Ein Stück, das oft begehrt zu werden und
zu bleiben wünscht, soll weder weiter als
zum fünften Akt gedehnt, noch kürzer sein.
Auch soll kein Gott sich in die Handlung mischen,
wofern der Knoten seine Zwischenkunft
nicht unvermeidlich macht und - ihrer würdig ist:
noch soll der Dichter seine Szene (gegen
der großen Meister Beispiel) mit der vierten
Person
beladen(D). Ihre Stelle mag
der Chor vertreten, der von Anfang bis
zu Ende seinen Anteil an der Handlung
behaupten muß: so, daß er niemals zwischen
den Akten etwas singe, das zum Zwecke
nichts taugt und sich auf das, was vorgeht, nicht
genau beziehet. Seine Rolle ist,
den Guten hold zu sein, sie zu beraten,
im Zorne sie zurückzuhalten, und
im Kampf der Leidenschaft und Pflicht zu unterstützen.
Er preise uns die leicht besetzte Tafel
der Mäßigkeit, die heilsame Justiz,
das Glück des Ruhestands bei offnen Toren.
Was ihm vertraut wird, wiss' er zu verschweigen;
auch wend er öfters an die Götter sich
mit feirlichem Gebet, und fleh um Rettung
der unterdrückten Unschuld, und des Stolzen Fall!

Die Flöte, die den Chorgesang begleitet,
war anfangs nicht, wie jetzt, mit Erzt verbunden1);
sie war noch dünn, und hatte wenig Löcher2),
und einen schwachen Ton, der damals doch
den Chorgesang hinlänglich unterstützte,
weils überflüssig war, mit stärkerm Laut
die noch nicht dichten Sitze anzufüllen,
worin ein leicht zu zählend Volk, das noch
bescheiden war und fromm, in großer Zucht
beisammen saß. Allein, nachdem durch Siege
der Staat erweitert, und die alten Mauern
zu enge worden, und nun auch an Festen
den ganzen langen Tag den Genius
mit Wein zu regalieren, Sitte ward:
da mußte wohl auch der Musik, wie allem,
mehr Luft und Spielraum zugestanden werden.
Ein Volk von ungebildetem Geschmack,
das seiner Sorgen sich entladen hatte,
und nun, nach seiner Weise, sich was Rechtes
zugut tun wollte, Bauer, Städter, Pöbel
und Adel, alles durcheinander
gemengt, - war, wenn es nur belustigt wurde,
gleichgültig wie? Und also nahm sich auch
der Flötenspieler mehr heraus, und füllte
im schleppenden Talar, mit seinem üppigern
Getön und freiern Tanz, die ganze Szene.
Gleichmäßig ließ, des alten Ernsts entbunden,
die Leier sich mit neuen Saiten hören3).
Natürlich wollte dann der Dichter, der den Chor
regierte, nicht allein zurückebleiben.
Sein Chorgesang nahm einen höhern Schwung,
in einer unerhörten Art von Sprache stürzte
sich seine schwärmende Beredsamkeit
daher, und seine tiefer Weisheit vollen
und Zukunft ahnenden Sentenzen glichen oft
an Dunkelheit den Delphischen Orakeln.(E)

Noch mehr. Der Sänger, der am Bacchusfeste,
um einen schlechten Bock, mit Heldenspielen
zu streiten pflegte, kam bald auf den Einfall,
das ernste Stück4) mit etwas abzuwechseln,
das, ohne völlig aus dem vorgen Ton
zu kommen, muntern Scherz mit Ernst vermählte;
und so entstand ein neues Spiel, worin
halb nackte Satyrn, vom Silen geführt,
den Chor vertraten5). Denn es war dem Dichter bloß
darum zu tun, ein rohes trunknes Volk,
das, nach vollbrachtem Gottesdienst, den Rest
des Feiertages sich erlustgen wollte,
durch etwas Neues, seinen bäurischen
Geschmack piquierendes, zu seiner Bude
herbei zu locken. Doch, auch diese Art
von freier Dichterei hat ihre Regeln;
und, ob der Laune des geschwätzigen
und immer lachenden Silenen-Chors
schon viel erlaubt ist, soll der Übergang
vom Ernst zum Spaß sich doch mit Anstand machen;
und wenn ein Heros, oder Gott, der kaum
in königlichem Gold und Purpur sich
gezeigt, hernach im Satyrspiel von neuem
zum Vorschein kommt6): soll seine Sprache weder
zum Staub und Schmutz der pöbelhaften Posse
heruntersinken, noch, aus Furcht am Boden
zu kriechen, steigen und in Wolken taumeln.
Kurz, nie vergesse die Tragödie, was für sie
sich schickt; und, wenn sie auch bei losen Satyrn
sich blicken läßt, so zeig uns ihr Erröten
die züchtige Verwirrung einer ehrbarn Frau,
die öffentlich am Festtag tanzen muß!

Ich, wenn ich Satyrn schreiben sollte, würde mich
nicht bloß an Wörter des gemeinen Lebens halten;
und, ohne drum dem Ton des Heldenspiels
zu nah zu kommen, würd ich Mittel-Tinten
zu finden wissen, daß der Unterschied
von einem Davus, einer frechen Pythias7),
die ihren alten Herrn um tausend Taler schneuzt,
und von dem Pflegevater eines Gottes8),
auch in der Art zu reden merklich würde.
Aus lauter jedermann bekannten Wörtern
wollt ich mir eine neue Sprache bilden, so,
daß jeder dächt er könnt es auch, und doch,
wenn ers versucht' und viel geschwitzt und lange
sich dran zermartert hätte, doch zuletzt
es bleiben lassen müßte! - Lieben Freunde,
so viel kommt auf die Kunst des Mischens an!
So viel kann dem Gemeinsten bloß die Stellung
und Nüancierung Glanz und Würde geben9)!

Auch dafür wollt ich, im Vorbeigehn, noch
die Faunen10), die man uns aus ihren Wäldern
so häufig auf die Bühne bringt, wohlmeinend
gewarnet haben: weder in so niedlichen
und schmucken Versen ihre Artigkeit
zu zeigen, daß man junge, mitten
in Rom erzogne Herrn zu hören glaubt,
noch zu Vermeidung dieses Übelstandes
mit Schmutz und groben Zoten um sich her
zu werfen. Denn die Leute, die ein Pferd
und einen Vater und was Eignes haben11),
erbauen sich an dieser Art von Witz
nicht sonderlich; und wenn den Käufern dürrer Erbsen
und Nüsse etwas wohlbehagt, so folgt
nicht, daß auch jene dran Belieben finden, und
den Kranz dem Dichter zuerkennen werden.

Ein Silbenfuß, wo eine lange Silbe
auf eine kurze folget, wird ein Jambus
genannt. Ein schneller Fuß! Daher vermutlich,
daß Verse von sechs Jamben Trimeter12)
zu heißen pflegen. Anfangs wurden sie
ganz rein gemacht, und einer wie der andre.
Allein schon lange nahm der Jamben-Vers,
um etwas langsamer und feierlicher
zu gehn, den ruhigern Spondeus
gefällig auf; doch, daß er aus der zweiten
und vierten Stelle nie verdrängt zu werden
sich vorbehielt13). So findet man ihn auch,
doch selten, in den hochberühmten Trimetern
des alten Accius: allein die zentnerschweren Verse14),
die Vater Ennius auf unsre Bühne schleudert,
beschuldigen ihn entweder, sichs zu leicht gemacht
und sehr geeilt zu haben, oder einer
nicht rühmlichen Unwissenheit der Kunst.

Zwar freilich hat nicht jeder Richter Ohren
für übel modulierte Verse, und man hat
den römischen Dichtern über diesen Punkt
mehr nachgesehen als uns Ehre macht.
Und soll ich nun, so milder Ohren wegen,
mich aller Regel quitt und ledig glauben?

Doch, wenn ich auch - als ob die ganze Welt,
sobald ich fehle, mich befreien würde -
vor Fehlern mich gehütet habe, - gut!
so hab ich immer nur gerechten Tadel
vermieden, lange noch kein Lob verdient.
Dies zu begreifen, Freunde, leset, leset
bei Tag und Nacht der Griechen Meisterstücke15)!

Indessen haben eure Ahnen doch
die schönen Verse und die feinen Scherze
des Plautus hoch erhoben; gar zu duldsam
in beidem, um nicht etwas härters noch
zu sagen! Wenn wir anders, Ihr und ich,
ein frostiges Bon-Mot von einem guten
zu unterscheiden, und, wie Verse klingen müssen,
durchs Ohr zu prüfen, oder wenigstens
doch an den Fingern abzuzählen wissen.(F)

Für den Erfinder der Tragödie
wird Thespis angesehn, der seine Stücke
auf Bauerkarren durch die Dörfer führte,
und von Personen, die mit Hefen sich
geschminkt, absingen und agieren ließ.
Nach ihm war Aeschylus der zweite, oder
vielmehr der wahre Vater dessen, was
den edeln Namen eines Heldenspiels
mit Recht verdiente16). Er erfand die Maske
und den Kothurn, erweiterte den Schauplatz,
veredelte die Kleidung, und (was mehr ist)
den wahren Ton der tragischen Camöne,
die Er zuerst erhaben sprechen lehrte.


  1. Orichalco vincta; diese Flöte war vermutlich eine Art von Hautbois. Zurück
     
  2. Die Flöten hatten anfangs nur vier Löcher. Antigenidas von Theben, der Meister des Alcibiades auf der Flöte, vermehrte ihre Anzahl (Theophrast. Histor. Plant. IV. 12), und vermutlich profitierte auch das Theater zu Athen, wo die Chöre mit Flöten begleitet wurden, von der größern Vollkommenheit, die dieser Virtuose seinem Instrumente gab. Zurück
     
  3. Auch die Lyra hatte anfangs nur 3 oder 4 Saiten. Terpander, ein berühmter Name unter den alten Musikern, vermehrte sie auf sieben, und Timotheus, ein Virtuos der zu Platons Zeiten lebte, auf zehn. Zurück
     
  4. Die eigentliche Tragödie. Zurück
     
  5. Griechen und Römer liebten diese Art von bürlesken Nachspielen sehr, und die größten Dichter gaben sich damit ab. Der Cyclops des Euripides ist das einzige Stück dieser Art, das bis zu uns gekommen ist, und aus diesem kann man sich, was Horaz hier von dieser Gattung sagt, am besten erläutern. Zurück
     
  6. Wie z. B. Ulysses im Cyclops des Euripides. Zurück
     
  7. Pöbelhafte Personen, die gewöhnlich in den Komödien vorkommen. Zurück
     
  8. Silenus. Zurück
     
  9. Diese Stelle ist sehr merkwürdig. Sie enthält eine von den großen Mysterien der Kunst, welche Horaz ganz zuversichtlich ausschwatzen durfte, ohne Furcht, daß er den AmuhtoiV etwas verraten habe. Zurück
     
  10. Faunen und Satyrn werden hier vermengt, wiewohl ihr Unterschied bekannt ist. Die Faunen waren die Satyrn der Lateiner, nur daß ihre Gestalt mehr menschliches und ihr Charakter mehr ländliche Einfalt und Hirtenmäßiges hat. Zurück
     
  11. Quibus est equus et pater et res, d. i. die Ritter, die Patrizier, und Leute von Vermögen. Das ungemein Komische und Beißende in dieser Art sich auszudrücken, kann dem, der es nicht selbst merkt, nicht wohl erklärt werden. Zurück
     
  12. Weil man in dieser Versart immer zwei Füße zusammenrechnete, welches eine Dipodia hieß. Denn, der Zahl der Füße nach, mußten sie Hexameter heißen; und vielleicht gab man ihnen jenen Namen bloß zum Unterschied von dem Homerischen Hexameter. Zurück
     
  13. Der Jambische Trimeter der Alten bestehet aus drei Dipodien, deren erste und zweite gemeiniglich folgendes Silben-Schema --^-, die dritte ^-^^ beim Sophokles hat. Aeschylus nähert sich dem ursprünglichen Trimeter noch mehr; aber ein Stück aus lauter reinen Jamben würde in der griechischen Sprache kaum möglich gewesen sein. Zurück
     
  14. In scenam missos magno cum pondere versus, ein sehr komischer Ausdruck, der auch die Jamben des Euripides nicht selten trifft, worin die Spondeen oft mächtig gehäuft sind. Zurück
     
  15. Den Kommentar zu dieser Vermahnung gibt Horaz selbst [siehe hier]. Zurück
     
  16. Ich gestehe, daß ich hier, aus Ehrfurcht gegen die Manes des göttlichen Aeschylus, etwas mehr gesagt habe, als Horaz; indessen ists in animam Horatii; denn an seinem Respekt für den Aeschylus zu zweifeln, würde beinahe eben so große Sünde sein, als den Dichter der Eumeniden und des Agamemnon so ohne Zeremonie mit Thespis in Eine Kategorie zu werfen. Zurück

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