Ein wenig später tat sich auch die Alte
Komödie
hervor, nicht ohne vielen Beifall;
allein die Freiheit, die man zu Athen
ihr zugestanden, artete zuletzt
in eine Frechheit aus, die nicht zu dulden war,
so daß die Polizei ins Mittel treten mußte.(G)
Des Lustspiels Chor, sobald der Stachel ihm
benommen war, verstummte - und verschwand.

Von diesem allen haben unsre Dichter
nichts unversucht gelassen; und gewiß
verdienten jene nicht das kleinste Lob,
die sich getrauten aus der Griechen Fußtritt
herauszutreten, vaterländ'sche Taten
zu singen, und im Lust- und Trauerspiel
uns römische Personen vorzuführen1).
Auch würde Latium gewiß durch seine Sprache2)
nicht weniger, als durch die Kunst zu siegen
und zu regieren, über Griechenland
den Rang behaupten, wenn nicht unsre Dichter
der Feile Arbeit haßten
, und die Zeit,
die drüber hingeht, für verloren hielten.

Ihr, Numas edle Sprossen3), lasset kein
Gedicht vor euern Augen Gnade finden,
das nicht durch viel Lituren zur Korrektheit
gebracht, und, bis das leiseste Gefühl
nichts mehr von Fugen spürt, geglättet worden.

Weil Demokrit dem glücklichen Genie
den Vorzug vor der armen Kunst gegeben,
und schlechterdings die Dichter, die nicht rasen,
vom Pindus ausgeschlossen haben will:(H)
so treibts ein guter Teil der unsrigen
so weit, sich weder Bart noch Nägel stutzen
zu lassen, weder Kamm noch Schwamm
zu dulden, Bäder wie verdächtge Häuser
zu fliehen, und, Gespenstern gleich, in öden
von Menschen unbetretnen Gegenden
herumzuirren; fest beglaubt, ein Kopf,
der dem barbierenden Senator Licinus4)
sich nie vertraut, und mit drei Anticyren5)
nicht heilbar wäre, sei zum Dichterkopf
allein gemacht, und würdig von den Musen
bewohnt zu werden. Was ich für ein Tor bin,
an jedem Frühling mir die Galle auszufegen!
Kein andrer sollte beßre Verse machen!
Doch, sei es drum! Wofern ich selber auch
nichts schreibe, kann ich doch, dem Schleifstein gleich,
der selber zwar nicht schneidet, aber doch
das Eisen schneidend macht6), die Andern lehren
was einen Dichter bilde, was ihn nähre,
was ihm gezieme oder nicht, und welche Wege
zum Nachruhms-Tempel führen, oder in die Sümpfe,
wo Aganippens Quelle sich verliert?

Um gut zu schreiben, muß ein Autor erst
Verstand und Sinn - um gut zu denken, haben.
An Stoff wirds die Sokrat'sche Schule euch
nicht fehlen lassen, und dem wohldurchdachten Stoffe
schmiegt sich von selbst der gute Ausdruck an.
Wer recht gelernt hat, was er seinen Freunden,
was seinem Vaterlande schuldig sei,
mit welcher Lieb ein Vater, Bruder, Gastfreund
zu lieben? was des Staatsmanns, Richters, was
des Feldherrn Amt und Pflicht erfodre? - Der
wird, was in jedem Falle jeder Rolle
geziemt, unfehlbar stets zu treffen wissen.
Doch nie vergesse der gelehrte Zögling
der dichterischen Bildnerkunst, auch auf
die Sittenschule und die lebenden
Modelle um ihn her
die Augen stets
zu heften, und daraus die wahre Sprache
des Lebens und des Umgangs
herzuholen.
Nicht selten sieht man daß ein wohlgezeichnetes
Charakterstück, wiewohl sonst ohne Reiz
und Stil und Kunst, beim Volke mehr gewinnt,
und besser unterhält, als schöne Verse,
an Schall und Wohlklang reich, an Sachen leer.

Den Griechen, Freunde! (immer komm ich wieder
auf dies zurück) den Griechen gab die Muse
zugleich Genie und feines Kunstgefühl,
die Gabe der Empfindung und des schönen
und runden Ausdrucks: aber ihre Seelen kannten
auch keinen andern Geiz als den nach Ruhm7).
Der Römer lernt von Kindesbeinen an
das As in hundert Teile teilen. Ruft,
zur Probe, nur den kleinen Sohn des Wechslers
Albinus her, und fragt ihn aus. - »Die Hälfte
von einem halben Gulden abgezogen,
was bleibt?« - »Ei«, spricht er lachend, »was wird bleiben?
Vier Groschen.« - »Braver Junge! Der
wird sein Vermögen nicht vergeuden! - Und
zum halben Gulden noch die vier
hinzugetan, macht -?« - »Einen halben Taler
Wie? Und von Seelen, die mit diesem Rost
von Habsucht einmal überzogen sind,
erwarten wir Gedichte, die vor Motten
verwahrt zu werden je verdienen könnten?

Des Dichters Zweck ist zu belustgen, oder
zu unterrichten, oder beides zu verbinden,
und unter einer angenehmen Hülle
uns Dinge, die im Leben brauchbar sind, zu sagen.
Lehrt er, so sei er kurz! Was schnell gesagt wird, faßt
der lehrbegierge Geist geschwinder auf
und hält es fester. Wie die Seele voll ist, läuft
das überflüßge ab.

                Was bloß zur Lust
erdichtet wird, sei stets der Wahrheit ähnlich,
und um je weiter sich die Phantasie
von ihr entfernt, je stärker sei die Täuschung!
Ein Märchen soll nicht fodern, daß ihm Alles
geglaubet werd, und nicht den Knaben, den
die Lamia8) aufgegessen, wieder frisch
und ganz aus ihrem Leibe ziehen!

Der graue Teil des Publikums verdammt
was ohne Nutzen ist; hingegen steigt
die junge Mannschaft stolz bei einem ernsten
Gedicht vorbei. Der aber, der das Nützliche
so mit dem Angenehmen zu verbinden weiß,
daß er den Leser im Ergötzen bessert,
vereinigt alle Stimmen. Solch ein Werk
verdient den Sosiern9) Geld, geht übers Meer,
macht seiner Meister Namen allen Zungen
geläufig und der späten Nachwelt wert!

Indessen sind auch Fehler, denen man
Verzeihung schuldig ist: denn immer gibt die Saite
den Ton nicht an, den Seel und Hand verlangte,
und auch der beste Bogen trifft nicht immer.
Doch, glänzt das Meiste nur in einem Werke,
so sollen wenig Flecken mich nicht ärgern, die
des Dichters Fleiß entwischt sind, oder, weil er doch
nur Mensch ist, nicht von ihm verhütet werden konnten.

Nur, daß die Herren diese Klausel sich
nicht gleich zunutze machen! Denn, wie ein Kopist,
der, aller Warnung ungeachtet, immer
am gleichen Worte sich verschriebe, keine
Entschuldigung verdiente; wie ein Geiger
verspottet würde, der die gleiche Note,
so oft sie käme, falsch gegriffen hätte:
so heißt ein Dichter, der sich oft verschreibt,
bei mir ein Chörilus10); und wenn ers gleich
auch zwei- bis dreimal gut gemacht, bewundre
ich ihn mit Lachen: wie es mich verdreußt,
wenn auch Homer sogar zuweilen - nickt;
wiewohl man doch in einem großen Werke
vom Schlaf ja wohl einmal beschlichen werden kann!

Gedichte sind darin den Malereien gleich,
daß manche desto mehr die Augen fesseln,
je näher man hinzutritt; andre, wenn man weiter
zurücktritt, erst die rechte Wirkung tun.(I)
Dies liebt ein schwaches, jenes, das sich nicht
vorm schärfsten Auge scheut, ein helles Licht,
und wenn das erste einmal uns gefällt,
wird dieses zehnmal wiederholt gefallen.

Du, ältester der edlen Jünglinge,
wiewohl die Vaterstimme, und dein eignes
Gefühl dich schon zum Wahren bilden, präge doch
was ich jetzt sage fest in deinen Sinn.

Es gibt der Dinge viel, worin
die Mittelmäßigkeit mit gutem Fug
gestattet wird. Ein Rechtsgelehrter oder
ein Redner vor Gericht kann minder wissen
als ein Cascellius, an Beredsamkeit
weit unter dem Messala stehn, und hat
doch seinen Wert: den mittelmäßgen Dichter
schützen11) weder Götter, Menschen, noch
Verleger vor dem Untergang! Warum? -
ist leicht zu sehn. So wie ein übelstimmendes
Konzert bei einer guten Tafel, oder
zu dickes Salböl12), oder Mohn mit Sard'schem Honig13)
bloß darum uns beleid'gen, weil die Mahlzeit
auch ohne sie recht wohl bestehen konnte;
just so verhält es sich mit einem Dichterwerke.
Denn da es bloß der Seele gütlich
zu tun
erfunden ist, so senkt es sich,
wie's nur ein wenig vom Vollkommnen abweicht,
zum Schlechtesten. Wer mit den Waffen, die
im Campus üblich sind, nicht umzugehn
versteht, der bleibt davon; wer mit dem Ball,
dem Diskus, oder Reif zu spielen nicht
gelernt hat, gibt sich auch damit nicht ab,
um nicht dem Volk, das zusieht, zum Gelächter
zu werden - Wie? und wer die Dichtkunst nie
gelernt hat, untersteht sich Verse
zu machen? - »Und warum denn nicht? Er ist
ja wohl von gutem Hause gnug dazu!
Ein freigeborner, biedrer, unbescholtner Mann,
von rittermäßgen Renten! und er sollte
nicht, wenns ihn ankömmt, Verse machen dürfen?«


  1. Horaz, um doch etwas an seinen römischen Dichtern zu loben, rühmt wenigstens den Patriotismus eines Aelius Lamia, Afranius, Pomponius u. a. welche Praetextatas und Togatas, d. i. Tragödien und Komödien mit römischen Personen auf die Bühne gebracht. Das Kompliment, das er bei dieser Gelegenheit dem römischen Genie macht, konnten sich die Griechen unpräjudizierlich gefallen lassen. Zurück
     
  2. oder Literatur; denn die ist bei den römischen Autoren mit Sprache synonym. Zurück
     
  3. O Pompilius sanguis! Die Calpurnische Familie leitete ihren Stammbaum von Calpus, einem Sohn des Königs Numa Pompilius, ab, wie Plutarch und Festus bezeugen; wiewohl einige Geschichtschreiber diesem Könige nur eine Tochter zugestanden. Wenigstens war die Tradition auf Seiten der Calpurnier. Zurück
     
  4. Ein Aristophanscher Zug! Julius Cäsar hatte einen gewissen Barbier namens Licinus in den Senat aufgenommen, weil er ein eifriger Anti-Pompejaner war. Licinus wurde so reich, daß ihm seine Erben ein Grabmal von Marmor setzen ließen, welches einem Biedermann zu folgender Grabschrift Anlaß gab:

    Marmoreo tumulo Licinus jacet, at Cato nullo,
    Pompejus parvo! Quis credat esse Deos?

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  5. d. i. alle Niesewurz, die in drei Anticyren wachsen könnte. Die Insel Anticyra war sehr fruchtbar an dieser heilsamen Pflanze. Zurück
     

  6. - - - - - Ich trachte den Poeten
    Hinfort ein Sporn zu sein, ein Wetzstein ihrer Flöten!
                     
    Gottsched in seiner Poetischen Übers. von Horazens Dichtk.

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  7. O der goldnen Worte! - Aber zur Zeit der großen Dichter und Weisen Griechenlands war es auch noch keine Schande arm zu sein; und ein großer Mann, der arm starb, durfte nicht befürchten, daß seine Kinder betteln müßten! - Auch war es ein sehr kleiner Zeitraum, worin diese Nation große Köpfe hervorbrachte, und ihrer - wert war! Zurück
     
  8. Die Lamia war in den Kindermärchen der Alten ungefähr, was die Popanzinnen (ogresses), die Nachtfrau, und andre dergleichen Unholdinnen in den modernen sind. Sie wurde als eine Frau mit Eselsfüßen abgebildet, und fraß die Kinder lebendig auf, wenn sie nicht fromm sein wollten. Zurück
     
  9. Den Buchhändlern. Zurück
     
  10. S. die Epistel an August. Zurück
     
  11. Ich habe hier lieber das Metrum (wie hier) durch zwei Zeilen fortziehen, d. i. eigentlich einen Vers von 10 Jamben machen, als den Numerus des Perioden verderben wollen. Mit beschützen statt schützen wäre der anscheinende Trochäische Vers ein jambischer gewesen: aber das, was die Schönheit dieser Stelle macht, wäre verloren gegangen. Zurück
     
  12. Um seine Gäste wohl zu bewirten, mußte man sie vor der Tafel mit wohlriechenden Ölen für Bart und Haare bedienen lassen. Zurück
     
  13. Der Sardinische Honig hatte einen widrigen Beigeschmack wegen der Taxusbäume und bittern Kräuter, die dort sehr häufig sind. Zurück

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