Demokritus behauptete, niemand könne ohne eine Art von Raserei ein großer Dichter sein, neminem sine furore quemquam poetam esse posse. Dies sagt uns Cicero1), und setzt hinzu: »eben dies behauptet auch Plato. Immerhin mag er diese Begeisterung, die den Dichter macht, Raserei nennen, da er von dieser Raserei so herrliche Dinge sagt, wie in seinem Phädrus.« Die Stelle des Homers der Philosophen, auf welche Cicero hier deutet, ist zu schön, als daß ich nicht versucht werden sollte sie zu übersetzen. - »Die dritte Art von Raserei (läßt er seinen Sokrates sagen) ist diejenige die von den Musen kommt. Diese, wenn sie eine zarte, noch unverfälschte und ungefärbte Seele anweht, treibt sie an, wie in einer Bacchischen Schwärmerei2) (d. i. in einer Art von geistiger Trunkenheit) in Gesängen und allen übrigen Gattungen der Dichterei, die Wunder und Taten der Alten Zeiten zu verschönern, und dadurch den Künftigen lehrreich zu werden. Wer sich aber, ohne von dieser Musenwut getrieben zu sein, den Pforten der Dichtkunst nähert, in der Meinung, die Kunst allein könne ihn schon zum Dichter machen, wird immer unvollkommen bleiben, und die Poesie eines solchen nüchternen und weisen (unbegeisterten) Dichters wird immer von der Poesie der Rasenden (Begeisterten) ausgelöscht werden3).« - Ungeachtet des Mißbrauchs, den die mondsüchtigen, hirnwütigen, und aberwitzigen Poeten, über welche Horaz hier und in der Folge spottet, von der Theorie des Demokritus und Plato machen können, war er doch selbst von der Wahrheit derselben so überzeugt: daß, wenn sein poetischer Wahnsinn gleich nicht immer so reell war, wie in der 25sten Ode des IIIten Buches, Quo me, Bacche, rapis? er ihn doch öfters so schön zu simulieren wußte, als man von einem Dichter im Jahrhundert Augusts nur immer verlangen kann - wie z. B. in der Stelle auditis? an me ludit amabilis insania? und dem was folgt, in der 4ten Ode des III. B. Aber - was es auch mit Horazen, der (gewöhnlicher Weise) in die Klasse der Dichter, die ihrer Sinne mächtig bleiben, gehörte, für eine Bewandtnis haben mag - die Sache selbst hat ihre Richtigkeit; und die Erfahrung hat von jeher bei allen Nationen den Ausspruch bestätigt: daß die unbegeisterten Dichter, so sehr sie auch gefallen mögen, wenn man sie allein hört, niemals neben den begeisterten (sofern alles übrige gleich ist) bestehen können. Aber die Meinung Platons war wahrlich nicht, daß eine brennende und von der Musenwut besessene Imagination allein einen großen Dichter mache; und es ist auch hier, wie bei der religiosen und verliebten Begeistrung, ein großer Unterschied, ob man von einem Gott, oder von dem leidigen Satan besessen ist. Homer, Pindar, Aeschylus, die drei größten Dichter von der begeisterten Klasse, die je gewesen sind, sind an Verstand, Weisheit und Wissenschaft eben so groß als an Imagination; nie verläßt sie das richtige Gefühl des Schicklichen; immer schwebt in dem brausenden Chaos ihrer Ideen der Verstand, wie Ovids Deus aut melior Natura, in der Mitte, der es scheidet, ordnet, verbindet und vor unsern zuschauenden Augen in eine Welt voll lebendiger und zu Einem Zweck zusammenspielender Kräfte aufblühen läßt. Die Begeistrung, die amabilis insania, welche Plato - in diesem Augenblick selbst von ihr ergriffen - dem Anwehen der Musen zuschreibt, kann immer den ersten Keim ihrer Werke in ihrem Busen belebt, kann sie im Arbeiten angefeuert, kann ihnen diese Wärme, in welcher alle Schwingen der Seele sich entfalten, mitgeteilt, kann sie bei gewissen Stellen über sich selbst erhoben, den Nebel der Menschheit gleichsam von ihren Augen getrieben, und sie zum Anschauen göttlicher Gestalten tüchtig gemacht haben: aber alles dies setzt Organe voraus, die ihnen die Musen nicht geben, Kenntnisse, die sie ihnen nicht eingießen konnten; eine Sprache, die schon da sein mußte, und die sie (wie andre Menschen) hatten lernen müssen. - Kurz, eine Iliade, oder nur ein Gesang der Iliade, ist so wenig das bloße Werk der poetischen Raserei, als sie ein Werk des Augenblicks ist; und, wiewohl es Autoschediastische Poesien gibt, die als bloße Naturprodukte und Eingebungen einer begeisternden Leidenschaft, und einer durch diese über ihr gewöhnliches Maß gespannten Phantasie angesehen werden können, so bleibt doch wahr: daß auch in der Poesie die edelsten Gewächse durch Kultur mehr Schönheit, und ihre Früchte einen bessern Geschmack erhalten; und daß (wie Horaz besser unten sagt) ohne reiche Ader das strengste Studium, und ohne Kunst das beste Naturell zu Hervorbringung eines sehr vortrefflichen Werkes gleich unzulänglich ist.