Valentin.
Und warum nicht lieber sterben, als immer auf der Folter leben?
Sterben ist von mir selbst verbannt seyn: Und Silvia ist ich selbst;
von ihr verbannt ist Selbst von Selbst geschieden: Ein wahrer
Tod! Welches Licht ist Licht, wenn es mir Silvia nicht sichtbar
macht? Welche Freude ist Freude, wenn Silvia nicht Antheil nimmt?
O Silvia! wenn ich nicht bey dir bin, so ist keine Musik in dem
nächtlichen Gesang der Nachtigall! Und wenn ich bey Tage
dich nicht sehe, so seh' ich keinen Tag! Du bist mein Wesen, und
ich höre auf zu seyn, wenn der Einfluß deiner schönen
Blike mich nicht bestralt, erwärmt, erleuchtet und im Leben
unterhält! Nein, ich fliehe den Tod nicht, den dieses tödtliche
Urtheil mir andräuet; bleibe ich hier, so erwart' ich nur
den Tod; flieh ich von hier, so flieh ich vom Leben weg.
Protheus und Lanz treten auf.
Protheus.
Lauff, Junge, lauff, lauff, und such' ihn auf.
Lanz.
Holla - - he! Holla - - he! - -
Protheus.
Was siehst du?
Lanz.
Ihn, den wir suchen; es ist kein Haar auf seinem Kopf, das nicht
ein Velten ist.
Protheus.
Valentin - -
Valentin.
Nein.
Protheus.
Was denn? Sein Geist? - -
Valentin.
Auch nicht.
Protheus.
Was denn?
Valentin.
Niemand.
Lanz.
Kan niemand reden? Herr, soll ich schlagen?
Protheus.
Wen willt du schlagen?
Valentin.
Niemand.
Protheus.
Halt, Schurke!
Lanz.
Wie, Herr, ich schlage niemand: ich bitte euch - -
Protheus.
Halt ein, sag ich: Valentin, ein Wort mit euch - -
Valentin.
Meine Ohren sind mit schlimmen Zeitungen so voll gestopft, daß
sie keine gute hören können.
Protheus.
So will ich die meinigen in Stillschweigen begraben, denn sie
sind hart und übellautend.
Valentin.
Ist Silvia todt?
Protheus.
Nein, Valentin.
Valentin.
Ist sie mir untreu worden?
Protheus.
Nein.
Valentin.
Was ist denn eure Neuigkeit?
Protheus.
Daß du verbannt bist; o! das ist die traurige Neuigkeit!
von hier, von Silvia, und von deinem Freunde.
Valentin.
Weiß es Silvia, daß ich verbannt bin?
Protheus.
Ja, und sie hat über dein Urtheil, welches unwiderruflich
in seiner vollen Kraft besteht, eine See von schmelzenden Perlen
zu den Füssen ihres unerbittlichen Vaters ausgegossen; mit
ihnen sich selbst zu seinen Füssen hingeworfen, und ihre
schönen Hände ringend um deine Begnadigung gefleht.
Aber weder ihr Aechzen noch ihre Thränen konnten den unbarmherzigen
Alten rühren; Valentin muß sterben, wenn er ergriffen
wird. Alles was sie mit ihrer Fürbitte gewonnen hat, war,
daß sie unter den härtesten Bedrohungen, in engere
Verwahrung gebracht worden ist.
Valentin.
Genug, mein Freund, es wäre dann, daß das nächste
Wort, das du reden wolltest, eine tödtende Kraft hätte:
Wenn das ist, so bitt' ich dich, rede, und ende auf einmal meinen
endlosen Schmerz.
Protheus.
Halt' ein mit Klagen, die dein Unglük nicht ändern können,
und denke darauf, wie du dem Uebel begegnen wollest, das du beklagst.
Die Zeit ist die Säugamme und Pflegerin alles Guten; wenn
du hier verweilst, so geschieht es ohne Nuzen für deine Liebe,
und auf Gefahr deines Lebens. Hoffnung ist der Stab eines Liebhabers;
mit diesem wandre von hinnen, und vertreibe damit die verzweifelnden
Gedanken. Deine Briefe können hier seyn, wenn du gleich selbst
abwesend bist; übermache sie an mich, und ich verspreche
dir, sie unmittelbar in den milchweissen Busen deiner Geliebten
zu überliefern. Es ist izt keine Zeit zu Klagliedern; komm,
ich will dich bis durch die Stadt-Thore begleitete, und, eh ich
dich verlasse, mich ausführlich über alles was deine
Liebe betrift mit dir besprechen. Wenn du es auch nicht um dein
Selbst willen thun willt, so thu es aus Liebe zu Silvia, und folge mir.
Valentin.
Ich bitte dich, Lanz, wenn du meinen Kerl siehst, so heiß
ihn eilen, und an dem nördlichen Thor auf mich warten.
Protheus.
Geh, such ihn auf: Kommt, Valentin.
Valentin.
O meine theure Silvia! Unglüklicher Valentin!
(Sie gehen ab.)