sonne, bey den Geheimnissen der Hecate
und der Nacht, bey allen Würkungen der himmlischen Kreise,
durch welche wir entstehen und aufhören zu seyn - - entsage
ich hier aller väterlichen Sorge und Blutsverwandschaft,
und erkläre dich von diesem Augenblik an auf immer für
einen Fremdling zu meinem Herzen, und mir. Der barbarische Scythe,
oder der mit dem Fleische seiner eignen Kinder seinen unmenschlichen
Hunger stillt, sollen meinem Herzen so nahe ligen, und so viel
Mitleiden und Hülfe von mir zu erwarten haben als du, einst
meine Tochter.
Kent.
Mein theurer Oberherr!
Lear.
Zurük, Kent! Wage dich nicht zwischen den Drachen und seinen
Grimm. Ich liebte sie höchlich, und gedachte den Rest meines
Eigenthums ihren holden Abkömmlingen zu vermachen - - Hinweg
aus meinem Gesicht! (zu Cordelia) - - So sey mein Grab
meine Ruhe, als ich sie hier aus ihres Vaters Herzen verstosse.
- Ruffet die Fürsten von Frankreich und Burgund! - Cornwall
und Albanien, zu meiner beyden Töchter Mitgift, theilet auch
die dritte unter euch. Der Stolz den sie Aufrichtigkeit nennt,
mag sie versorgen. Euch belehne ich beyderseits mit meiner Oberherrlichkeit,
und allen den hohen Gerechtsamen und reichen Vortheilen, welche
die Majestät begleiten. Wir selbst werden mit Vorbehalt von
hundert Edelknechten, die ihr unterhalten sollet, unsern monatlichen
Aufenthalt wechselsweise bey euch nehmen; dieses und der königliche
Titel mit seinem Zugehör ist alles was wir uns ausbedingen;
die Regierung, die vollziehende Gewalt, und die Einkünfte,
geliebte Söhne, sollen euer seyn. Zu dessen Bekräftigung
theilet diese Crone unter euch.
(Er giebt die Crone hin.)
Kent.
Königlicher Lear, du, den ich allezeit als meinen König
geehrt, als meinen Vater geliebt, als meinen Meister begleitet,
und als meinen Schuz-Engel in meinen Gebeten angeruffen habe - -
Lear.
Der Bogen ist gespannt und angezogen, geh dem Pfeil aus dem Wege.
Kent.
Laß ihn vielmehr fallen, wenn gleich seine Spize mein Herz
durchbohren sollte. Kent mag unhöflich seyn, wenn Lear wahnwizig
ist! Was willt du thun, alter Mann? Denkst du, die Pflicht soll
sich scheuen zu reden, wenn sich die Gewalt vor der Schmeicheley
bükt? Die Ehre ist zu Aufrichtigkeit verbunden, wenn die
Majestät zu Thorheit herabsinkt. Behalt deinen Staat, hemme
durch reifferes Urtheil diese entsezliche Uebereilung. Mit meinem
Leben stehe ich davor, deine jüngste Tochter liebt dich nicht
am wenigsten. Meynest du, ihr Herz sey weniger voll, weil es einen
schwächern Klang von sich giebt, als diejenigen, deren hohler
Ton ihre Leerheit wiederhallt?
Lear.
Bey deinem Leben, Kent, nicht weiter!
Kent.
Mein Leben hielt ich nie für etwas anders als ein Pfand,
das dir meine Treue gegen deine Feinde versichern sollte; und
ich fürchte nicht es zu verliehren, wenn deine Sicherheit
der Beweggrund ist.
Lear.
Aus meinem Gesicht!
Kent.
Sieh' besser, Lear, und laß mich immer deinen wahren Augapfel
bleiben.
Lear.
Nun, beim Apollo!
Kent.
Nun, beym Apollo, König, du entehrest deine Götter mit
vergeblichen Schwüren.
Lear.
Treuloser Vasall.
(Er legt seine Hand an sein Schwerdt.)
Albanien. Cornwall.
Theurer Sir, haltet ein!
Kent.
Tödte deinen Arzt, und nähre deinen Schaden - - Wiederruffe
deinen Urtheilspruch, oder so lang ich einen Ton aus meiner Gurgel
athmen kan, will ich dir sagen, du thust übel.
Lear.
Höre mich, Abtrünniger! Weil du uns hast bereden wollen,
unsern Eyd zu brechen, den wir nimmer brechen dürfen, und
dich erfrechet hast, mit übermüthigem Stolz zwischen
unsern Ausspruch und dessen Vollziehung zu treten, welches weder
unsre Gemüthsart noch unsre Würde gestatten, und selbst
unsre Macht nicht gut machen kan; so empfange deinen Lohn. Fünf
Tage vergönnen wir dir, dich mit Mitteln gegen die Unfälle
der Welt zu versehen; am sechsten aber kehre unserm Reich deinen
verhaßten Rüken; denn wenn von izt am zehnten Tage
dein verbannter Rumpf in unsern Herrschaften noch gefunden wird,
so ist der Augenblik dein Tod. Hinweg beym Jupiter! diß
soll nicht wiederruffen werden.
Kent.
Lebe wohl, König! Seit dem du dich in dieser Gestalt zeigest,
lebt die Freyheit anderwärts, und die Verbannung ist hier
- - Die Götter schüzen dich, Mädchen, die du richtig
denkst und sehr richtig gesprochen hast. Ihr aber, mögen
eure Thaten eure vielversprechenden Reden bewähren! Und hiemit,
ihr Fürsten, sagt Kent euch allen, lebewohl, und geht, seinen
Lauf in einem fremden Lande zu vollenden.
(Geht ab.)
Gloster mit den Fürsten von Frankreich und Burgund, und ihrem Gefolge, tritt auf.
Gloster.
Hier ist Frankreich und Burgund, mein edler Lord!
Lear.
Mylord von Burgund, wir wenden uns zuerst an euch, die ihr neben
diesem Könige um meine Tochter euch beworben habet. Nennet
das wenigste, was ihr zur Morgengabe mit ihr verlangt, oder stehet
von euerm verliebten Gesuch ab.
Burgund.
Königlicher Herr! Ich fordre nicht mehr als Eure Majestät
sich erboten hat, und weniger werdet ihr nicht geben.
Lear.
Sehr edler Lord, als sie uns werth war, hielten wir sie so; aber
nun ist ihr Preiß gefallen. Sir, hier steht sie. Wenn irgend
etwas an diesem kleinen Scheinding, oder alles zusammen genommen,
mit unsrer Ungnade beschwert, Eu. Gnaden anständig ist, so
ist sie hier und ist Euer.
Burgund.
Ich weiß keine Antwort hierauf.
Lear.
Wollt ihr sie, mit allen diesen Gebrechen, welche alles sind was
sie hat, freundlos, zu unserm Haß adoptiert, mit unserm
Fluch ausgesteurt, und durch unsern Eyd für eine Fremde erklärt,
wollt ihr sie nehmen oder verlassen?
Burgund.
Vergebung, Königlicher Herr! Auf solche Bedingungen findet
keine Wahl Plaz.
Lear.
So verlasset sie dann, Sir, dann bey der Macht, die mich erschaffen
hat, ich sagte euch ihren ganzen Reichthum. Was euch betrift,
grosser König, so schäze ich eure Liebe höher,
als daß ich euch mit derjenigen vermählen wollte, die
ich hasse. Ich bitte euch also, wendet eure Neigung auf einen
würdigern Gegenstand als eine Unglükselige, welche die
Natur selbst beschämt ist, für die ihrige zu erkennen.
Frankreich.
Diß ist sehr seltsam, daß Sie, die bisher der Liebling
euers Herzens, der Inhalt euers Lobes, und die Erquikung euers
Alters war, in etlichen Augenbliken eine That begangen haben soll,
die vermögend sey, sie einer so vielfältigen Gunst zu
berauben. Denn nur irgend ein unnatürliches ungeheures Verbrechen
kan eine solche Würkung thun. Dieses aber von Ihr zu denken,
erfodert einen Glauben, zu dem sich meine Vernunft ohne Wunderwerk
nicht fähig findet.
Cordelia.
Ich bitte Euer Majestät, (weil mein Verbrechen ist, daß
ich diese glatte schlüpfrige Kunst nicht besize, etwas zu
reden, was ich nicht meyne; denn was meine wahre Meynung ist,
das gebe ich früher durch Thaten als Worte zu erkennen;)
bekannt zu machen, daß keine lasterhafte Tüke, Mord
oder Verrätherey, noch eine unkeusche That, oder sonst ein
entehrender Schritt mich Eurer Gnade beraubt hat, sondern bloß
ein Mangel der mich reicher macht, der Mangel eines immer bettelnden
Auges, und solch einer Zunge, dergleichen ich nicht zu haben,
mich freue; obgleich sie nicht zu haben, mir den Verlust Eurer
Zuneigung gebracht hat.
Lear.
Besser wär' es, du wärest nie gebohren worden, als daß
du mir nicht besser gefallen hast.
Frankreich.
Ist es nur diß? Eine Langsamkeit des Temperaments, die manchmal
nicht ausdrüken kan, was sie im Sinne hat? Mylord von Burgund,
was sagt ihr zu der Lady? Liebe ist nicht Liebe, wenn sie mit
Absichten vermengt ist, die neben dem wahren Ziel vorbey gehen.
Redet, wollt ihr sie haben? Sie selbst ist das gröste Heurathgut.
Burgund.
Königlicher Herr! Gebet Ihr nur das Erbtheil, das Ihr willens
waret, so nehme ich hier Cordelias Hand, und erkläre sie
zur Herzogin von Burgund.
Lear.
Nichts! - - ich habe geschworen.
Burgund.
So bedaure ich denn, daß ihr einen Vater so verlohren habet,
daß ihr auch einen Gemahl verlieren müßt.
Cordelia.
Friede sey mit Burgund! weil Absichten auf Vermögen seine
Liebe sind, so werde ich nicht sein Weib werden.
Frankreich.
Schönste Cordelia; desto reicher, weil du arm bist, desto
wählenswürdiger, weil du vergessen, und desto geliebter,
weil du verschmähet wirst. Hier bemächtige ich mich
deiner und deiner Tugenden, wenn es anders erlaubt ist zu nehmen,
was andre verworffen haben. Ihr Götter! wie seltsam, daß
die kälteste Gleichgültigkeit meine Liebe zu flammender
Ehrfurcht anfachen soll! Deine enterbte Tochter, König, von
dir verworffen, und meiner Willkuhr überlassen, ist Königin
von Mir, von Frankreich, und von allem was mein ist. Alle Herzoge
des wasserreichen Burgunds können dieses ungeschäzte
theure Mädchen nicht von mir erkauffen. Gieb ihnen das lezte
Lebewohl, Cordelia, so ungütig sie sind; du verlierst hier,
anderswo etwas bessers zu finden.
Lear.
Du hast sie, Frankreich! Laß sie dein seyn, denn wir haben
keine solche Tochter, noch werden wir dieses ihr Gesicht jemals
wieder sehen. Gehet also, ohne unsre Gnade, unsre Liebe, und unsern
Segen. Komm, edler Burgund!
(Lear und Burgund gehen ab.)
Frankreich.
Beurlaubet euch von euern Schwestern.
Cordelia.
Ihr Kleinode euers Vaters, mit gebadeten Augen verläßt
euch Cordelia; ich weiß wer ihr seyd, und bin als eine Schwester
gar nicht geneigt, eure Fehler mit ihrem eignen Namen zu nennen.
Liebet unsern Vater in der That. Euerm Liebe-athmenden Busen empfehle
ich ihn! Und doch, stünde ich in seiner Gnade, ich wollte
ihm einen bessern Plaz anweisen. So lebet wol!
Regan.
Ihr habt nicht nöthig, uns unsre Pflicht vorzuschreiben.
Gonerill.
Laßt ihr eure Sorge seyn, euerm Gemahl zu gefallen, der
euch vom Allmosen des Glüks aufgenommen; ihr habt durch Mangel
an Gehorsam den Mangel wol verdienet, auf den ihr noch stolz zu
seyn scheint.
Cordelia.
Die Zeit wird enthüllen, was die gefaltete List verbirgt.
Wol mög' es gehen!
Frankreich.
Komm, meine schöne Cordelia.
(Frankreich und Cordelia gehen ab.)
* Durch diese vier edelsten Sinne sind hier Gesicht, Gehör, Geruch, und Geschmak zu verstehen; denn eine junge Dame konnte mit Anständigkeit nicht zu verstehen geben, daß sie die Vergnügungen des fünften kenne.
Warbürton.
Der Uebersezer überläßt dieses dem Ausspruch der
jungen Damen, und wagt nur die Vermuthung, ob es nicht weit natürlicher
sey zu denken, Regan nenne eben darum die vier edelsten Sinne,
weil sie dem fünften nicht entsagen will.