Ein lachend oder weinend Angesicht
bringt, wie wirs ansehn, augenblicklich auch
ein Lächeln oder einen traurgen Zug
in unsers. Willst du daß dein Unglück mich
zu Tränen rühren soll, mein guter Peleus
und Telephus, so mußt du selber weinen1)!
Sind deine Reden deiner Lage nicht
gemäß, so werd ich - gähnen oder lachen.(C)
Zu einem traurenden Gesichte ziemen sich
auch traurge Worte. Ruhig, oder zürnend,
mutwillig oder ernsthaft, immer sei die Sprache
der Leidenschaft, der Stimmung angemessen,
die erst aus Miene und Gebärde spricht.
Denn jeder Wechsel unsers Glücks erregt
zuerst im Innern eine Leidenschaft;
Zorn, der zum Widerstand das Blut erhitzt,
die Arme ausstreckt - oder Traurigkeit,
die hoffnungslos zur Erde, wie zum Grabe,
uns niederzieht: und dies, bevor die Zunge
der Seele Dolmetsch wird, und ihre Regung
in Worte ausbricht. Dies ist allezeit
Gang der Natur. Verfehlt der Dichter ihn,
legt seinem Helden in den Mund, was nicht
zu seiner Lage paßt: so darfs ihn nicht befremden,
wenn Ritterschaft und Fußvolk2) überlaut
ihm, statt zu weinen, an die Nase lachen.
Nicht minder kommt sehr vieles darauf an,
ob die Person, die spricht, der Diener oder
der Herr im Haus, ein reifer Alter, oder
ein junger schwärmerischer Tollkopf ist;
ob eine Fürstin, oder ihre treuergebne
Hofmeisterin; ein Kaufmann, allenthalben
zu Haus und nirgends, oder ob ein Landwirt
der sich von seinem Gütchen nährt; ob er
Assyrer oder Kolcher, ob zu Theben oder
zu Argis auferzogen3). Übrigens
soll der Poet entweder an die Sage
sich halten, oder, wenn er dichten will,
das Wahre der Natur zum Muster nehmen.
Führst du Achillen auf, den jeder kennt,
so sei er hitzig, tätig, schnell zum Zorn
und unerbittlich, wolle nichts von Pflichten hören,
und mache alles mit dem Degen aus4)!
Medee sei trotzig und durch nichts zu schrecken,
die sanfte Ino weich und tränenreich,
Ixion treulos, schwermutsvoll Orest5).
Bringst du hingegen etwas auf die Bühne
das nie versucht ward, wagest eine neue
Person zu schaffen - gut! so gib ihr Selbstbestand,
und wie sie sich im ersten Auftritt zeigt,
so führe sie, sich selber ähnlich, bis
zum letzten fort! - Es ist vielleicht nichts schwerers,
als aus der Luft gegriffnen Menschenbildern
das eigne Individuelle geben
was jeden täuscht, und den Erdichteten
uns anverwandt und unsersgleichen macht:
Du wirst daher mit minderer Gefahr
ein Schauspiel aus der Iliade ziehen,
als dich an was ganz neuerfundnes wagen.
Ein Süjet, das der ganzen Welt gehört,
wird wieder Eigentum, wenn du dich weder
auf einem Plan, der zum Gemeinplatz schon
geworden, tummelst, noch, als ein getreuer
demütger Übersetzer, Wort für Wort
dem Griechen6) nachtrittst; noch, als bloßer
Nachahmer, dich so sehr zusammendrückest,
daß, etwas wegzulassen, dir die Scham,
hinzuzutun, die Regel dir verbietet7).
Auch fange dein Gedicht so laut nicht an,
wie jener alte Cyklische8) Poet:
»Von Priams Schicksal und dem weitberühmten Krieg
begeb ich mich zu singen« - Großgesprochen!
Was kann der Mann uns sagen, das, den Mund
dazu so weit zu öffnen, würdig wäre?
Es kreißte, wie die Fabel sagt, ein Berg,
und er gebar, zu großer Lustbarkeit
der Nachbarschaft, ein kleines kleines Mäuschen.
Um wieviel besser Er9), der niemals was
unschicklichs vorgebracht: Erzähle mir,
o Muse, von dem Mann, der nach Eroberung
von Troja vieler Menschen Städt' und Sitten sah -
Er gibt kein Feurwerk das in Rauch sich endet,
erst macht er Rauch, dann folgt ein rein und gleich
fortbrennend Feuer, um die schönen Wunder,
den Lästrigonen-König, und mit Scylla
den Polyphem und die Charybdis uns
darin zu zeigen. Er beginnt die Wiederkehr
des Diomedes nicht von Meleagers Tod,
noch den Trojanschen Krieg von Ledas Eiern10).
Stets eilt er, ohne Hast, zum Ende fort,
stürzt seinen Hörer mitten in die Sachen,
als wären sie ihm sein bekannt, hinein,
läßt liegen, was nicht glänzend sich behandeln läßt,
und lügt, mit Einem Wort, so schön, mengt wahr und falsch
so künstlich in einander, daß das Ganze
aus Einem Stücke scheint, und, bis zum Schlusse
sich selber ähnlich, täuscht, gefällt, entzückt.
Nun hör auch du, der auf dem Schauplatz uns
zu unterhalten wünscht, was ich und was
das Publikum mit mir von dir verlangt.
Woferns um Hörer dir zu tun ist, die
des Vorhangs Fall erwarten, und so lange bleiben,
bis uns der Sänger zuruft PLAVDITE!
so mußt du jedes Alter richtig zeichnen,
und jedem den Charakter und die Farbe,
die ihm gebührt, genau zu geben wissen.
Kaum kann der Knabe reden, kaum bezeichnet
sein kleiner Fuß mit sicherm Tritt den Boden,
so spielt er gern mit Kindern seines Alters!
erbost sich leicht um nichts, läßt durch ein Nichts
sich wieder auch besänftgen, und verändert,
wie ein Apriltag, sich von Stund zu Stunde.
Der Jüngling ohne Bart, von seinem Hüter endlich
befreit, hat Lust zu Pferden und zu Hunden,
er liebt im sonnenreichen Campus sich herum-
zutummeln, nimmt wie Wachs des Bösen Eindruck an,
weist guten Rat und Warnung trotzig ab;
denkt immer an das Nützliche zuletzt11);
verstreut sein Geld wie Sand, ist stolz und rasch
in seinen Leidenschaften, aber läßt,
was er mit Hitze kaum geliebt, gleich schnell
für etwas Neues, das ihn anlockt, fahren.
Bald ändert sich das alles, und an Jahren
und Denkart nun ein Mann, bewirbt er sich
um Freunde, Rang, Vermögen, Ehrenstellen,
er lebt nach einem Plan, und hütet sich
nichts zu beginnen, das ihn reuen müßte.
Dem Alten kommt viel Not und Ungemachs
unmerklich übern Hals, entweder, weil er immer
zusammenscharrt, und doch, aus Furcht zu darben,
sich den Gebrauch verweigert - oder, weil
er alles kalt und furchtsam treibt, und überall
Bedenklichkeiten sieht. Er zaudert immer,
setzt immer weiter sich sein Ziel hinaus,
verliert den gegenwärtgen Augenblick
und lebt im künftgen; voller Schwierigkeiten,
verdrießlich, übeltrauend, hat er immer was
zu klagen, ist der ewge Leichenredner
der weiland guten Zeiten, da er noch
ein Knabe war, der ewge Censor und
Zuchtmeister aller jüngern, die jetzt sind
was er, zu seiner Zeit, gewesen war.
Viel Gutes bringen uns die Jahre12), wenn
sie kommen, mit, viel nehmen sie uns wieder
so wie sie allgemach zurückegehn.
Der Dichter nehme also wohl in acht,
was jedem Alter zukömmt, daß er nicht
dem Alten eine Jünglings-Rolle, noch
dem Knaben gebe was des Mannes ist!
Die Handlung wird entweder vor den Augen
der Gegenwärtgen abgehandelt, oder bloß
erzählt. Hier sehe sich der Dichter vor!
Was durch die Ohren in die Seele geht
rührt immer schwächer, langsamer, als was
die Augen sehen, deren Zeugnis uns
ganz anders überzeugt, als fremder Mund.
Doch darf darum nicht alles auf die Szene
gebracht sein, sondern manches muß den Augen
entzogen werden, was viel schicklicher,
von einem andern, der als Augenzeuge spricht,
mit Feuer und Begeistrung des Moments
erzählt, auch uns vergegenwärtigt wird.
Medea soll nicht vor dem Chor und Uns
die Kinder würgen, noch der Unmensch Atreus
der Neffen Fleisch vor unsern Augen kochen;
noch wandle Progne auf der Bühne sich
in eine Schwalb' und Kadmus in den Drachen.
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